Schnallt den Gürtel enger

Das schwarz-blaue Bündnis in Oberösterreich hat sich für 2018 einen Sparkurs zum Ziel gesetzt. Gegen den Budgetentwurf regt sich breiter Widerstand - von Müttern bis zur Kulturszene.

von Haimbuchner und Stelzer © Bild: Land OÖ/Ernst Grilnberger

Darf ich mich vorstellen: Ich bin die 'Wut-Mama'." Christiane Seufferlein, der die Medien diese Typisierung zuwiesen, sitzt lachend in der Ecke einer Linzer Pizzeria und schaut eigentlich gar nicht so wütend aus. Eher müde. Die Geschichte, die sie in den nächsten 45 Minuten erzählen wird, hat sie in den letzten Tagen schon etliche Male erzählt.

Sechs Tage, bevor die 41-Jährige müde in der Pizzeria sitzt, liegt sie um fünf Uhr morgens im Bett und ist tatsächlich stinkwütend. Sie steht auf und schreibt einen offenen Brief an den oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer. Dessen Regierung hatte angekündigt, dass es ab 2018 sozial gestaffelte Beiträge für die Kinderbetreuung am Nachmittag geben solle. Seufferlein schreibt Stelzer, dass sie "mangels Alternativen" den Begriff "Landesvater" zukünftig ernst nehmen und ihre Tochter zur Betreuung bei Stelzer abliefern werde, weil sie sonst ihren Job verlieren würde. Seufferlein stellt den Brief auf Facebook und merkt schnell: Das sitzt. Mit Stand Mittwochmittag wurde der Brief über 4.200 Mal geteilt und kontrovers diskutiert.

Am 23. Oktober stellte die schwarz-blaue Koalition ihren Budgetentwurf für 2018 vor, der Anfang Dezember beschlossen werden soll. Das erste Budget unter der Schuldenbremse, die Oberösterreich im Juli als erstes Bundesland eingeführt hatte. Das bedeutet: Abbau von Landesschulden, aber eben auch teils drastische Einschnitte von etwa 150 Millionen Euro.

"Mit dem Landeshaushalt 2018 wird ein Paradigmenwechsel in der oberösterreichischen Finanzpolitik eingeläutet", sagt Landeshauptmann Thomas Stelzer zu News. "Wir alle wissen, dass ein neuer finanzpolitischer Kurs notwendig war - das dürfen wir nicht länger verdrängen und schon gar nicht länger verschieben."

Konkret heißt Paradigmenwechsel: Es gibt nicht nur Einsparungen, sondern auch Umschichtungen und neue Prioritäten. Während zum Beispiel in der Kultur gespart wird und Studiengebühren an den Fachhochschulen eingehoben werden sollen, werden gleichzeitig die Investitionen in "Zukunftsschwerpunkte" (Forschung und Wissenschaft, eine Breitband-Offensive) erhöht. "Als Regierung werden wir für den Haushalt 2018 nicht nur Applaus ernten", sagt Stelzer. "Nicht alles, was wir gemeinsam beschlossen haben, wird allen gefallen -aber es ist der ehrliche Weg."

Gegen diesen Weg regt sich Widerstand, und Menschen wie Christiane Seufferlein geben ihm ein Gesicht. Vor drei Jahren zog Seufferlein mit ihrem Mann, der nach einem Unfall den Beruf des Zimmerers nicht mehr ausüben konnte, und ihrer neugeborenen Tochter nach Julbach im Mühlviertel und kaufte einen Biohof. Die Seufferleins bauen Beeren an, geben Kräuter-und Sensenkurse. Drei Tage die Woche pendelt Christiane Seufferlein nach Linz zu ihrem Marketing-Job bei der Volkshilfe ("Und nein, ich bin weder bei der SPÖ noch bei einer anderen Partei Mitglied."). Ohne dieses Gehalt würde es nicht gehen.

Julbach hat 1.500 Einwohner, einen Kindergarten, eine Volksschule. "Wir sind bewusst in eine Gemeinde mit funktionierender Infrastruktur gezogen", sagt Seufferlein. Sie habe kein Netz, das übernehmen könne, die Großeltern lebten 90 Kilometer weit in die andere Richtung. Solche Maßnahmen würde es Frauen extrem erschweren, einem Beruf nachzugehen.

Kinderbetreuung

Wovor Frauen wie Seufferlein konkret Angst haben, ist oft gar nicht die Gebühr selbst, sondern deren möglichen Auswirkungen. Das Land Oberösterreich finanziert aktuell die Nachmittagsbetreuung bei Gruppen von zehn oder mehr Kindern. Nehmen in kleinen Gemeinden Eltern nach der Einführung von Beiträgen ihre Kinder aus schwach besetzten Betreuungsgruppen, können sie unter das Quorum rutschen und aufgelöst werden. In der Gruppe von Seufferleins Tochter sind exakt zehn Kinder.

"Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn das am 1. Februar wirklich so eintritt", sagt sie. Ihr gehe es nicht darum, dass sie nicht zahlen wolle. "Ich zahle gern für gute Kinderbetreuung." Aber sie wünsche sich wenigstens eine ordentliche Übergangszeit, damit sich neue Strukturen wie Tagesmütter entwickeln könnten.

"Wir erleben hier familienpolitisch einen gewaltigen Rückschritt", sagt Stefan Kaineder, Sozialsprecher der oberösterreichischen Grünen. "Und der ist politisch motiviert." Dahinter stecke ein klares Menschenbild, das aber an der Realität der Menschen vorbeigehe. Unterstützer des Plans verweisen auf die Tatsache, dass aktuell alle anderen Bundesländer außer Wien, auch die mit Grünen-Regierungsbeteiligung, Beiträge für die Nachmittagsbetreuung einheben. Kaineder ficht das nicht an. "Aber Oberösterreich war hier ein Vorreiter. Es ist das völlig falsche Signal, wenn wir uns hier zurückbewegen."

Große Verunsicherung

Auch abseits der großen, plakativen Themen ist die Verunsicherung groß. Der Verein Arcobaleno sitzt in einem unscheinbaren Linzer Hinterhof in Bahnhofsnähe. Im ersten Stock schmücken Flaggen aus aller Welt den Gang. In drei Klassenräumen lernen gerade 45 Frauen mit Herkunftsländern von Iran bis Kuba Deutsch, im Kinderzimmer lärmen ihre Kinder. Am Tisch zwischen den Klassenräumen und den lärmenden Kindern sitzen Anja Krohmer und Sonja Kober. Sie machen sich Sorgen.

"Wir wissen aktuell nicht, wie es 2018 mit den Deutschkursen weitergehen wird", sagt Krohmer. Der Verein Arcobaleno bietet neben kostengünstigen Kultur-und Freizeitprogrammen auch Sprachkurse an, als einer der wenigen auch spezielle Kurse für Frauen. Die Ankündigung der Sparmaßnahmen hat den Verein in Aufruhr versetzt. Wie auch viele andere Initiativen, die Förderungen vom Land beziehen. "Wir wissen nicht, welche Mittel wir im nächsten Jahr zur Verfügung haben werden", sagt Kober. Und das betreffe die Leben vieler Menschen: Man habe aktuell 300 Asylwerber in der Sprachförderung, 15 Lehrerinnen, zum Teil alleinerziehende Mütter.

Die beiden Frauen vom Verein Arcobaleno sind höflich und vorsichtig in ihren Aussagen. Eine Vorsicht, die sich auch zeigt, wenn man versucht, mit anderen Organisationen aus dem sozialen Bereich zu reden. Große Organisationen wollen sich nicht äußern, "bevor es Konkretes gibt". Andere wollen ihren Namen nicht in den Medien lesen. Alle sind verunsichert, aber solange die Entscheidungen in der Luft hängen, will sich niemand exponieren. Es könnte ja schaden. Hinzu kommt, dass hinter den Förderungen oft ein komplizierter Schlüssel aus Landes-und Bundesgeldern steckt. Die Tatsache, dass man sich 2018 mit hoher Wahrscheinlichkeit einer doppelten ÖVP-FPÖ-Koalition gegenübersehen wird, macht zusätzlich nervös.


Die Nervosität hat auch die Kulturschaffenden erfasst. Es habe die gesamte Szene "kalt erwischt", sagt Christine Dollhofer vom Filmfestival Crossing Europe. Solche Einschnitte würden ja nicht nur weniger Geld bedeuten, sondern der gesellschaftliche Mehrwert von Kunst und Kultur verliere damit insgesamt an Bedeutung.

Alles oder nichts?

"Wir sehen uns im aktuellen Budgetvorschlag mit Einsparungen von 30 Prozent bei den Fördermitteln konfrontiert", sagt Thomas Diesenreiter, Geschäftsführer von "Kupf", der Kulturplattform Oberösterreich. Die Interessenvertretung initiierte schon im Sommer, als sie erste Hinweise auf die geplanten Kürzungen erhielt, die Kampagne "Rettet das Kulturland Oberösterreich". Man müsse das als Teil einer fortlaufenden Entwicklung sehen, sagt Diesenreiter, die Förderungen gingen seit Jahren zurück. Ein so drastisches Minus sei aber in jüngerer Vergangenheit einzigartig und vielfach existenzgefährdend. "Das droht, sehr viel zu zerstören, was wir über Jahre aufgebaut haben."

Von der Filmförderung bis zur Kleinkunstbühne müssen fast alle Bereiche mit weniger Geld auskommen. Die geplanten Kürzungen sind nicht vordergründig ideologisch -auch auf die Volkskultur kommt ein Minus von 28 Prozent zu. Dennoch trifft es laut Diesenreiter vor allem die Nischenangebote hart: "Für zeitgenössische Kulturinitiativen, die wenig Möglichkeiten haben, das mit Eintrittsgeldern oder Bareinnahmen zu kompensieren, wird es besonders schwer." Manche "Kupf"-Mitglieder hätten schon gesagt, dass sie unter diesen Umständen zusperren müssten. Genaueres könne man erst sagen, wenn man wisse, wie die Kürzungen exekutiert werden. Zum Beispiel: Kriegen alle 30 Prozent weniger? Oder manche gar nichts mehr, andere genauso viel wie jetzt?

Es ist Abend in Linz, der Regen prasselt auf das Straßenpflaster. SPÖ-Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer sitzt in ihrem Büro in der Altstadt. Die Gänge sind leer. In letzter Zeit ist es öfter spät geworden. Gerstorfer sitzt seit Juli 2016 in der Landesregierung. Und spätestens seit Oktober ist sie so etwas wie ein Regierungsmitglied in Halb-Opposition.

"Unter Pühringer war es immer so, dass große politische Entscheidungen im Vier-Parteien-Konsens entschieden wurden", sagt die ehemalige Chefin des AMS Oberösterreich. "Man hat gestritten, aber am Ende konnte man sich auf das Ergebnis verlassen." Auch die Grünen beklagen, dass sich das geändert habe. Landeshauptmann Stelzer sagt dazu, dass sich das Land entschieden habe, jetzt aus eigener Kraft zu agieren. "SPÖ und Grüne sind eingeladen, diesen Weg mitzugehen."

Kurz nach der Verkündung des Budgetplans hatte Gerstorfer eine öffentliche, etwas schwierig zu durchschauende Auseinandersetzung mit der ÖVP. Es ging um einen abgesprochenen Budgetpfad, die Größe einer Budgetlücke und um Schuldentilgung aus Wohnungsbaudarlehen. Das ist beigelegt. Gerstorfer hat sich damit arrangiert, dass sie mit weniger Geld als geplant auskommen muss.

Das Sozialressort steht, wie alle anderen Ressorts auch, vor der Entscheidung, welche Ausgaben im Aufgabenspektrum am ehesten verzichtbar sind. Im Groben steht das schon fest. Es wird unter anderem eine Reduktion der Vereinsförderungen und Einsparungen bei den Fahrtdiensten für Menschen mit Behinderungen und bei der Familienberatung geben. "Ich bin auch für solide Finanzen, aber man muss nicht auf Kosten der Bürger den Haushalt totsparen", sagt Gerstorfer, während sie in ihre Unterlagen schaut. "Wir erleben eine Wende", sagt sie schließlich. "Und das ist natürlich eine Blaupause für den Bund."

Vorbild für den Bund

Eine Einschätzung, die vielfach geteilt wird. Haimbuchner und Stelzer sind jeweils Vize-Bundesparteiobmann ihrer Partei. Und einige Vorhaben, die aus Regierungsverhandlerkreisen in den Medien herumschwirren, ähneln dem, was Schwarz-Blau in Oberösterreich vorgemacht hat.

Und es gibt einen weiteren Grund für ÖVP und FPÖ, sich zumindest teilweise an Oberösterreich anzulehnen. Ein Grund, über den die Schwarz-Blau-Gegner nicht so gerne reden: Die Politik der Koalition ist beliebt. Bei einer aktuellen Umfrage für die "Oberösterreichischen Nachrichten" kam die ÖVP auf 40 bis 44 Prozent, die FPÖ auf 32 bis 36 Prozent. Sehr gute Werte und deutlich mehr als bei der Landtagswahl 2015. Die Gegner verweisen auf den Umfragezeitraum Ende Oktober/Anfang November (also bevor die Sparpläne so richtig gesickert sind), aber trotzdem gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass der Kurs im Moment von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wird.

"Die Menschen werden die Auswirkungen erst mit Verzögerung spüren", sagt Stefan Kaineder. "Ein Beispiel: Das Land Oberösterreich wird die Winternotversorgung streichen müssen. Da werden 150.000 Euro gespart, nur damit die wohnungslosen Menschen dann in den Notaufnahmen der Krankenhäuser landen." Auch die Kürzungen der Mindestsicherung werden erst auf Dauer richtig sichtbar werden.

Zuschauerrolle

Wenn man mit den Betroffenen und Gegnern des Sparkurses spricht, klingt das manchmal hoffnungsvoll, manchmal kämpferisch und gelegentlich auch ein bisschen hilflos. Und es ist auch Teil von etwas Größerem. Die Gerstorfers, die Kaineders, die Diesenreiters, sie alle reden gegen eine Wende an, die im Gange ist und gegen die sie im Moment nicht viel tun können. In Oberösterreich gilt seit spätestens einem Jahr das, was seit dem 15. Oktober auch im Bund gilt: Den linken Kräften ist das Heft des Handelns aus der Hand genommen worden. Sie können Demonstrationen organisieren, Interviews geben und versuchen, partiell Vorhaben abzuwenden. Aber parlamentarisch befinden sie sich mehr und mehr in einer Zuschauerrolle.

Der nächste große Brocken sind die Gehaltsverhandlungen mit den öffentlich Bediensteten: Das Land will den Abschluss des Bundes von plus 2,33 Prozent nicht übernehmen und die Gehälter nur um ein Prozent erhöhen. Widerstand ist programmiert, am 5. Dezember ist in Linz eine größere Demonstration der Gewerkschaften angekündigt.

Noch ist an vielen Stellen unklar, wie sich die Pläne im nächsten Jahr auf das Leben der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher konkret auswirken werden. Das Budget ist noch nicht beschlossen, viel hängt von der konkreten Exekution ab, und öffentlicher Protest hat -gerade was Einzelfälle angeht - in der Vergangenheit immer wieder Dinge verändert. Aber eines ist klar: Der Paradigmenwechsel kommt, und die Verunsicherung ist groß.