"Meine Familie ist in Lebensgefahr und die Welt schaut zu"

Junge Kurdin bangt um ihre Familie

Vor zwei Jahren wurde Rania Ali europaweit bekannt. Sie hatte ihre Flucht aus Syrien nach Wien gefilmt, das Video ging viral. Jetzt meldet sich die 24-Jährige wieder zu Wort: "Meine Familie ist in Lebensgefahr und die Welt schaut zu"

von Todesangst - "Meine Familie ist in Lebensgefahr und die Welt schaut zu" © Bild: Ricardo Herrgott/News

Die junge Frau trägt Schwarz. Schwarze Bluse, schwarze Jacke, schwarzes Kajal um die dunklen Augen. Sie schaut reifer aus als vor zwei Jahren. Damals, als News Rania Ali zum ersten Mal traf, erzählte sie von ihrer Flucht aus Syrien, die sie filmte. Die britische Zeitung "Guardian" veröffentlichte das Video auf ihrer Facebook-Seite. Bis heute klickten 1.026.028 Menschen drauf. Rania Ali ist jetzt 24 Jahre alt, hat ein Stipendium von der Webster University in Wien und hat Angst davor, dass ihre Familie in den nächsten Tagen stirbt.

Sie hörten die Bomben explodieren

Ihr 59-jähriger Vater, ein ehemaliger Biologielehrer, lebte bis vor wenigen Tagen mit Ranias vier Geschwistern in einer kleinen Altbauwohnung in Kobane, der syrischen Grenzstadt zur Türkei. Die Nachbarschaft ist seit dem IS-Angriff im Jahr 2015 zerbombt, es gibt dort weder eine Schule noch Arbeit. Aber der Strom funktioniert meistens. Lebensmittel und Trinkwasser kann der 59-Jährige auf Märkten kaufen. Rania Ali überweist ihrer Familie monatlich 400 Euro. Für den Unterhalt, für die Miete. Auch im Kriegsgebiet kostet Leben Geld. Seit vorvergangenen Mittwoch ist alles anders. Es wird wieder gebombt.

© Ricardo Herrgott/News

Rania Alis Onkel sah die Soldaten, noch bevor die Nachrichten darüber berichteten: Türkische Bodentruppen positionierten sich mit ihren Panzern an der Grenze zu Syrien. Um 15.10 Uhr österreichischer Zeit gab Erdoğan per Twitter bekannt, dass die Türkei ihre Militäroperation gegen die Kurdenmiliz YPG begonnen habe. Kurz drauf hörte Alis Vater mit seinen Kindern die Bomben explodieren. Dunkle Rauchwolken stiegen über Kobane auf. Einen Weg aus der Stadt schien es nicht mehr zu geben. Die F-16-Kampfjets der türkischen Luftwaffe flogen Angriffe. Mörsergranaten schlugen ein. Krankenwagen rasten durch die zerstörten Straßen. Die Familie hatte Todesangst.

Es gibt keinen sicheren Weg raus

Rania Ali sitzt in ihrem WG-Zimmer und wird wahnsinnig. Immer wieder wählt sie die Handynummer ihres Vaters. Sie liest die Nachrichten, beobachtet Twitter und weiß nicht, ob ihre Familie noch am Leben ist. 44 Mal wird die Telefonverbindung unterbrochen, beim 45. Mal hört sie die Stimme ihres Vaters. "Rania, wir leben", sagt er. Die Verbindung ist schlecht, nach drei Minuten ist sie tot. Aber es reicht, um Rania Ali die Flucht zu schildern. Es reicht, dass sie mit ihrer 20-jährigen Schwester sprechen und erfahren kann, wo sich die Familie jetzt aufhält.

Zu Fuß liefen sie Sonntagfrüh zum Stadtrand von Kobane. Sie hatten weder Lebensmittel noch Kleidung dabei. Der Onkel wartete in einem Auto. Er brachte sie raus. Die Fahrt dauerte 20 Minuten. Dann erreichten sie das Dorf. Rania Ali zeigt es auf Google Maps. Dort gibt es sieben Häusern. Mehr nicht. "Alle Menschen aus Kobane flüchten aufs Land, weil es dort noch sicher ist", erzählt Rania Ali. Aber die Frage ist: Wie lange noch?

Die kurdische Familie weiß nicht, wohin. Es gibt keinen sicheren Weg in eine andere Stadt. Rania Ali sagt, dass ihr Vater nicht in die Regionen des Assad-Regimes flüchten kann. Von diesem sei er zuvor bedroht worden, weil Rania Ali nach Wien flüchtete und alles publik machte. Zu den Türken geht es auch nicht, die bekämpfen ja die Kurden. Dazu kommt, dass sich bereits die ersten IS-Kämpfer befreien konnten. Die Angst, dass sie in die Dörfer einfallen, ist groß. Und jetzt kommt der Winter. Es wird immer kälter in Syrien.

Rania Alis Körper bebt. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie ist verzweifelt. Zwei Jahre lang hat sie versucht, ihre Familie nach Wien nachzuholen. Ohne Erfolg. Jetzt klagt sie an: "Meine Familie ist in Lebensgefahr und die Welt schaut zu."