So tickt
Österreich

Vier Wochen nach der Wahl, noch immer keine Bundesregierung, aber dafür ein neuer Nobelpreisträger. Und: wieder einmal internationale Schlagzeilen wegen eines Keller-Täters aus unserem Land

von Promis am Wort - So tickt
Österreich © Bild: shutterstock

1. Gottfried Helnwein

Es ist etwas los, es tut sich etwas. Die Grünen, die keine Stimmen bekommen haben, bekommen jetzt viele, was wahrscheinlich zu dem Irrtum verleiten könnte, dass sie etwas geleistet haben. Aber das stimmt überhaupt nicht. Es ist einfach nur eine Aufforderung vom Wähler, etwas für die Umwelt zu machen. Es gibt einen enormen Druck auf die Politik. Politiker, die überleben wollen, müssen sich des Themas "Umwelt" annehmen. Das stellt auch das System des Kapitalismus in Frage, damit meine ich den Raubkapitalismus. Ich denke dabei an Amerika.

Dieses Land ist seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen im Kriegszustand. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind 50 Millionen Menschen gestorben. Der größte Treibhausgaserzeuger ist die amerikanische Armee. Man muss umdenken. Die ganze Landwirtschaft wird zerstört. Die kleinen Bauern gehen zugrunde. Im Zeitalter der weltweiten Kommunikation kann auch ein kleines Land wie Österreich etwas bewirken. Wir haben die Atomkraft in Zwentendorf abgestellt. Das Volk hat gegen die Regierung entschieden. Da habe ich großen Respekt vor Österreich. Die Regierung unter Kreisky, der die Atomkraft wollte, hat sich dem Plebiszit gebeugt. Das macht man im Rest der Welt nicht.

Österreich kann Standards setzen

Bei uns ist genmanipulierte Nahrung verboten. Das wird zwar nicht halten, weil der Druck der Weltkonzerne zu stark sein wird. Aber das ist ein Zeichen. Wenn Kurz mit den Grünen eine grüne Politik macht, heißt das nicht, dass man kommunistisch wird. Aber in dieser Gefahr befindet sich Österreich sowieso nicht. Und: Es gibt kein Land, wo so viel biologisches Essen angebaut wird wie in Österreich. Jedes Gasthaus hat biologisches Essen, das ist in Amerika undenkbar. Es gibt viele Beispiele, wo Österreich Standards setzen kann und es auch sollte. Ibiza ist überbewertet. Was haben wir davon gelernt? Dass Politiker korrupt sein können? Da fehlt mir das Überraschungsmoment.

2. Elisabeth Gürtler

Wenn man das Ibiza-Video sieht mit der gewissen Primitivität, die da zum Vorschein gekommen ist, und sich vorstellt, dass so jemand Vizekanzler der Republik war, ist das furchtbar. Generell gibt es aber sehr viel Gutes in Österreich, das mich stolz macht: nicht nur, was z. B. Wohlstand und Sicherheit anbelangt oder dass Wien in Rankings immer wieder als lebenswerteste Stadt aufscheint.

© www.lukasilgner.at News Lukas Ilgner Elisabeth Gürtler Grande Dame der österreichischen Hotellerie (Sacher, Astoria)

Oder der junge Bundeskanzler, der viel von dem, was das zehn Mal so große Deutschland erreichen will, bereits hierzulande politisch durchgezogen hat. Die deutsche Wirtschaft hätte gerne die Situation, die wir haben: Wir werden darum beneidet, dass es bei uns eine Regierung gibt, die für die Wirtschaft etwas tut. Das überstrahlt auch das momentane etwas störende Interregnum.

»Viel Gutes, was mich stolz macht«

Natürlich sind die Klischees von Österreich - von den Sängerknaben bis zu den Lipizzanern -nach wie vor in der Welt präsent, es werden aber auch Unternehmer wie René Benko, der heute ein internationaler Player ist, wahrgenommen. Auch medizinisch ist bei uns sehr viel möglich, was es in anderen Ländern noch nicht gibt -wie gerade jüngste Ereignisse zeigen. Natürlich könnte mehr in Sachen Forschung und Entwicklung getan werden, wenn man beispielsweise Österreich - und Europa insgesamt -mit China und Asien vergleicht. Auf der anderen Seite ist es aber fraglich, ob so ein Fortschritt in technischer bzw. digitaler Hinsicht wirklich auch erstrebenswert ist.

3. Ariel Muzicant

Wir sind das Land der Nobelpreisträger und der Kellernazis. Kulturell und in vielen anderen Bereichen sind wir der Mittelpunkt Europas, in Wien leben wir in perfekter Umgebung, und dann passieren Dinge, wie die Einzelfälle der FPÖ oder deren Kellernazis, die zu Sorge Anlass geben. Wir haben eine funktionierende demokratische Gesellschaft und gleichzeitig findet niemand etwas dabei, wenn die "Aula" (eine rechtsextreme Zeitschrift, Anm.) neu gegründet wird und Hunderttausende die FPÖ weiter wählen, die in jenen rechtsextremen Medien inseriert, die zu Dingen führen wie dem Attentat von Halle.

Es ist dieser Gegensatz, der stutzig macht. Dennoch: Im Vergleich zu vor 30, 40 Jahren ist Österreich mittlerweile ein Paradies. Wir haben eine wache Zivilgesellschaft, kritische Medien und den Reichtum des Landes. Unsere Seen haben Trinkwasserqualität und es gibt ein Kulturfestival nach dem anderen. Zu Peter Handke sage ich: Man muss nicht seiner Meinung sein, aber er wurde nicht wegen dieser ausgezeichnet, sondern wegen seines literarischen Werts -wie im übrigen auch Elfriede Jelinek. Wir sollten stolz auf beide sein: Welches Land bekommt schon zweimal den Nobelpreis?

Der Gegensatz macht stutzig

Wir sollten uns daran freuen und uns nicht an Handkes Meinung festbeißen. Frühere Nobelpreisträger haben wir in der Nazizeit verjagt. Was ich mir für dieses Land wünsche? Dass die künftige Regierung Geld für Bildung und Integration ausgibt, um zum Beispiel Leute, die in rechtsextremen Ecken sitzen, aus diesen herauszuholen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Regierung mit diesen Menschen auseinandersetzt, und zwar mit positiven Maßnahmen, denn niemand kommt mit Hass auf die Welt.

4. Matthias Steiner

Österreich ist für mich ein Land der Gegensätze. Geografisch klein, geschichtlich groß. Immer für eine Schlagzeile gut und doch beim großen Bruder überaus beliebt und immer wieder bewundert. Österreich ist weltpolitisch klein genug, um Skandale wie die Ibiza-Affäre wegzustecken. Es zeigt damit aber auch, dass in unserer Gesellschaft die Akzeptanz für Skandale immer größer wird.

Passiert einfach oft genug etwas, so ist dies normal. Dass aber ausgerechnet wieder ein Österreicher für ein Keller-Drama verantwortlich ist, zeigt den morbiden Charme der österreichischen Seele, zumindest wird dies dann von außen so wahrgenommen. Nun besteht Österreich aus neun Bundesländern mit unterschiedlichen Charakteren. Und gerade davon lebt dieses Land.

Die Akzeptanz für Skandale wächst

Die Tourismusbranche, überwiegend im Westen, poliert dieses Image des kulinarischen Traums und der Gastfreundlichkeit auf, wohingegen der Osten des Landes sich Mühe gibt, nicht alles überzubewerten und dabei auch den leicht schwarzen Humor behält, der das Leben an sich einfach erträglicher macht. Wenn ich das Wort "Wien" in den Mund nehme, so schmelzen die Leute nur so dahin. Der Österreicher kann und muss auf seine Hauptstadt stolz sein. Vor allem der soziale Wohnungsbau, die gute Küche, das oft schöne Wetter, die historische Substanz und die öffentlichen Verkehrsmittel sind in einer Weltstadt selten gemeinsam zu finden. Mich wundert eigentlich nur, dass der gemeine Österreicher nicht noch selbstbewusster ist. Das Potenzial hat dieses Land, aber ich habe meist den Eindruck, die Menschen in diesem Land sind zufrieden mit dem, was sie haben. Zumindest im Großen und Ganzen.

5. Karl Schwarzenberg

Ich habe Österreichs Aufstieg miterlebt. Österreich ist heute eines der reichsten Länder der Welt, ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat, und daran haben die frühere Große Koalition und die Sozialpartnerschaft einen wesentlichen Anteil. Sie haben verhindert, dass die Gegensätze, die nach dem Ersten Weltkrieg zum Bürgerkrieg geführt haben, wieder aufbrechen.

© www.lukasilgner.at Lukas Ilgner News Auftrag Karl Schwarzenberg Früherer tschechischer Außenminister

Die demokratischen Institutionen dieses Landes haben sich bewährt, auch wenn sie den Leuten mit der Zeit auf die Nerven gegangen sind und sie zuletzt anders gewählt haben. Ein zweiter Gedanke: Was Österreich in seiner Spendenfreudigkeit leisten kann, hat man bei der ungarischen Revolution, nach 1968 in der Tschechoslowakei, nach den Ereignissen in Polen in den 80er-Jahren und nach dem Jugoslawienkrieg gesehen. Diese Hilfsbereitschaft darf man nicht unterschätzen.

Graben zwischen links und rechts

Es ist traurig, wie in den letzten Jahren gegen diese gewettert wird. Dabei gibt es sie noch, auch wenn sich Leute darüber das Maul zerreißen. Ich wünsche mir, dass Österreich weiterhin so gedeiht, dass es Schwächen, die es in den letzten Jahren im Umgang mit Migration und Menschenrechten gezeigt hat, überwindet. Und dass seine Politiker es vermeiden, dass sich zum ersten Mal wieder ein Graben zwischen rechts und links auftut. Ich spüre, dass man kein Verständnis für die Gegenseite hat, wir haben immer das Gespräch gesucht, das würde ich mir auch heute wünschen.

6. Marc Girardelli

Österreich ist für mich eines der schönsten Länder in der Welt, und ich kenne sehr viele davon. Vor allem die Herzlichkeit der Menschen sticht heraus, und viele andere Länder beneiden uns für unseren Humor und die Gastfreundschaft.

© News Maurice Andre Shourot Auftrag Marc Girardelli Ehemaliger österreichischer Spitzenskifahrer Marc Girardelli, der für Luxemburg an den Start gegangen ist

7. Andreas Bierwirth

2019 ist bisher ein wirklich turbulentes Jahr gewesen. Und Österreich hat mit leider sehr aufmerksamkeitsstarken Ereignissen eine wenig gute Visitenkarte abgegeben. Die haben viele gute Dinge in diesem Land überstrahlt. Aber sie werden vergehen, vor allem dann, wenn Transparenz und auch die "Grenzen des Menschenverstandes" nicht mehr verletzt werden.

© T-Mobile / OTS

auch sollte der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung entgegengewirkt werden. Kennzeichnend für die Kultur hierzulande ist für mich die "österreichische Lösung", die auf Lösungsorientierung, Konsens und Pragmatismus beruht. Eine gute Charaktereigenschaft aus meiner Sicht. Durch Reden, Zuhören und Verstehen entstehen hier oft bessere, flexiblere Lösungen als in anderen Ländern. Österreichs Stärken sehe ich in der dynamischen Wirtschaft, dem Sinn für Kultur und der Lebensqualität, die das Land bietet.

Wir denken zu wenig global

Österreich verkauft sich oft unter seinem Wert und wir denken zu wenig global. Auch die Technologieskepsis, die ich da und dort erlebe, ist gefährlich. Und die Stärke der persönlichen Netzwerke, die uns eben Flexibilität schenkt, birgt auch Risiken. Ich erlebe viel Anerkennung für die Leistungen Österreichs in Forschung, Wirtschaft, Kultur. Manchmal erlebe ich international eine fehlende Relevanz aufgrund der Größe Österreichs. Der größte Fehler ist, Österreich allein mit der Schönheit des Landes gleichzusetzen.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von "News" Nr. 43/2019 erschienen