Von schönster
Zerbrechlichkeit

In der Wiener Porzellanmanufaktur Augarten wird wie bei ihrer Gründung vor 300 Jahren jedes Stück von Hand gefertigt und bemalt. Eine Sache für Liebhaber.

von Porzellanmanufaktur Augarten - Von schönster
Zerbrechlichkeit © Bild: News Matt Observe

In vielen Haushalten zieren sie noch die Anrichte, vielleicht jene der Großeltern, die zarten Figuren aus Porzellan: der Reiter der Spanischen Hofreitschule, die Tänzerin, die kämpfenden Pferde oder der schleichende Panther. Junge Leute lassen sich gern ein feines "Augarten-Service" zur Hochzeit schenken. Leichter erschwinglich ist die "Wiener Melange", bestehend aus Becher, Tellerchen und einem Lobmeyr-Glas. Und wer in der Präsidentschaftskanzlei oder in einer österreichischen Botschaft zu einem Bankett geladen ist, speist von feinem Augarten-Porzellan. Seit 300 Jahren wird es in Wien hergestellt, das Kaiserhaus und der Hofadel wurden damit ausgestattet, schon Maria Theresia, Zar Alexander I. von Russland und später das aufstrebende Bürgertum wussten es zu schätzen.

Die Porzellankünstler

Feldspat, Quarz und Kaolin (Porzellanerde) sind die Bestandteile, aus denen Porzellan hergestellt wird. Sie werden mit Wasser aufgemischt. Der Modelleur Karl Blumauer arbeitet an einer Gipsform für eine Tasse mit Rillen, die Teil der 300-Jahre-Jubiläumskollektion wird. Unter dem Tisch hat sich ein Häuflein Gipsabfälle gebildet, denn nicht jede Form ist gleich perfekt. Wenn sie so ausfällt, wie er es sich vorstellt, macht er eine Negativform, die mit der flüssigen Porzellanmasse ausgegossen wird. Sie muss größer sein als das Endstück, denn rund 15 Prozent des Volumens schwinden beim späteren Brennvorgang. Für jedes Stück gibt es eigene Formen. "Fehler", sagt Blumauer, "sieht man oft erst nach der zweiten Brennung. Die Masse merkt sich das." Er ist seit 31 Jahren im Unternehmen, das Handwerk hat er in der Keramikschule in Stoob im Burgenland gelernt. Aber erst die Erfahrung mit dem feinen Material macht das Können aus.

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In der Dreherei werden die runden, offenen Geschirr-und Ziergegenstände angefertigt. Die Modelleure drehen sie über der Gipsform, die sich nach dem Trocknen vom Porzellan löst. Manche Formen sind so schwer, dass mehrere Männer anpacken müssen. Für die Form einer großen Bodenvase hat man einmal 450 Kilo Gips und 380 Liter Wasser angerührt, sie wog über eine Tonne. Und die Form für die Figur "Florence Nightingale", die der Betreiber japanischer Krankenpflegeschulen der Begründerin der modernen Krankenpflege zu Ehren in Auftrag gegeben hat, ist überkopfgroß. Je größer eine Figur, desto komplizierter ist der Aufwand, erläutert Unternehmenssprecher Daniel Bauer. Immer muss mehr als eine Figur hergestellt werden, denn wenn beim Trocknen und Brennen ein Fehler sichtbar wird, ist Ersatz nötig.

300 Jahre Tradition

Porzellan wurde im 14. Jahrhundert von Marco Polo aus China nach Europa gebracht und sehr bewundert. Ab 1710 wurde es im sächsischen Meißen erstmals in einer europäischen Produktionsstätte erzeugt. 1718 verlieh ein Spezialprivilegium des Kaisers Karl VI. dem k. u. k. Hofkriegsagenten Claudius Innocentius du Paquier das alleinige Recht, in den österreichischen Kronländern Porzellan zu erzeugen. Es wurde zunächst in der Porzellangasse am Alsergrund (daher der Straßenname) hergestellt, wo die zweite Porzellanmanufaktur Europas ihren Sitz hatte. Geschäft wurde es aber keines, denn es gab einfach zu wenige Abnehmer. Und so wurde der Betrieb 1744 unter Maria Theresia verstaatlicht. Seither trägt jedes Stück den blauen Schild aus den Wappen der Babenberger als Kennzeichnung. Auf diese Zeit gehen einige der Altwiener Figuren zurück, die heute noch hergestellt werden.

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1864 musste die Manufaktur schließen. Die Industrialisierung und die Konkurrenz durch Manufakturen in Böhmen, die nun auch den Hof beliefern durften, hatten den Wienern auf dem kleinen Abnehmermarkt zugesetzt. Doch die Wiener Moderne bedeutete neuen Aufschwung. Am 2. Mai 1923 wurde am heutigen Standort im Augarten in der Leopoldstadt die "Wiener Porzellanmanufaktur Augarten" eröffnet. Künstler wie Josef Hoffmann, Michael Powolny, Franz von Zülow, Vally Wieselthier entwarfen für Augarten.

Aus 60 Einzelteilen

Ihre Entwürfe sind auch heute Vorbild vieler Figuren. Vom Powolny-Hasen zum Beispiel wurden 1.500 Stück produziert. Da sitzen mehrere Figurenbauer und formen tagein, tagaus Hasen, und zwar deutlich mehr als 1.500, weil beim Brennvorgang immer Fehler auftauchen können. Einige Schritte weiter liegen 60 teils winzig kleine Porzellanteile, scheinbar ungeordnet. Doch die Figurenbauer wissen genau, wie sie daraus einen Pferd und Reiter zusammensetzen. Die einzelnen Stücke der gegossenen oder gedrehten Rohware werden von Hand zusammengeklebt und zur endgültigen Form vollendet. Dann bekommt der Reiter noch Stützen verpasst, denn ohne sie würde er im Brennofen umkippen. Eine Tänzerin liegt da, elegant zu Boden geneigt, fast wie zur Warnung.

Im Ofen, beim "Glühbrand", werden die Figuren nun bei 950 Grad gebrannt. Danach hat die Figur eine raue Oberfläche. Jetzt wird der Bindenschild, das Firmenzeichen, mit kobaltblauer Farbe aufgestempelt. Weil später noch einmal gebrannt wird, kann man es auch nicht entfernen. Nun folgt das Glasieren. Mit eleganter Handbewegung zieht die Mitarbeiterin die Figur kurz durch flüssiges Porzellan. Sekunden später ist sie glatt, und es müssen nur noch die Ränder sauber gepinselt werden.

In der Brennhalle stehen die "Ofenhunde" - Paletten, die mit Porzellan vollbepackt sind und die auf den zweiten, den "Glattbrand" warten. Bei 1.375 Grad wird die Oberfläche perfekt glatt und hart. Porzellan hat eine ähnliche Druckfestigkeit wie Stahl. Und jetzt ist das Stück geschrumpft, das Porzellan hat seine eigentliche Größe erreicht.

Zittern nicht erlaubt

In der nächsten Abteilung sitzen FigurenmalerInnen vor vielen Bechern und Figuren, Hunderte Pinsel und viele Farben darum drapiert. Hier wird eine Reihe von eleganten Pferden bemalt, dort die Vase "Pinocchio", die so konstruiert ist, dass sie nicht umfallen kann. Bis man herausfand, wie man sie im Ofen brennen kann, da sie ja nicht stehen kann, hatten die Experten im Haus eine Weile zu tüfteln. Wer den Figurenmalern über die Schulter linst, staunt über ihre fein gezogenen Linien. Ob man sie störe? Ach nein, sie sind das gewöhnt, da zackt keine einzige Linie aus.

© News Matt Observe Aus etwa 60 Einzelteilen setzen die Figurenbauer ein Pferd mit Reiter zusammen

Die speziellen Farben verschmelzen beim "Dekorbrand" bei 820 Grad mit der Glasur. Die EU macht den Porzellanmanufakturen Europas derzeit einiges Kopfzerbrechen. Sie will die Keramikrichtlinie verschärfen und die Grenzwerte für Blei und Cadmium senken. In manchen der verwendeten Farben ist Blei enthalten. Wo es geht, werden ohnehin bleifreie Farben verwendet. Aber wer ein Stück mit traditionellem Dekor nachbestellt, will, dass es den gleichen Farbton hat. Kommt die EU-Vorgabe, wäre die klassische Aufgussmalerei nicht mehr möglich, denn Alternativen gibt es nicht. Also gibt es Gespräche der Manufakturen mit der EU -sie hoffen auf Ausnahmeregelungen.

Fans aus Japan

Großes Geschäft ist das keines, denn Porzellan, wie es hier aufwendig erzeugt wird, ist ein Nischenprodukt, der Markt begrenzt. Im Jahr 2003 schlitterte das Unternehmen in die Insolvenz und wurde vom Sanierer Erhard Grossnigg übernommen. 2017 war das Unternehmen, dessen Geschäftsführung vor wenigen Wochen neu besetzt wurde, nahe an der Gewinnzone. 35.000 Stück Augarten-Porzellan werden jährlich hergestellt. Die meisten KäuferInnen kommen aus Österreich, der größte Auslandsmarkt ist Japan, wo zartes Porzellan und Biedermeier-Dekor beliebt sind, gefolgt von Südkorea.

Bestseller des Hauses ist die Champagnerschale mit poliertem, 24-karätigen Gold-und Platindekor. Der Preis von 98 Euro macht sie zu einem beliebten Geschenk. Auch die Kaffeetasse "Melone", ein Hoffmann-Entwurf, hat - besonders in den USA -viele Liebhaber. Sie kostet 489 Euro, ist aber im Vergleich etwa mit der 30 Zentimeter großen "Capriole" aus der Reihe Spanische Hofreitschule um 4.100 Euro fast ein Schnäppchen.

Interessante Zahlen

1.375 Grad erreicht die Hitze beim zweiten, dem "Glattbrand", der dem Porzellan die nötige Härte, perfekte Glätte und Glanz gibt

35.000 Stück Porzellan werden in der Manufaktur im Augarten hergestellt. Jedes Stück wird in Handarbeit sorgfältig geformt, bemalt und gebrannt

Aus etwa 60 Einzelteilen setzen die Figurenbauer ein Pferd mit Reiter zusammen

1.500 Stück des "Powolny-Hasen" aus den 1920er-Jahren sind in Arbeit, das dauert fünf Wochen. Rechts zwei modernere filigrane Figuren

Dieser Artikel erschien ursprünglich im News Wien01/18

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