EU-Erklärung
für Türkei "wertlos"

Diplomatische Krise: Haltung der EU im Konflikt für Ankara "Besorgnis erregend"

Die Türkei hat die Erklärung der EU zur aktuellen diplomatischen Krise als "wertlos" bezeichnet. "Die kurzsichtige Erklärung der EU hat für unser Land keinen Wert", teilte das türkische Außenministerium am Dienstag mit. Es sei "äußerst Besorgnis erregend", dass die EU sich auf die Seite der Niederlande gestellt habe, "die eindeutig Menschenrechte und europäische Werte verletzt haben".

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Politischer Konflikt - EU-Erklärung
für Türkei "wertlos"

Brüssel hatte die Regierung des EU-Beitrittskandidatenlandes am Montag aufgefordert, "auf überzogene Erklärungen und Handlungen zu verzichten, welche die Lage weiter zu verschärfen drohen". Am Wochenende war ein diplomatischer Konflikt zwischen Den Haag und Ankara eskaliert, als türkische Minister entgegen dem erklärten Willen der dortigen Regierung Auftritte in den Niederlanden absolvieren wollten. Außenminister Mevlüt Cavusoglu wurde die Landeerlaubnis verweigert, Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam von der Polizei gestoppt und wieder außer Landes komplimentiert.

Auf Konfrontationskurs

Die Türkei setzt im Streit mit den Niederlanden über Wahlkampfauftritte von Politikern immer stärker auf Konfrontation. Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte am Montag an, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Die Regierung will zudem die diplomatischen Beziehungen auf höchster Ebene aussetzen und den niederländischen Botschafter nicht mehr einreisen lassen.

Ministerpräsident Mark Rutte sagte, solange sein Land bedroht werde, gebe es mit der türkischen Regierung keine Verhandlungen. Die deutsche Regierung solidarisierte sich mit den Niederlanden. Kanzlerin Angela Merkel sagte am Montag in München, sie lehne Nazi-Vergleiche türkischer Politiker ab, dies gelte auch für "befreundete Länder wie zum Beispiel die Niederlande".

Das türkische Außenministerium kritisierte weiter, im Streit um Auftrittsverbote türkischer Minister habe sich die EU an die Seite der Niederlande gestellt, obwohl die Regierung in Den Haag "Menschenrechte und europäische Werte klar verletzt hat". Zuvor hatte Erdogan Merkel scharf angegriffen. "Kanzlerin Merkel stellt sich auch auf die Seite Hollands. Schande über Dich! Du bist also auch deren Meinung. Das bedeutet nichts anderes. Da sie sagt 'ich bin auf Deiner Seite' heißt das, dass sie genauso denkt", sagte er im Interview mit A Haber und ATV am Montagabend.

Regelmäßige Nazi-Vorwürfe

Erdogan hatte den Niederlanden und auch Deutschland bereits Nazi-Methoden vorgeworfen. Diese Kritik wies die deutsche Kanzlerin Merkel zurück. Sie führe völlig in die Irre und verharmlose das Leid, sagte sie in München. Die EU-Kommission warnte die Türkei davor, den Streit zu befeuern. Die Zu- und Absage von Wahlkampfauftritten sei aber allein Aufgabe der Mitgliedsländer. Damit widersprach die Kommission Forderungen etwa aus Deutschland, die EU müsse eine gemeinsame Linie bei den Auftritten finden.

Die EU-Kommission kündigte an, die Novelle der türkischen Verfassung mit Blick auf die Beitrittswünsche genau zu prüfen. Erdogan rechtfertigt die Reformpläne damit, die Türkei werde damit nach dem gescheiterten Militärputsch vom vergangenen Sommer stabilisiert.

Türkische Minister fordern Einreiserecht ein

In ihrem Streit mit europäischen Staaten haben türkische Minister im Wahlkampf wiederholt ein Recht auf Einreise und freie Meinungsäußerung eingefordert. Dagegen stellte das Bundesverfassungsgericht für Deutschland klar, weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht gebe ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch, in das Bundesgebiet einzureisen, um amtliche Funktionen auszuüben.

Auf die Deeskalationsaufforderung seitens der EU teilte das türkische Außenministerium mit, die Mitteilung der EU "befeuert Extremismus wie Ausländerfeindlichkeit und anti-türkische Gefühle", weil der Aufruf zur Deeskalation nur an die Adresse der Türkei und nicht an die eigentlich verantwortlichen Staaten gerichtet sei. "Unsere EU-Ansprechpartner wenden demokratische Werte, Grundrechte und Freiheiten nur selektiv an", hieß es weiter. "Aus all diesen Gründen hat die kurzsichtige EU-Erklärung keinen Wert für uns."

15 Wahlkampf-Auftritte in Deutschland

Mindestens 15 Deutschland-Auftritte von türkischen Ex-Ministern, Abgeordneten und Top-Funktionären der Regierungspartei AKP sind der deutschen Bundesregierung vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu bis Ende März angekündigt worden. Das berichtete "Bild.de" am Dienstag. Die meisten dieser Wahlkampfauftritte sind den Angaben zufolge in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Stuttgart, Hamburg und München geplant.

Die Wahlkampftermine stehen im Zusammenhang mit dem Verfassungsreferendum am 16. April, das dem Präsidenten mehr Macht verleihen soll. 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken sind wahlberechtigt. In mehreren europäischen Ländern waren Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern zuletzt abgesagt worden - unter anderem in den Niederlanden und Deutschland.

Merkel kontert mit lautem Schweigen

Merkel ließ die Vorwürfe, die die Türkei immer wieder gegen Deutschland erhebt, an sich abperlen. "Die Bundeskanzlerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokationen zu beteiligen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert schon am Montagabend. "Sie macht das nicht mit. Die Vorwürfe sind erkennbar abwegig." In einer Rede am Dienstag in Berlin ging Merkel dann auch nicht auf das Thema Türkei ein.

Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisierte die jüngsten Vorwürfe Erdogans gegen Merkel als "absurd". Der Vorwurf der Terrorismus-Unterstützung reihe sich ein in Äußerungen der türkischen Seite, "die absurd sind, die keine reale Grundlage haben", sagte de Maizière am Dienstag in Berlin.

Solche Angriffe hätten als einziges Ziel, in Zusammenhang mit dem türkischen Verfassungsreferendum "die Türkei in eine Opferrolle zu bringen", fügte der Innenminister hinzu. Es sollten "Solidarisierungseffekte" erzeugt werden bei denen, die das Vorhaben Erdogans zum Aufbau eines Präsidialsystems bisher nicht unterstützten.

Erdogan wirft Niederländern Massaker von Srebrenica vor

Indes hat Erdogan den Niederlanden sein Versagen beim Massaker im bosnischen Srebrenica angelastet. "Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica", sagte Erdogan bei einer Veranstaltung in Ankara. "Wie verdorben ihre Natur und ihr Charakter ist, wissen wir daher, dass sie dort 8.000 Bosniaken ermordet haben." Erdogan fügte hinzu: "Niemand soll uns Lektionen in Zivilisation geben. Dieses Volk hat ein reines Gewissen. Aber deren Gewissen ist pechschwarz."

Tatsächlich hatten das Massaker in Srebrenica 1995 bosnisch-serbische Truppen verübt. Niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen hatten den Angreifern die Stadt zuvor allerdings kampflos überlassen. Bei dem Massaker an Männern und Burschen handelte es sich um den schlimmsten Völkermord nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa.

Strafrechtliche Folgen für den damaligen UN-Kommandanten Thom Karremans hatte der Völkermord in Srebrenica keine. Die niederländischen Behörden hätten in dem Fall ausreichend ermittelt, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im September des Vorjahres in Straßburg. Auch die Entscheidung der Strafverfolger, den Niederländer nicht wegen Beihilfe zum Völkermord anzuklagen, sei gerechtfertigt gewesen. Die Hinterbliebenen von drei Opfern hatten sich gegen diese Entscheidung gewehrt.

Österreichische Solidarität mit Niederlanden

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte seine Solidarität mit den Niederlanden. In einem Telefonat mit dem niederländischen Außenminister Bert Koenders am Montag betonte Kurz seine Haltung zu türkischen Wahlkampfveranstaltungen in Österreich. "Die Polarisierung darf nicht nach Österreich getragen werden", erklärte er gegenüber Koenders.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) bekräftigte unterdessen am Montagabend, Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Österreich verhindern zu wollen. Beim bevorstehenden Referendum gehe es "mehr oder weniger um die Abschaffung der Demokratie in der Türkei", sagte er in der ZiB2 des ORF. Kern warnte angesichts der Bilder aus Rotterdam vor bewussten Eskalationsversuchen.

EU-Abgeordnete uneins über Auftrittsverbot

Uneins haben sich Europaabgeordnete über ein Auftrittsverbot für türkische Politiker zu Wahlkampfzwecken geäußert. Der ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas forderte in Straßburg eine europäische Vorgehensweise, derzeit geschehe viel aus einer innenpolitischen Stimmungslage. Karas und der Vizepräsident der Sozialdemokraten, Josef Weidenholzer, verlangten insbesondere eine Debatte über gemeinsame Standards in der EU für Doppelstaatsbürgerschaften. Selbst das türkische Recht untersage Wahlwerbung im Ausland, betonte Weidenholzer.

SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner wies jedoch darauf hin, dass es derzeit keine Kompetenzgrundlage für die EU in der Frage der Auftrittsverbote gebe. Jedes Land habe Möglichkeiten , Maßnahmen zur Sicherung der inneren Ordnung zu setzen. Der Ton des türkischen Präsidenten Reccep Tayyip Erdogan sei "indiskutabel", Europa müsse ihm gegenüber eine klare Sprache finden. "Ich glaube, dass wir nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen sollten, sondern mit mehr Gelassenheit vorgehen sollten", sagte der SPÖ-Europaabgeordnete Eugen Freund. Nach Ansicht von Weidenholzer provoziert Erdogan, "weil er auf der Verliererstraße ist" in Hinblick auf das geplante Verfassungsreferendum.

Vor einer Anlassgesetzgebung in Österreich warnte die Grüne Delegationsleiterin und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek. Es sei aber sinnvoll, der Türkei zu sagen, dass solche Veranstaltungen nicht erwünscht wären. Statt einer Wahlwerbung sollte versucht werden, eine Debatte zu führen. Lunacek erwartet, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht mehr fortgeführt werden, wenn Erdogan das Verfassungsreferendum gewinnt, weil sich dann die EU-Kommission die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien genau anschauen werde.

Die Neos-Europaabgeordnete Angelika Mlinar sagte, von der derzeitigen Eskalation zwischen der Türkei und den Niederlanden profitierten sowohl Erdogan als auch der niederländische Premier Mark Rutte sowie die Medien. Grundsätzlich habe aber die niederländische Regierung mit dem Auftrittsverbot recht. Auftritte im Ausland dürften nicht dazu verwendet werden, um die demokratischen Rechte zu beschneiden.

Neuer Tiefpunkt

Der Streit ist ein neuer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU und lässt einen Beitritt zur Union in immer weitere Ferne rücken. Hintergrund sind Auftritte türkischer Politiker, die in beiden Staaten für ein Referendum werben wollen, mit dem ein umstrittenes Präsidialsystem installiert werden soll, das Erdogan deutlich mehr Macht geben würde. Die Niederlande untersagten Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Wochenende die Einreise und verwiesen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya des Landes. Daraufhin kam es in Rotterdam zu Krawallen. Die Regierung in Ankara forderte nun eine Maßregelung von Polizisten, die dabei gegen Anhänger Erdogans vorgegangen waren.

Der Präsident selbst erklärte: "Sie nutzen das internationale Recht, wenn es ihnen passt, und reden sich heraus." Es würden bereits Vorbereitungen getroffen, den Fall vor den Menschenrechtsgerichtshof zu bringen. "Wir werden dafür sorgen, dass die Niederlande dafür schnell zur Rechenschaft gezogen werden." Deutschland warf der Politiker vor, "gnadenlos" den Terrorismus zu unterstützten. Der in der Türkei inhaftierte deutsch-türkische "Welt"-Journalist Deniz Yücel sei ein Agent und ein Terrorist.

Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus kündigte schließlich an, dass Flugzeuge mit niederländischen Diplomaten an Bord nicht mehr in der Türkei landen dürften. "Wir machen genau das, was sie mit uns gemacht haben." Dem Parlament solle empfohlen werden, das Freundschaftsabkommen mit den Niederlanden aufzukündigen. Kurtulmus stellte außerdem das türkisch-europäische Flüchtlingsabkommen erneut infrage. Wirtschaftssanktionen oder Reisebeschränkungen für normale Bürger sind aber offenbar nicht geplant.

Die Niederlande sind mit einem Volumen von 22 Milliarden Dollar (20,63 Mrd. Euro) für die Türkei die wichtigste Auslandsquelle für Direktinvestitionen. Der EU-Staat steht für türkische Exporteure in der Rangliste zudem auf Platz zehn. Trotz der Angst vor Anschlägen reisen noch immer Hunderttausende Niederländer in die Türkei in den Urlaub.

Kommentare

Wie viele Auslandsösterreicher gibt es, die hier wahlberechtigt sind? Es sind bestimmt viele. Machen unsere Politiker Wahlwerbung im Ausland? Nein. Komischerweise wissen die Leute trotzdem wen sie wählen wollen.
Das wären eher lächerlich und peinlich, würde sich hier eine neue Sitte auftun. Die Auslandstürken können sich genau so informieren, wie alle anderen im Ausland lebenden Staatsbürger auch

Die Türkei glaubt, dass irgendjemand traurig ist, wenn ein Diplomat in der Türkei nicht mehr mit dem Flugzeug landen kann.
NIEMAND wird mehr hinfahren. Weder Diplomaten noch Europäer. Was macht er dann mit den Stadt ähnlichen, grauenhaft großen Hotelburgen, wofür sicherlich die Fördergeldern für einen EU-Beitritt herhalten mussten.
Glauben wirklich, dass ihnen die ganze Welt untertan ist.

Erdowahn, hole Deine Türken heim ins angebliche"Paradies". Biete ihnen gute Jobs und Wohnungen, dann hast Du sie alle vor dem Tor Deines protzigen Riesenpalastes und kannst sie informieren über Dein Programm der Abschaffung der Demokratie und brauchst nicht andere Länder belästigen und beleidigen.

Alleine der Putsch ist ein Märchen, die EU nimmt es ihnen ab...

Subventionen einstellen, Urlaub umbuchen, Exporte und Import stoppen und schon fallen sie Grund und Boden....

Roland Mösl

Geschichtsunterricht als Live Wiederholung. Wie konnten nur so viele Deutsche für Hitler sein, wieso so fanatisch? Schauen wir den Türken heute genau zu, dass wir unsere Großeltern und Urgroßeltern vor 80 Jahren besser verstehen können.

Ein bewusst provoziertes Theater.
Die diplomatischen Spielregeln besagen, dass Regierungsvertreter eines Landes der Zustimmung des Gastlandes bedürfen, wenn sie in offizieller Mission einreisen und auftreten wollen.
Die Niederlande haben Nein gesagt. Das mag man gut oder schlecht finden, aber man hat es zu akzeptieren.

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