So wollen die Grünen
wieder zurückkehren

Weniger erhobener Zeigerfinger, mehr neue Gesichter: Wie die Grünen den Weg zurück in die Wählergunst – und spätestens 2022 in den Nationalrat – finden wollen.

von Politik - So wollen die Grünen
wieder zurückkehren © Bild: Stefanie Lässer/die Grünen

Seit einem Jahr führt Werner Kogler die Grünen ehrenamtlich durch ihre tiefste Krise. Er versucht, zu retten, was zu retten ist, und einen grünen Neustart voranzutreiben. Logiert mit der einst selbstbewussten Bundespartei quasi in Untermiete bei den Wiener Grünen. Braucht sein Erspartes auf, um der Partei, die bei der Nationalratswahl aus dem Parlament geflogen ist, nicht auch noch auf der Tasche zu liegen.

Diesen Samstag soll Kogler nun offiziell in das Amt gewählt werden, das er inter­imistisch schon ausfüllt. Beim Bundeskongress der Grünen im Studie 44 in Wien ist er der einzige Kandidat als Bundessprecher. Kogler ist Gründungsmitglied der Grünen, war Langzeit-Parlamentarier, Aufdecker, Filibuster-Rekordhalter (mit einer Rede von zwölf Stunden und 42 Minuten) – mit anderen Worten ein Urgestein. Ein Partei-Promi einer Partei, die es so nicht mehr gibt. Als bekanntestes Gesicht der Grünen will er nächstes Jahr in den EU-Wahlkampf ziehen, denn hier geht es um viel. Es ist die erste bundesweite Wahl seit dem Desaster von 2017.

Bei dieser muss es ihm gelingen, mit ­einem halbwegs überzeugenden Resultat im Europaparlament zu bleiben. Von einem Halten des Wahlergebnisses von 2014, da kam man auf 14,5 Prozent der Stimmen und das beste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl, wagt kaum einer zu träumen.

Doch rund um Kogler werden bei diesem Bundeskongress auch neue Gesichter auftauchen. Es geht schon um die nächste Nationalratswahl, die spätestes 2022 stattfindet. Wer jetzt ins Führungsteam aufrückt, wird dann wohl zur Wahl stehen. Vor allem aber geht es darum, die Grünen ähnlich schlagkräftig aufzustellen, wie es derzeit die Parteifreunde in Deutschland sind. Diese halten in Umfragen bei bis zu 23 Prozent. Bei der Bundestagswahl in Deutschland voriges Jahr waren es gerade einmal knapp neun Prozent. Ihr Aufschwung seither liegt aber nur zum Teil daran, dass grüne Urthemen wie der Klimawandel nach einem Hitzesommer, einem untypisch warmen Herbst und eindrucksvollen Sturmkatastrophen endlich ins Bewusstsein der Menschen rücken.

© Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott Werner Kogler hat es nach dem Wahldesaster im Vorjahr übernommen, den Grünen wieder neues Leben einzuhauchen

Die Wählerinnen und Wähler wenden sich in Deutschland von den zerstrittenen Volksparteien CDU und SPD ab. Die Grünen fangen diese Stimmung ein, indem sie sich ein positives, anpackendes, konstruktives Gesicht geben. Und den erhobenen Zeigefinger (ein Aufreger in Deutschland war etwa die Forderung nach einem fleischfreien Tag in Kantinen) weglassen.

Wer nun also die Zukunft der Grünen in Österreich kennenlernen will, muss sich in den Bundesländern umsehen. Hier ist – in den Landtagen und Gemeinderäten – jene neue Generation aktiv, die sich in einem „Next Generation Lab“ Gedanken über die Neuaufstellung der Partei macht. „Politik soll nicht den Menschen ändern, sondern das System“, erklärt die Vorarlberger Landtagsabgeordnete Nina Tomaselli. Heißt: Man wolle nicht mehr den Menschen auftragen, was sie zu tun hätten, nicht ständig moralisieren, wie der Einzelne die Erde zu retten hätte. „Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir uns um die Themen kümmern und die Probleme lösen, die sie bewegen.“ Oder wie es der oberösterreichische Abgeordnete Stefan Kaineder formuliert: „Nicht jeder Einkauf im Supermarkt soll zum moralischen Drahtseilakt erklärt werden. Den Leuten ständig zu erklären, dass sie nicht zu viel Fleisch essen sollen, das ist nicht Politik.“

Oberlehrerhaftigkeit war früher: „Man muss Politik mit einem anderen Habitus machen. Nicht die moralische Verantwortung bei den Menschen abladen, sondern politische Verantwortung übernehmen. Genau dafür werden Politiker bezahlt. Und wenn wir als Politik das nicht schaffen, hätte ich gerne, dass wir das Landhaus zusperren. Man soll uns auch angspüren, dass uns Politik Spaß macht“, sagt Kain­eder. Zudem gehe es derzeit in Österreich darum, zu verhindern, dass die liberale Demokratie verloren geht: „Das ist unser Job. Diese gefährliche Entwicklung braucht grüne Gegenwehr. Es geht nicht darum, dass wir die Grünen als Partei retten, sondern darum, dass jemand diese politische Arbeit macht. Dafür lohnt es sich, die Grünen zu retten.“

© News Ricardo Herrgott Stefan Kaineder, 33

Back to the Roots

Nicht nur was die Grünen vertreten, sondern auch wie sie ihre Inhalte künftig an die Leute bringen, beschäftigt die nächste Generation. „Wir leben in einem hochpolitischen Zeitalter. Die ganz großen Fragen – Hitzesommer, horrende Wohnkosten, Folgen der Digitalisierung – lassen sich aber nicht mit einfachen Antworten lösen“, sagt Tomaselli. Doch: „Wir sind die, die die unangenehmen Dinge trotzdem ansprechen.“ Man müsse dabei eben den Mut haben, zuzugeben, dass man es manchmal bei anstehenden Problemen nicht allen recht machen kann. Viele Menschen wollten sich zwar politisch engagieren, „aber ohne die zeitliche und örtliche Angebundenheit. Sitzungen mit faden Tagesordnungen – das ist es nicht, was die Leute wollen. Sie möchten sich über die großen Fragen austauschen. Wir müssen wieder eine offene Mitmachbewegung werden.“ Bei diesen neuen Grünen soll man auch einmal nur für ein Projekt andocken können. Trotzdem, erklärt die steirische Abgeordnete Lara Köck: „Eine thematische Fokussierung ist notwendig, auf das, was der inhaltliche Kern und das Gründungsmoment der Grünen war – da wird es ein Eindampfen geben müssen.“ Die Regierung spiele den Grünen das Thema mit ihrer Vorgangsweise bei der Klimastrategie ohnehin auf: „Die wird nur ein Marketing-Gag, das weiß ich jetzt schon.“

Vor der Wahl in Bayern war Tomaselli mit den Grünen dort wahlkämpfen. Zog von Haustür zu Haustür. „Da läuft es halt gut, weil alle wichtigen Säulen die Politik ausmacht, gut bespielt werden: richtige Themen, Kommunikation und Persönlichkeiten.“ Die Spitzen der Grünen dort „bringen politische Dinge leicht verständlich und mit einer frechen Sprache auf den Punkt. Das finden die Leute erfrischend.“

Lara Köck sagt rückblickend: „Die ganze Partei hat sich viel zu lange nicht weiterentwickelt. Aufbau- und statutentechnisch sind wir im Gründungszeitalter steckengeblieben.“ Die Grünen hätten über die Jahre verlernt, Debatten zu führen. „Etwa das Thema erneuerbare Energie: Wie gestalten wir das, ohne prinzipienreiterisch einfach gegen alles zu sein? Diese Differenzen auszuhalten, haben wir verlernt. Wir können aber den ­Populisten nur etwas entgegenhalten, wenn wir die Dinge ausdiskutieren, nicht behaupten, alles zu wissen, und nicht in hohlen Phrasen vom neuen Stil reden.“

© ? Philipp Podesser Lara Köck, 32

Grüne Auferstehung

Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser sieht die Grünen in Österreich bei fünf bis sechs Prozent der Stimmen und auf einem möglichen Konsolidierungskurs. Die Europawahl und die Wiener Gemeinderatswahl seien die entscheidenden Hürden, bei denen die Partei einen „substanziellen Stabilisierungseffekt“ erreichen muss. Bei koalitionstaktischen Wählerinnen und Wählern der letzten Wahl – die SPÖ gewählt hatten, um Türkis-Blau zu verhindern – sei eine leichte Rückkehrbewegung zu erkennen, erklärt Plasser, zumal die SPÖ diesen ehemaligen Grünen nun weiterhin ein Angebot machen müsste. „Das fehlt“, sagt der Experte. Gerettet sieht er die Grünen allerdings noch nicht. „Das Potenzial ist da, aber ein wenig in Wartestellung.“

Lara Köck ist da schon einen Schritt weiter: „Dass die Grünen Nachwuchsprobleme hatten, wissen wir, sonst wären wir nicht in dieser Situation.“ Nun gäbe es eine neue Generation mit einem neuen Politikbegriff. „Wenn man uns lässt, kann das schon ganz gut werden.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 46 2018