Erlöse uns von dem Bösen

Exorzismus und Selbstgeißelung klingen wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. Doch auch heute noch praktiziert die katholische Kirche die Teufelsaustreibung und duldet Selbstverletzung. Derlei fragwürdige Rituale befinden sich sogar im Aufwind.

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Inside Kirche - Erlöse uns von dem Bösen

Böse Fratzen, sich windende Körper und Priester, die mit Kruzifix und Weihwasser gegen die bösen Mächte kämpfen. Wenn es um Exorzismus geht, kommen uns Bilder aus Horrorfilmen made in Hollywood in den Sinn. Tatsächlich aber sind Teufelsaustreibungen auch heute noch ein unverzichtbares Ritual innerhalb der katholischen Kirche. Meist gelangen sie erst dann in die Öffentlichkeit, wenn etwas schiefgeht. So wie 2015 in Frankfurt. Eine 41-Jährige wurde während einer Teufelsaustreibung von ihren Verwandten erstickt. Der Fall erlangte internationale Aufmerksamkeit.

Der Großteil passiert jedoch im Verborgenen. In Österreich hat jede Diözese mindestens einen Exorzisten. Wer das ist, gibt die Kirche nicht bekannt. Priester belegen dazu einen Kurs an der katholischen Universität Regina Apostolorum in Rom.

250 Geistliche aus aller Welt haben das Seminar in diesem Jahr besucht.

Das Böse im Menschen

Zum Einsatz kommen die Teufelsaustreiber, wenn es um theologische Grenzfragen geht und die Vermutung im Raum steht, dass das Böse von einem Menschen Besitz ergriffen hat. Dafür gibt es laut „Rituale Romanum“, einem liturgischen Buch der Kirche, drei Merkmale. „Wenn derjenige unbekannte Sprachen spricht, Gott und die Heiligen verflucht und über übermenschliche Kräfte verfügt, also wenn er zum Beispiel plötzlich einen 400 Kilogramm schweren Kasten heben kann, geht die Kirche von Besessenheit aus“, erklärt Basilius J. Groen, Liturgiewissenschafter an der Universität Graz. Dann folgt ein umfangreiches Ritual. Auf Latein spricht der Priester eine Vielzahl an Gebeten, legt seine Hände auf, bekreuzigt sich. Auch Weihwasser kommt zum Einsatz. Das wird so oft wiederholt, bis die Person „omnino liberatus“ – also ganz befreit – ist.

Seit 2004 muss zuvor ein Psychiater konsultiert werden. In diesem Jahr nämlich wurde die ursprüngliche Version des „Rituale Romanum“ von 1614 überarbeitet. Theologe Groen begrüßt die Novellierung zwar, stellt aber auch die Frage in den Raum: „Wie unterscheidet man, ob der Teufel oder eine Krankheit Ursache des Problems ist?“ Psychologen betrachten den Ritus sowieso mit großer Skepsis. Denn selbst ungewöhnliche neue Fähigkeiten kann man heute wissenschaftlich erklären.

Bei den Gläubigen hingegen wächst das Vertrauen in Exorzismen. Das zeigt sich etwa daran, dass die Diözese Vorarlberg erst vergangenes Jahr zwei neue Exorzisten anstellen musste, weil die Nachfrage so groß ist. Wie viele Fälle es pro Jahr konkret sind, hält die Kirche unter Verschluss. Warum aber finden derartige Rituale in einer aufgeklärten Gesellschaft so viel Anklang? „Wir leben in unsicheren Zeiten. Da glauben die Menschen an Esoterik, teuflische Mächte, Engel und Erdstrahlen. Sonst würden sich ja auch die Bücher nicht so gut verkaufen“, sagt Liturgiewissenschafter Groen. Außerdem dürfe man das Ausmaß konservativer katholischer Gruppen in Österreich nicht unterschätzen.

Das Werk Gottes

Böse Mächte lauern laut Kirche aber nicht nur in der Hölle. Sie schlummern auch in den Menschen selbst. Daran glaubt insbesondere die innerkichliche Organisation Opus Dei. Die konservative Gruppierung aus Laien und Priestern wurde vor allem durch Dan Browns Roman „Sakrileg“ bekannt. Weltweit soll es an die 90.000 Mitglieder geben, 400 davon in Österreich. Ziel ist es, sein ganzes Leben in den Dienst Gottes zu stellen. Dazu gehören strenge Gehorsams- und Bußregeln.

Einer von ihnen war der deutsche Journalist Widmar Puhl. Der heute 67-Jährige trat mit 15 Jahren ein. Sein Bruder brachte ihn zur Gemeinschaft. „Ich hatte damals keinen Rückhalt, habe mich verloren gefühlt. Die Leute dort waren alle furchtbar nett, so wurde ich hineingezogen“, schildert Puhl. Die folgenden Jahre waren geprägt von Frömmigkeit und Selbstverletzung. Die Mitglieder werden angehalten, täglich zwei Stunden einen mit Dornen versetzten Bußgürtel um den Oberschenkel zu tragen. Hinzu kommt die Selbstgeißelung mit einer Peitsche aus Makramee. Während man das „Vaterunser“ aufsagt, schlägt man sich selbst auf den nackten Rücken. Puhl: „Das soll die eigene Fleischeslust unterbinden.“

Kritisiert wird die Organisation auch für ihre aggressive Missionsarbeit, besonders unter Jugendlichen. „Freundschaften außerhalb sind nicht erwünscht. Wenn, dann nur, um neue Mitglieder anzuwerben“, sagt Ex-Mitglied Puhl. Die soziale Isolation war auch ausschlaggebend für seinen Ausstieg. Mit 26 Jahren lernte er seine heutige Frau kennen und kehrte Opus Dei den Rücken. Daraufhin nahm ihm die Gemeinschaft jegliches Hab und Gut weg: „Ich wurde enteignet.“

Heute nennt Widmar Puhl Opus Dei eine „Sekte, die auf die Verbotsliste gehört“. Auch die Heiligsprechung des Gründers Josemaría Escrivá durch Papst Johannes Paul II. im Jahr 2002 kritisiert er heftig. „Er war ein Menschenfischer, der lange in der Hölle braten wird.“

Den Kampf gegen die Organisation hat er mittlerweile aber aufgegeben. Er widmet sich lieber seinem Hobby – der Lyrik. Darin findet er die Erlösung, die er all die Jahre gesucht hat.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 18/2018