Das Plastik
in Uns

Österreichische Forscher fanden Mikroplastik, winzig kleine Plastikstücke, in menschlichem Stuhl. Fakt ist: Wir essen und atmen Plastik. Was das mit unserem Körper genau macht, ist noch nicht klar. Experten sind sich einig: Das geplante Plastiksackerl-Verbot der Regierung ist begrüßenswert, aber es muss noch viel mehr passieren.

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Plastik ist in aller Munde. Anfang Dezember kündigte die Regierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket an: Plastiksackerln sollen ab 2020 komplett verboten, Kunststoffverpackungen bis 2025 um bis zu 25 Prozent reduziert werden. Und: Es steht, so die EU nicht vorher eine entsprechende Maßnahme trifft, ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika und Reinigungsmitteln im Raum.

Ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung, gaben selbst notorische Kritiker zu. "Wir wollen ein neues Umweltbewusstsein schaffen und dem Trend der Wegwerfgesellschaft entgegen treten", ließ Bundeskanzler Sebastian Kurz wissen und sein Vize, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, jubelte: "40 Tonnen Plastik landen allein jährlich in der Donau. Mit dieser sinnlosen Umweltverschmutzung machen wir jetzt Schluss."

Aber ist es damit wirklich getan?

Plastik im Stuhl

Noch ein paar Wochen weiter zurück. Mitte Oktober sorgte eine Studie der MedUni Wien für großes Aufsehen. Österreichische Forscher hatten erstmals Plastik in menschlichem Stuhl nachgewiesen. Plastik ist, das steht seitdem fest, nicht nur in aller Munde, sondern auch in aller Mägen und Därme. Für die Pilotstudie, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltamt entstanden ist, wurden acht Personen aus acht verschiedenen Ländern getestet. Sie dokumentierten eine Woche lang ihre Ernährung, den Gebrauch von Kosmetika etc. und schickten dann Stuhlproben in Glasbehältern nach Wien. Das überraschende Ergebnis: Egal, woher sie kamen, ob aus Japan, Russland oder Finnland, in allen Proben konnten winzig kleine Plastikteile gefunden werden, im Schnitt 20 Stück pro zehn Gramm Stuhl.

Das klingt besorgniserregend. Entscheidende Fragen seien aber noch nicht beantwortet, räumt Hauptstudienautor Philipp Schwabl von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der MedUni ein. Wie die Plastikteilchen genau dorthin gekommen sind, zum Beispiel. "Natürlich war der erste Gedanke, Mikroplastik könnte von konsumiertem Fisch stammen, aber es haben nicht alle Probanden Fisch gegessen. Im Haushalt und insbesondere in Städten ist auch die Mikroplastikbelastung in der Luft nicht unbeträchtlich, wie Studien gezeigt haben. Es reicht, eine Speise zwanzig Minuten am Tisch stehen zu lassen, und es kann sich Mikroplastik darauf niederlassen." Winzig kleine Plastikteilchen wurden auch schon in Meersalz und Wasser nachgewiesen, sagt Schwabl. Irritierenderweise nicht nur in Wasser aus PET-Flaschen, sondern auch in Leitungswasser.

»Mikroplastik im Körper ist ein Fremdkörper, vergleichbar mit einem Schiefer, den man sich einzieht«

Wie der menschliche Körper auf diese Verunreinigung reagiert, ist noch unklar. "Es gibt ein paar Tierstudien, wo man gesehen hat, dass kleine Mengen an Mikroplastik vom Körper aufgenommen werden. Das hängt von der Plastikart und der Größe der Partikel ab, sowie von dem Zustand der Darmschleimhaut und des Darmgewebes. Eines steht aber außer Frage: Es ist ein Fremdkörper, vergleichbar mit einem Schiefer, den man sich unter die Haut zieht. Der gehört auch nicht dorthin. Es kann passieren, dass so ein Fremdkörper eine Immunreaktion auslöst, da der Körper versucht, ihn irgendwie wegzubekommen. Inwieweit das beim Menschen zu gesundheitlichen Konsequenzen führt, ist nicht ausreichend untersucht."

Und ein zweiter Aspekt sei relevant, sagt Forscher Philipp Schwabl. "Plastik hat häufig bestimmte Charakteristika aufgrund von Zusatzstoffen, gemeinhin bekannt sind Weichmacher oder Farbstoffe. In dem Zusammenhang muss man natürlich daran denken, dass diese mit der Zeit auslaugen können. Wenn sie also länger in Kontakt mit einem biologisch aktiven Gewebe stehen, kann es sein, dass Zusatzstoffe auslaugen. Dadurch, dass es so schwierig zu sagen ist, wo das Mikroplastik ursprünglich herkommt, ist es auch schwer, abzuschätzen, welche Beisubstanzen enthalten sein können. Wenn das Plastik zum Beispiel in der Industrie verwendet wurde, kann es sein, dass Beistoffe im Spiel sind, die nicht in Hinblick auf den Menschen getestet wurden." Dass größere Plastikteile in der Umwelt ein Problem darstellen, ist gut dokumentiert und weiten Teilen der Bevölkerung bekannt. Fotos von riesigen Plastikinseln im Meer, Berichte über verendete Tiere, in deren Mägen kiloweise Plastikbecher und Plastiksackerln gefunden wurden, trugen zur Bewusstseinsbildung bei. Das Thema Mikroplastik steht erst seit kurzer Zeit im Fokus. Generell, erklärt der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Universität Wien, unterscheide man zwischen Partikeln, die künstlich in dieser Größe hergestellt werden, und solchen, die bei der Zersetzung von Plastik in der Umwelt freigesetzt werden. Viele Konsumenten assoziieren den Begriff Mikroplastik vor allem mit Kosmetika bzw. sogenannten "Microbeads", winzig kleinen Plastikstücken, die für Peelingzwecke eingesetzt werden. Von der Haut abgewaschen, gelangen sie ins Wasser und damit in die Umwelt. In Schweden etwa, wo bereits eine entsprechende Regelung in Kraft ist, wurde Plastik in solchen "Rinse-off-Produkte" verboten -in "Stay-on-Produkten" wie Körpercremen, Haarsprays oder Puder ist es dagegen noch erlaubt. Tatsächlich machen die Kügelchen in Peelings, Duschgels oder Zahnpasten aber nur einen kleinen Teil der in der Kosmetikindustrie verwendeteten Kunststoffe aus. Synthetische Polymere dienen der Haarfixierung, bilden Filme oder Emulsionen oder machen Kosmetikprodukte dickflüssig. Sie sind oft nicht fest, also kein Mikroplastik im eigentlichen Sinne,, sondern flüssig oder gelartig. In die Umwelt gelangen sie genauso. Was sie dort genau anrichten können, ist noch nicht hinlänglich erforscht.

Dem Menschen dürfte es immerhin nicht schaden, sich Plastik auf die Haut zu schmieren, sagt Mediziner Hutter. "Das ist eher ein ökologisches als ein humanmedizinisches Problem. Man weiß aus der Nanotechnologie, dass die Teilchen sehr, sehr klein sein müssten, um gesunde Haut zu durchdringen. Anders könnte es sich bei geschädigter Haut verhalten."

Reifenabrieb

Das Plastik, das überall in der Luft herumschwirrt, das wir essen und einatmen, hat viele Quellen. Einer Studie des deutschen Fraunhofer-Instituts zufolge ist Reifenabrieb -neben dem sogenannten "sekundären" Mikroplastik, das durch den Zerfall von Plastikmüll entsteht -die Hauptursache. Gefolgt von Freisetzungen bei der Abfallentsorgung und dem Abrieb von Bitumen im Asphalt. Der Faserabrieb von Textilwäsche aus z. B. Fleece, ebenfalls häufig diskutiert, kommt demnach auf Platz zehn, Mikroplastik in Kosmetika nur auf Platz 17 der Liste.

Das geplante Verbot von Mikroplastik in Kosmetika -ob auf EU-Ebene oder im österreichischen Alleingang -ist also nur ein kleiner Schritt. Aber ein willkommener, sagt Lisa Kernegger von der Umweltschutzorganisation Global 2000. "Wir begrüßen es, dass die Regierung das vorgeschlagen hat. Es macht nur einen kleinen Teil des Mikroplastiks aus, ist aber leicht vermeidbar." Weiter greifen Überlegungen der EU, den Abrieb von Autoreifen zu kennzeichnen. "Für das ganze Plastik-und Mikroplastikthema braucht es ein Bündel an Maßnahmen, weil es ein sehr komplexes Thema ist," sagt Kernegger. "Im Detail der Regulierung wird es ausschlaggebend sein, wie man Mikroplastik überhaupt definiert, ob man etwa flüssige Polymere dazurechnet oder nicht." Und, sagt sie, das Ganze ist ein Tanz auf dem Vulkan, "ein großes Experiment an unserem Planeten. Die Frage ist, ob Mikroplastik in einer gewissen Konzentration noch keine Auswirkung auf Ökosystem und Gesundheit hat, ab einem gewissen Anreicherungsgrad aber vielleicht schon. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Mikroplastik bald auch in der Lunge finden werden."

Fahrlässiger Umgang

"Die heute in der globalen Umwelt befindliche Menge an Kunststoffen ist gerade noch akzeptabel", befindet die Studie des Fraunhofer-Instituts. Allerdings: Die Kunststoff-Emissionen müssten drastisch reduziert werden. Der Weg dazu, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, muss auch über radikal neue Strategien im Umgang mit (sekundäres Mikroplastik verursachenden) Plastikmüll führen. Dazu gehört das geplante Plastiksackerl-Verbot der österreichischen Bundesregierung - und vieles mehr. "Die Kunststoffproblematik hat viele Facetten. Ich finde die Plastiksackerl-Diskussion gut, weil sie eine Signalwirkung hat, aber es kann dabei nicht aufhören. Wir müssen unsere Verwendung von Plastik ganz grundsätzlich überdenken. Wie kann Wiederbefüllung funktionieren? In welchen Bereichen kann ich Plastik ersetzen? Muss ich meinem Kind wirklich eine Kunststoffjacke anziehen, mit der es am Südpol überwintern könnte, oder gibt es nachhaltigere Alternativen?"

Das Plastik sei heutzutage überall, "weil wir die längste Zeit fahrlässig mit Kunststoffprodukten umgegangen sind. Wir ziehen uns immer darauf zurück, dass wir ein gutes Abfallsystem haben. Das stimmt schon. Aber das Littering, das achtlose Wegschmeißen, nimmt bei uns zu, da kann das Abfallsystem so gut sein, wie es will. Ein Pfandsystem für PET-Flaschen wäre auf jeden Fall sinnvoll. Ich glaube, es geht nur über finanzielle Anreize."

Weitere Forschung

Philipp Schwabl, der mit seiner Studie über Plastik im Stuhl so große Aufmerksamkeit erzeugt hat, wird weiterforschen. Viele kluge Köpfe an der Universität Wien zerbrächen sich derzeit den Kopf darüber, wie es dahingehend weitergehen kann, erzählt er. Die Stoßrichtung ist klar: Auf den grundsätzlichen Nachweis von Plastik im menschlichen Körper muss eine umfangreichere Erforschung folgen. Wie dringt das Plastik in den Körper ein? Wie weit? Und welche Konsequenzen hat das?

Das Phänomen Mikroplastik ist seit den 70er-Jahren bekannt. Damals fanden Forscher erstmals kleine Kunststoffpartikel an Stränden. Seitdem haben Produktion und Konsum von Plastik ständig zugenommen, die öffentlichen Diskussionen über das Plastikproblem auch -die gesicherten Erkenntnisse über die Folgen sind aber noch verblüffend gering.

Erst seit ein paar Jahren, meint Schwabl, sei die Menge an wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Mikroplastik stetig steigend. "Es ist auch eine Herausforderung, in diesem Bereich Forschung zu betreiben, weil das Labor zum Beispiel bestimmte Anforderungen puncto Sauberkeit haben muss und auch die biologischen Effekte schwer greifbar sind. Es erfordert daher große und umfangreiche Studien, aber auch In-Vitro-Testungen, bevor man Aussagen über mögliche Schädigungen des Menschen treffen kann."

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bald Mikroplastik in der Lunge finden werden«

Sind die zu erwarten? Der junge Forscher denkt ein paar Sekunden über die richtige Antwort nach. "Ich glaube, man kann allgemein sagen, dass Fremdstoffe, die nicht Nahrungsmittel sind, grundsätzlich in unserem Essen nichts verloren haben. Derzeit gibt es aber keinen Grund, Angst vor Plastik zu haben."

Der Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 4/2019)

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Alle Warnungen helfen nichts, denn sehr wenige denken darüber nach, dass wir uns in kleinen Schritten selbst umbringen, noch bevor es dem gefürchteten Klimawandel gelingen wird.

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