Willkommen im Dschungel

Nur eine Stunde von Wien entfernt findet man sich unter 300 Jahre alten Baumriesen wieder. Aber wie überall in Europa ist auch hier die Natur bedroht. Unterwegs in einem der letzten Urwälder Österreichs

von Natur - Willkommen im Dschungel © Bild: Matthias Schickhofer

Wer mit Matthias Schickhofer in den Wald geht, braucht feste Schuhe und muss früh aufstehen. Von Wien aus geht es eine Stunde mit dem Auto ins Waldviertel, von der Landstraße dann noch ein paar Schritte den Hügel hinauf. Schon steht man vor einer 300 Jahre alten Buche und fühlt sich ziemlich klein. Noch ein paar Schritte und man findet sich in einem dichten Märchenwald wieder: moosüberwachsenes Altholz, Baumpilze, dazu aufgeregte Vogelstimmen. Ein leichtes Lüftchen geht, über die Kronen der Riesenbäume blickt man auf einen Stausee, dahinter geht rot die Sonne auf.

© Matthias Schickhofer

Der See und all die aufgeräumten Fichtenwälder, die die anderen Hügel bedecken, sind von Menschen gemacht. Aber der kleine Urwald mitten im Waldviertel - der genaue Ort soll hier nicht genannt werden -ist seit Jahrhunderten sich selbst überlassen. Zu steil war das Gelände für eine Bewirtschaftung. Man muss nicht an Elfen und Feen glauben. Aber wenn man mitten im Urwald steht, keine Autostunde von Wien entfernt, spüren auch Skeptiker die Kraft, die an so einem Ort von der Natur ausgeht. Schickhofer weiß nicht nur um den Mythos, er kennt auch den ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen des Waldes. Und er sieht, dass der Wald in Gefahr ist -mitten in Europa.

© Matthias Schickhofer

17 Jahre lang war Schickhofer Kampagnenleiter bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, seit 2007 arbeitet er freiberuflich, berät international Naturschutzorganisationen, bloggt und publiziert. Seit seiner Jugend fotografiert er Wälder, Schickhofers aktuelles Buch "Unser Urwald" dokumentiert die "letzten wilden Wälder im Herzen Europas".

Unberührter Urwald

Etwa ein Drittel der Landfläche der Erde ist mit Wald bedeckt. Europas letzte zusammenhängende Urwaldflächen -insgesamt geschätzte 170.000 bis 200.000 Hektar, vier Promille der Waldfläche -befinden sich in Mitteleuropa, die größten in Rumänien. Dort, im Boia-Mica-Tal im Fagaras-Gebirge, war Schickhofer mit Aktivisten der rumänischen Naturschutzorganisation Agent Green und Forstexperten vor zwei Wochen in einem abgeschiedenen, kaum zugänglichen Wald unterwegs, der seit der letzten Eiszeit unberührt ist. Er schlief im Schlafsack neben einer 430 Jahre alten Buche, fotografierte die Milchstraße über den Wipfeln und wanderte auf Tierpfaden.

© Matthias Schickhofer

Wie Vergleiche von Google-Earth-Bildern zeigen, hat sogar hier das große Abholzen bereits begonnen. Obwohl der Wald in einem "Natura 2000"-Gebiet liegt, nach EU-Recht also bereits geschützt wäre. Haben Waldbesitzer allerdings erst einmal genug Bäume aus den Wäldern geholt, oft unter den Augen bestochener Forstinspektoren, kann der offi zielle Schutz schnell aufgehoben werden.

Schickhofer erzählt von illegalen Kahlschlägen in der Nähe des wilden Tals, von zweispurigen Forststraßen bis an die Grenzen der Urwälder und von Verwüstungen. "Eine ökologische Katastrophe", sagt er und fordert, private Waldbesitzer für ihre Urwälder seitens der Regierungen und der EU finanziell zu entschädigen, damit Abholzen keine Option mehr ist.

Lebendes Denkmal

Nicht nur in Rumänien sind die Urwälder bedroht. Was sich im Osten Europas im Großen abspielt, zeigt sich bei uns im Kleinen. In Österreich existieren lediglich kleine Reste früherer Urwälder. Matthias Schickhofer schätzt die offi ziellen und inoffi ziellen Urwaldflächen hierzulande auf 500 bis 1000 Hektar; die mit 500 Jahren älteste Buche Österreichs steht als lebendes Denkmal im Nationalpark Kalkalpen in Oberösterreich.

© MATTHIAS SCHICKHOFER

Kürzlich war der Fotograf in einem naturnahen Wald im Kamptal; "urwaldähnlich" wäre die korrekte Bezeichnung, weil er nicht unter Schutz steht. Schickhofer zeigt Fotos, die er dort gemacht hat, bevor und nachdem die Waldarbeiter die alten Bäume umgesägt haben. Als Bau-oder Möbelholz seien viele der alten Bäume wertlos, man könne sie nur noch zu Heizpellets verarbeiten. "Das ist, wie wenn man das Schloss Schönbrunn abreißen würde, um daraus Streusplitt zu machen."

© Matthias Schickhofer

Bedrohten in den 1980er-Jahren Borkenkäfer und andere Schädlinge den Wald, sind es heute Gier oder fehlende Konzepte, Waldbesitzer finanziell zu entschädigen, damit wertvoller Urwald nicht als Hackschnitzel verheizt wird. "Natürlich wollen wir die Forstwirtschaft nicht abschaffen", versichert Schickhofer. Es gehe nur um den naturnahen Wald, ein oder zwei Prozent der Waldfläche in Österreich, die besonders geschützt werden sollen.

"Ein Naturwald hat keine Schädlinge", sagt der Waldexperte. Mit einer Ausnahme: den Menschen.

© Matthias Schickhofer

Das Buch
Die letzten wilden Wälder Europas präsentiert Matthias Schickhofer im prachtvollen Bildband "Unser Urwald" (Brandstätter Verlag, € 34,90). Dazu gibt es zahlreiche Erlebnistipps.

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