Pilgerfahrt Hadsch:
Ein Jahr nach der Massenpanik

2015 starben Tausende in Mekka - wie es dazu kommen konnte & was heuer anders ist

Die Panik eines einzelnen Menschen reicht aus, um eine tödliche Kettenreaktion auszulösen. Dieses Phänomen der Massenpanik löste 2015 bei der Pilgerfahrt Hadsch die größte Tragödie ihrer Geschichte aus. Erschütternde Bilanz: 2.411 Todesopfer. Ein Jahr danach hat man nun Konsequenzen daraus gezogen.

von
Massenphänomen - Pilgerfahrt Hadsch:
Ein Jahr nach der Massenpanik

Wie es 2015 zu dem Unglück kam

Die Panik brach in der Nähe des Ortes Minā aus, wo sich die Gläubigen am dritten Tag der Wallfahrt darauf vorbereiteten, symbolisch den Teufel zu steinigen. Hierbei werfen die Pilger von einer Brücke aus kleine Steine auf die "Dschamarat al-Aqaba", die den Teufel symbolisiert.

Nahe einer T-förmigen Straßenkreuzung soll es auf der Dschamarat-Brücke zu einem Stau gekommen sein - dann sei die Massenpanik ausgebrochen. Ein Sprecher meinte, verschiedene Pilgerzüge seien aufeinander getroffen und hätten begonnen, gegeneinander zu schieben, was durch extreme Hitze und Erschöpfung auf Seiten der Beteiligten verstärkt wurde.

Wenn Verstand aussetzt, spielt Ursache keine Rolle

Experten wissen: Der Anlass für eine Massenpanik spielt kaum eine Rolle. Die Masse Mensch macht den Ausschlag, wenn die Vernunft aussetzt. Aufgrund eines Ereignisses setzt bei den Betroffenen die Ratio aus, die sonst - und üblicherweise - ein Einschätzen der Situation erlaubt. Dabei ist die Panik des Einzelnen für den Betroffenen gefährlich. Wenn dieser nicht von anderen beruhigt werden kann, kann es zu einer Kettenreaktion führen.

Die Ursache spielt dann keine Rolle mehr. Ein ganz kleiner Anlass kann dafür schon ausreichen. Plötzlich haben alle das Gefühl, in Richtung Ausgänge loslaufen zu müssen. Hier wird leicht eine kritische Masse überschritten. Derartige Menschenansammlungen lassen sich dann kaum mehr kontrollieren. Und genau das macht Szene wie in Mina so gefährlich. In derart großen Menschengruppen schaukelt sich die Panik abseits aller rationaler Kontrolle des Einzelnen auf.

Plötzlich dreimal so stark

Die Forschung beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen Panik. Naturgegeben verliert der Mensch in extrem bedrohlichen Situationen die Kontrolle über sich und entwickelt eine ungewöhnliche Energie. Die Kräfte können das Normale um das Zwei- bis Dreifache überschreiten. Bei Massenpaniken reagieren die Menschen nervös, bewegen sich schneller als üblich und nehmen ihre Umwelt nur noch durch den so genannten Tunnelblick wahr.

Der "Herdeneffekt"

Ein anderes Phänomen sei der "Herdeneffekt": Oft werden bei Fluchten nicht alle zugänglichen Ausgänge genutzt. Dafür verkeilen sich die Fliehenden an den anderen Türen. "Das führt zu einem "Schneller-ist-langsamer-Effekt".

Was ist in diesem Jahr anders?

* Elektronisches Armband für Pilger. Als Reaktion auf die tödliche Massenpanik in Mekka vor einem Jahr sollen alle Pilger aus dem Ausland mit einem elektronischen Armband ausgestattet worden. Die kunststoffbeschichteten Armbänder enthalten einen Barcode mit Angaben zur Identität, Staatsangehörigkeit, Unterkunft in Mekka sowie sämtliche Visainformationen.

*Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit. Das Gelände, auf dem die Teufelssteinigung stattfindet, wurde erweitert. Die Zeit für die Steinigung wurde begrenzt. Überwachungskameras sollen die Menschenströme beobachten. Bereits angereiste Pilger bemerkten eine Verbesserung der Organisation und der Sicherheitsvorkehrungen. Schon am Flughafen sei alles schneller gegangen, sagt der Thailänder Asi Wat Azizan. Saudi-Arabien "handelt, damit sich die Tragödie nicht wiederholt", meint der Indonesier Abdul Jamil.

* Iranische Gläubige sind in diesem Jahr zum ersten Mal seit fast drei Jahrzehnten von dem Hadsch ausgeschlossen. Schweren Schaden nahmen durch die Tragödie auch die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien. Unter den Opfern der Massenpanik waren 464 Iraner, es war die größte Opferzahl für ein einzelnes Land. Rund 60.000 Iraner waren im vergangenen Jahr nach Mekka gepilgert.

Gespräche zwischen Teheran und Riad über eine Verbesserung der Sicherheit brachten im Mai kein Ergebnis. Riad verwehrte Gläubigen aus dem Iran daraufhin für dieses Jahr die Teilnahme. Iraner, die aus anderen Staaten anreisen, dürfen jedoch teilnehmen. Wenige Tage vor Beginn des Hadsch verschärfte sich der Ton zwischen Teheran und Riad weiter. Der Iran warf Saudi-Arabien erneut "Inkompetenz" bei der Organisation des Großereignisses vor, Saudi-Arabiens Großmufti Abdulaziz al-Sheikh sagte, die schiitischen Iraner seien keine Muslime.

Was ist die Hadsch?

Die große muslimische Pilgerfahrt Hajj (Haj/Hadj/Hadsch) findet einmal im Jahr statt und führt Gläubige aus allen Teilen der islamischen Welt im saudi-arabischen Mekka zusammen. In diesem Jahr begann sie am 10. September (Samstag). Das Datum richtet sich nach dem islamischen Mondkalender. Die kleine Pilgerfahrt, Umrah, kann zu jeder beliebigen Zeit erfolgen.

Der Höhepunkt des Hadsch ist am Sonntag, wenn die Pilger am frühen Morgen zum etwa 25 Kilometer entfernten Berg Arafat aufbrechen. Dort bitten sie Gott um Vergebung und verharren in stundenlangem Gebet und Meditation. Auf dem Rückweg nach Mekka werfen die Gläubigen in Mina sieben Kiesel auf eine Steinsäule und steinigen so symbolisch den Teufel. In Mina schlachten sie auch tausende Schafe und Ziegen, um an das Opfer Abrahams (Ibrahim) zu erinnern.

In diesem Jahr werden mehr als 1,4 Millionen Gläubige aus dem Ausland und Hunderttausende Saudi-Araber erwartet. Die Teilnahme an der jährlich stattfindenden Wallfahrt zur heiligsten Stätte des Islam in Mekka ist Pflicht für jeden gläubigen Muslim.

Katastrophen mit Massenpanik

Wo viele Menschen zusammenkommen, wächst die Gefahr schwerer Unfälle. Im panischen Gedränge bei Neujahrsfeiern, religiösen Festen oder bei Bränden in überfüllten Diskotheken gibt es immer wieder Todesopfer. Ein Überblick:

  • Dezember 2014/Jänner 2015: Bei einer Massenpanik kommen am Silvesterabend in Shanghai mindestens 36 Menschen ums Leben. 47 werden verletzt, 13 schweben in Lebensgefahr.
  • Mai 2014: Bei einer Massenpanik in einem Fußballstadion der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa werden mindestens 15 Menschen getötet. Die Polizei soll nach Gewaltausbrüchen in die voll besetzten Ränge geschossen haben, was eine Massenflucht auslöste.
  • Oktober 2013: Bei einem hinduistischen Fest im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh werden auf einer Brücke über einen Fluss mindestens 115 Menschen zu Tode getrampelt. Die Menschen gerieten in Panik, als sich das Gerücht verbreitete, die Brücke sei kurz davor einzustürzen.
  • Jänner 2013: Bei einer Brandkatastrophe in einer Diskothek im südbrasilianischen Santa Maria kommen mehr als 230 Menschen ums Leben. Giftige Dämpfe lösten eine Massenpanik unter den Feiernden aus. Als Brandursache wird eine pyrotechnische Show-Einlage vermutet.
  • Silvester 2012: Zum Ende des Feuerwerks bei den Neujahrsfeiern in Abidjan in der Elfenbeinküste sterben 62 Menschen. In der Nähe eines Stadions kam es zu großem Gedränge, das dann Panik auslöste. In der angolanischen Hauptstadt Luanda kommen 16 Menschen ums Leben, als Tausende in das mit mehr als 70.000 Menschen überfüllte Stadion zu einer religiösen Andacht strömen.
  • November 2010: In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh sterben bei einer Massenpanik während des Wasserfestes 375 Menschen. Sie werden auf einer überfüllten Brücke zu Tode getrampelt oder ersticken.
  • Juli 2010: Bei der Loveparade in Duisburg gibt es 21 Todesopfer. Menschen versuchen, eine Mauer und eine Treppe hinaufzuklettern, um dem Gedränge zwischen zwei Tunneln zu entgehen. Als einige von ihnen in die Menschenmasse stürzen, bricht Panik aus.
  • Jänner 2009: Bei einem Brand während einer Silvesterfeier in einem Nachtclub in Bangkok sterben 67 Menschen. Der Brand wurde vermutlich von einem Feuerwerk ausgelöst.
  • September 2008: Bei einem Feuer in einem südchinesischen Tanzclub in Shenzhen kommen mindestens 43 Besucher ums Leben. Feuerwerkskörper verursachten die Katastrophe.
  • Dezember 2004: In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires sterben bei einem Großbrand in einem Tanz- und Konzertlokal 194 Menschen. Das Feuer bricht aus, als Besucher eines Rockkonzerts Bengalisches Feuer abbrennen und die Deckendekoration Feuer fängt.

Kommentare

tja.. man steinigt halt nicht den Teufel! Der rächt sich irgendwann!

Seite 1 von 1