Was steckt hinter
den Wechseljahren?

Die Lebensmitte bietet Frauen viele Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Was in den Wechseljahren auf die Frauen zukommt.

von Mehr als nur Hitzewallungen - Was steckt hinter
den Wechseljahren? © Bild: Shutterstock

Irene Fellner ist Lebens- und Sozialberaterin. Im ersten Teil unserer Reihe sprach Sie mit News über Sex in den mittleren Jahren.

Im zweiten Teil sprechen wir über die Wechseljahre und die Herausforderungen, die auf Frauen zukommen.

News: Was sind die größten Herausforderungen für Frauen in der Lebensmitte?

Irene Fellner: Da gibt es ein paar. Zum einen die Frage nach der Sinnhaftigkeit oder des Sinnverlustes. Wir alle haben so etwas wie eine lebensthematische Mitte, also das, was unserem Leben Sinn gibt. Für die einen sind es die Kinder, für die anderen die Arbeit oder die Pflege von Angehörigen. Und diese Sinnhaftigkeit bricht in der Lebensmitte oft weg. Die Kinder sind aus dem Haus und dann stellt man sich die Frage: Na, und jetzt? Jetzt habe ich noch 30 bis 40 Jahre vor mir, welchen Sinn macht das alles?

Kann man hier von Midlife-Crisis sprechen?

Ja, es ist auch eine Art von Krise und sie ist als Midlife-Crisis bekannt. Ich spreche allerdings lieber über die Umbruchsjahre der Lebensmitte.

Wie unterscheiden sich Frauen von Männern in diesem Punkt?

Meine Erfahrung ist, dass dieser Punkt bei Frauen früher kommt. Bei Männern tritt das später ein, häufig erst, wenn sie in Pension gehen. Männer haben auch nicht mit solch einer starken hormonellen Umstellungen zu kämpfen.

»Frauen haben das Gefühl, mit mir stimmt etwas nicht«

Aber zurück zu den Herausforderungen ...

Die Gesundheit, die hormonelle Umstellung und die Wechselbeschwerden, das sind natürlich ganz große Herausforderung. Zudem kommt auch das Gefühl alleine zu sein hinzu. Das ist noch immer ein Tabuthema. In unserer Zeit geht es darum jung, schön, attraktiv zu sein, man soll möglichst viel leisten. Aber was ist, wenn man das nicht mehr ist, wenn man nicht mehr so jung, attraktiv und leistungsfähig ist. Dann wird es schwierig..

Wie äußert sich das?

Viele Frauen haben dann das Gefühl "mit mir stimmt was nicht". Ich habe ja eigentlich alles: Kinder, Familie und dennoch kommt diese große Unzufriedenheit. Es verändern sich Dinge, man wird sehr verunsichert. Die Frage taucht auf: Was ist los mit mir?
Gerade weil Frauen es gewohnt sind und es ihr ganzes Leben gelernt haben, für andere da zu sein, sich um andere zu kümmern, haben sie vergessen, was sie selber wollen, was sie brauchen und wer sie selber sind.
Und das wieder zu finden, diesen Zugang zu sich selber, das ist total schwierig. Das ist überhaupt einer der größten Herausforderungen.

© Ricardo Herrgott Irene Fellner

Wie kann man diesen Herausforderungen entgegentreten? Was braucht es?

Der wesentliche Aspekt ist, dass wir die erste Hälfte unseres Lebens von außen gesteuert leben. Wir machen das, was unsere Eltern sagen, was in der Gesellschaft akzeptiert ist, wir ergreifen Möglichkeiten, die sich im Außen ergeben. Den wesentlichen Wechsel erfahren wir dann, wenn wir in dieser Lebensmitte, aus dieser Krise heraus, lernen von innen heraus zu agieren.

Wie kann ich das verstehen?

Nehmen wir mein eigenes Beispiel her. Ich bin Unternehmensberaterin und Projektmanagerin gewesen, das ist ein Teil von mir. Aber meine Liebe und Begeisterung gilt der Psychologie und der Arbeit mit Menschen. Und seitdem ich meinen Weg, mein persönliches Wirken um diese Themen herum gestalte, ist mein Leben total anders. Wenn ich mich auf das fokussiere, was ich gut kann, was ich gerne mag, wo meine tatsächlichen Interessen und Talente liegen, verändert sich etwas.
Das ist die große Herausforderung: Von einem außen gesteuerten Leben zu einem von innen gesteuerten Leben zu kommen. Das ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt.

Das klingt nach harter Arbeit. Scheitern viele an dieser Herausforderung?

Es ist eine Herausforderung aus seinen Verhaltens- und Denkmuster, nach 40 oder 50 Jahren, herauszukommen. Wenn hier keine Hilfestellung geboten wird, ist das für viele Frauen eine große Herausforderung. Ich habe viele Frauen erlebt, die es nicht schaffen, weil sie sich nicht helfen lassen. Bei "Soul Sisters" bieten wir das sogenannte "Frauenjahr" an. Es besteht aus einem Workshopzyklus von 5 Workshops und einem begleitenden ganz speziell entwickelten Coachingprogramm. Im ersten Teil arbeiten wir an dieser Aufgabe von einem außen- zu einem innengesteuerten Leben zu kommen, wir ergründen wo neue Sinngmöglichkeiten gefunden werden können um im Anschluss diesem Sinn mit einem Projekt praktisch nachzugehen.

»Mein Ziel ist es nicht, die Frauen in den Egoismus zu führen«

Aber kann man denn nicht schon früher ansetzen? Man muss doch nicht erst auf diese "Krise" warten ...

Absolut. Man sollte wesentlich früher ansetzen, das wäre sehr wichtig. Wir müssen in unserer Gesellschaft lernen, in eine Balance zu kommen. So erzogen werden, dass wir wissen, es ist wichtig für mich da zu sein aber auch für andere. Dass es sich um ein Geben und Nehmen handelt. Mein Ziel ist es nicht, die Frauen in den Egoismus zu führen. Mein Ziel ist es vielmehr, die Frauen in eine Balance zu führen, dorthin, dass sie den Teil lernen können, den sie in ihrer erster Hälfte vernachlässigt haben.

Fällt dieser Lernprozess Frauen schwerer als Männern?

Für die Männer ist es anders. Mädchen werden im Jahr 2018 immer noch dazu erzogen, dass sie lieb, hilfsbereit, rücksichtsvoll, leise und für andere da sind. Buben werden dahingehend erzogen, dass sie stark sein sollen, sagen, was sie wollen, dass sie lernen forsch aufzutreten. Wir kriegen das von klein auf unterschiedlich mit. Wir werden unterschiedlich konditioniert.

Waren wir da schon mal weiter?

Wir haben stark gelernt auf unsere Interessen zu schauen. Die Frauenbewegung hat uns Gott sei dank zahlreiche politische Rechte gebracht und uns viele berufliche Möglichkeiten geöffnet. Es gibt heute viele Frauen, die auf ihrem beharren können, die sagen, das ist meins. Und das oft ein sehr Ich-bezogenes Extrem. Dann gibt es auch viele Frauen in der anderen Ecke, die sich um andere kümmern, sich daran orientieren. Und beide Extreme sind in meinen Augen kein Modell für ein glückliches Leben.

Sondern eine Balance ...

Meine Vision ist es, dass wir als Menschen dorthin kommen, dass wir sowohl für uns als auch für andere da sein können. Das wir mit dem, was wir lieben, auch einen Nutzen für andere stiften können. Eine Dualität, eine Balance. Und mein Gefühl ist, da waren wir noch nicht. Wir sind sozusagen sehr im Ego-Eck, waren im auch schon mal im "unterdrückten Eck"; aber wo wir noch nicht waren ist in dieser Balance: die Fähigkeit beides zu können.

»Wir sind eine Pioniergeneration«

Darf man als Frau überhaupt noch alt werden?

Sie sprechen damit einen gesellschaftspolitischen Punkt an, der wirklich heikel ist. Wenn man ein Kind ist, dann wird man gerne ein Jugendlicher, wenn man ein Jugendlicher ist, wird man gerne erwachsen. Wenn man dann 40 oder 50 ist, dann gibt es keine Rolle mehr, in die man sich gerne hineinentwickeln würde. Die weisen Alten von früher, die gibt es in unserer Gesellschaft nicht als erstrebenswerte Rolle. Wenn ich dann in ein Alter komm, in dem ich nicht mehr arbeite, mich nicht mehr um die Kinder kümmere, wenn ich als Nutznießer des Systems gesehen werde und das auch noch 30 Jahre lang, ist das keine schöne Geschichte. Daher ist jeder Mensch aufgerufen, sich zu überlegen, welchen Platz kann ich mir schaffen, weil die Gesellschaft bietet mir von sich aus keinen an.

Braucht es hier vielleicht auch mehr Vorbilder, Role-Models, die aufzeigen, so geht es auch? Gibt es davon zu wenig?

Es gibt schon welche, aber ich glaube, wir sind auch eine Pioniergeneration. Wir sind die erste Generation, in der Frauen so alt werden und zwar in einem tollen gesundheitlichen Zustand und in einem System, in dem es zahlreiche finanzielle und gesellschaftliche Möglichkeiten gibt sich zu bewegen. Wir sind die erste Generation dieser Art und deswegen gibt es einfach noch nicht so viele Role-Models. Es gibt tolle Frauen wie Chris Lohner, Susanne Kubelka oder Irmgard Griss. Diese Frauen kommen, aber wir sind eine Pioniergeneration.

Kommen wir nochmal zurück auf die Wechseljahre. Wann beginnen die?

Die Wechseljahre dauern im Schnitt 14 Jahre. Sie beginnen sieben Jahre vor und enden sieben Jahre nach der letzten Menstruation. Das heißt, das sind 14 Jahre Hormonumstellung. Die emotionalste Phase und die vielleicht und persönlich herausforderndste dauert meistens sieben bis acht Jahre. In dieser Zeit kommt das Thema Veränderung intensiv vor.

Leiden viele Frauen unter den Wechseljahren?

Eine Studie der Stadt Wien aus dem Jahr 2010 besagt., dass 1/3 keine Beschwerden haben, 1/3 leichte bis mittlere Beschwerden und 1/3 starke psychische und physische Beschwerden. Wenn sie also in einen Raum mit 100 Frauen zwischen 40 und 60 Jahren gehen, haben davon 60 Frauen Probleme.

»Wechseljahre sind wie ein Vergrößerungsglas, das aus der Psyche das hervorholt, was da ist «

Was kann ich während der Wechseljahre tun, um die Beschwerden zu lindern? Hilft es, den Wechseljahren einen Sinn zu geben?

Das ist das Allerwichtigste. Wenn man merkt, man kommt in diese Zeit, ist es wichtig, dass man versteht, was hier passiert, dass man einen Sinn und einen persönlichen Weg findet, damit umzugehen. Zusammengefasst: Verstehen, Sinn finden, Weg gehen.
Es ist hilfreich zu merken, dass man etwas verändern kann.

Inwieweit wirken sich die Wechseljahre auf die Psyche aus?

Ich würde sagen, Wechseljahre sind wie ein Vergrößerungsglas, das aus der Psyche das hervorholt, was da ist - Themen, Herausforderungen, Probleme. Wenn jemand zum Beispiel ganz große Selbstwertprobleme hat, dann werden die in den Wechseljahren ganz stark sichtbar, die Wechseljahre bringen nichts hervor, was nicht da ist. Aber sie zeigen einem ganz deutlich, wo was ist. Es hat demnach viel mit der Psyche zu tun.

Auch die viel besprochenen Hitzewallungen?

Hitze ist Energie. Und dahinter steht die Frage: Die Energie, die noch in Dir ist, wenn du 40, 50 bist, wo soll diese Energie hingehen, wo soll sie hineinfließen? Das ist der psychische Aspekt, den man dahinter sehen könnte.

»Ein ziemlich intensiver Cocktail«

Ist es demnach sinnvoll zu schauen, welche anderen Lebensumstände verantwortlich sein können für die Beschwerden?

Durchaus. Ungelöste Probleme in meiner Partnerschaft, das Loslassen der Kinder, ein unbefriedigender Job, das beeinflusst mich und da brauch ich noch gar keine Hormonumstellung. Aber das alles zusammen, dieser Hormoncocktail und diese vielen Themen, die ich aufgrund der Lebensentwicklung und der körperlichen Umstellung hab, das ist ein ziemlich intensiver Cocktail.

Wie kann ich denn die Hitzewallungen lindern?

Es gibt Dinge, die helfen dabei, Symptome zu lindern – sei es nun aus der klassischen Medizin oder aus der Alternativmedizin. Aber die Wurzel ist woanders und ich finde es viel intelligenter, sich mit der Wurzel zu beschäftigen. Und das ist die Frage: Wohin möchte die Energie, was möchte ich ins Leben bringen, was ist mir wichtig, wo soll mein Feuer hineinfließen?

Info: "Start up again". 40+ was nun? Neue Wege in der Lebensmitte finden. Vom 16. bis 23. Februar 2018 findet der Online-Kongress statt. 30 ExpertInnen verraten, welche Schritte gesetzt werden können, um Potentiale zu entfalten und neue und erfüllende Aufgaben zu finden. Zudem gibt es auch das Thema Gesundheit und einen Tag zum Thema SelbstverantwortungHier geht es zum Kongress.

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