Mehr streiten. Aber richtig

Politik und Medien schaffen sich durch Dauereskalation und Zuspitzung selbst ab. Zum nachhaltigen Schaden der Republik

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Der Ansatz ist ja gut. Zwei parlamentarische U-Ausschüsse sollen in den nächsten Monaten aufklären, ob Corona-Förderungen unter fragwürdigen Bedingungen ausgezahlt wurden und wie es mit Machtmissbrauch in Ministerien aussah. Mehr Transparenz, mehr Licht ins Dunkel der Mächtigen, wunderbar. Hier hört das Positive aber auch schon auf. Der " Cofag-Ausschuss", den SPÖ und FPÖ verlangen, will Milliardäre, um deren Unterstützung die ÖVP im Rahmen des Projekts Ballhausplatz geworben hat, untersuchen. Eine merkwürdige Vorverurteilung. Denn weder ist irgendwo zweifelsfrei nachzulesen, wer Milliardär ist - solche Bezeichnungen beruhen auf Schätzungen -, noch kann irgendwer per se etwas dafür, von der ÖVP umworben worden zu sein. Die Retourkutsche, der "Rot-blaue-Machtmissbrauch-Untersuchungsausschuss", der Malversationen in roten und blauen Ministerien von 2007 bis 2020 untersuchen will, ignoriert unelegant die Tatsache, dass während dieses gesamten Zeitraums auch die ÖVP in der Regierung war. Für Streitstoff im Vorwahlkampf sei gesorgt, analysieren Medien, und sie fürchten sich einhellig vor einer "Schlammschlacht" oder was das kampfrhetorische Angst-Lust-Vokabular sonst so hergibt.

»Politik und Medien eint eines: Das Publikum wendet sich ab«

Es sei erlaubt, mit einem Steinchen im Glashaus zu werfen: Den um sich schlagenden Protagonisten auf der politischen Bühne stehen ebensolche in der Beobachterloge der Medien gegenüber. Jede Woche wird ein neuer Skandal berichtet, der die Republik angeblich in den Grundfesten erschüttert und in der Woche darauf fast schon wieder vergessen ist. Es ist auch ein Missverständnis von kritischem Journalismus, aus dem Zusammenhang gerissene Halbwahrheiten, Einzelmeinungen immer und immer wieder empört zu wiederholen, auf dass sie irgendwann wahr werden. Die Kollateralschäden sind beträchtlich. Politik und Medien eint eines: Das Publikum wendet sich ab. Die ständige Eskalation, die Wähler, Leser, Seher bringen soll, bewirkt das Gegenteil. Erschöpfung macht sich breit. Die echten Probleme reichen vollkommen aus, viele wollen Ruhe, keine Skandale und Aufregungen, kein wütendes Geifern in U-Ausschüssen im Wahljahr, die offensichtlich vor allem parteipolitischen Zwecken dienen sollen.

"Genug gestritten", gab Sebastian Kurz einst als Losung aus und meinte damit das Unterdrücken kritischer Stimmen. Dabei müsste eigentlich viel mehr gestritten werden. Mehr gestritten und weniger ausgeteilt. Denn streiten bedeutet, sich mit einem Gegenüber auseinanderzusetzen, in Austausch zu treten, ein Zusammenspiel von Rede und Gegenrede. Streiten ist gut. Die eigene Meinung absolut zu setzen, nur innerhalb der eigenen Blase zu kommunizieren und jeden Widerspruch reflexhaft abzuwehren, ist es nicht. Das ist das Modell Herbert Kickl. Eine deutliche Mehrheit möchte den FPÖ-Chef nicht an der Spitze der Regierung sehen. Dennoch spielt ihm derzeit alles in die Hände: die großen Krisen der Welt, die offensichtliche Unfähigkeit von Politik und Medien, adäquat damit umzugehen. Es sind noch ein paar Monate bis zu den Wahlen 2024, der EU-Wahl im Juni, der Nationalratswahl im Herbst. Aber der richtige Zeitpunkt für die Bildung einer konstruktiven Achse, die das Land in eine gute Zukunft führen kann, wäre jetzt.

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