Wir sind die größten Lebensmittelverschwender

Rund 577.000 Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle landen jedes Jahr im Müll

Jedes Jahr landen in Österreich rund 577.000 Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle im Müll, davon allein 206.000 Tonnen aus privaten Haushalten. Warum man dem Konsument allein trotzdem nicht die Schuld geben kann.

von Dumpstern © Bild: privat

Selbsternannte Lebensmittelretter

Kurt W. wartet. Endlich gehen um circa 20.30 Uhr langsam die Lichter im Wiener Supermarkt aus. Erst wenn die letzten Angestellten nachhause gegangen sind, wagt der 55-Jährige sich in den nahe der Filiale gelegenen Müllraum. Mit dem Z-Schlüssel oder "Postschlüssel", den Post und Müllabfuhr benutzen, schließt er die Tür auf. Und durchsucht die Mülltonnen vorsichtig nach noch genießbaren Lebensmittelabfällen. Schnell wird er fündig: ein Netz weggeworfener Orangen, Weintrauben, Bananen, nur wenig braun, fettarme Bergbauern Heumilch, deren Mindesthaltbarkeitsdatum genau heute endet. Am Ende füllt sich ein kleines Einkaufssackerl mit noch genießbaren Lebensmitteln.

Dumpstern
© privat Was andere wegschmeißen, holt Kurt W. wieder aus dem Müll heraus

Der 55-Jährige ist einer von rund 3.000 sogenannten Dumpsterern in Wien. Sie retten weggeworfene Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten. Kurt W. ist berufstätig, er dumpstert nicht aus Not, sondern aus ideellen Gründen. "Das meiste, was weggeschmissen wird, ist noch genießbar. Ein Himbeersirup von letzter Woche ist meiner Meinung nach nicht verdorben", sagt er. Ein sehr kleiner Gefahrenfaktor bleibt bei weggeworfenem Essen für ihn insofern bestehen, dass vor allem junge Leute oft nicht mehr so gut unterscheiden könnten, ob das Produkt noch genießbar ist oder nicht. Eben weil sie mit den Supermarkt-Produkten aufgewachsen seien.

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© privat Ein Einkaufssackerl voll von genießbaren Lebensmittelabfällen

Das Lebensmittelretten will genau getimed sein. Wann wird der Müll weggeworfen? Wann kommt die Müllabführ? Je nachdem müssen die Dumpsterer bereitstehen - manchmal bei Regen oder Schnee. Am Montag lohne es sich besonders, auf Suche zu gehen, "weil nach dem Wochenende mehr Obst und Gemüse im Müll landen." "Unerfahrene sollten immer zu zweit dumpstern gehen“, sagt Kurt W. Das sei sicherer und es sei immer ein Zeuge dabei. Er selbst geht als alter Hase meistens allein, unterwegs trifft er aber nicht selten auf Gleichgesinnte. In der Szene kennt ihn fast jeder. Ein mittelgroßer Supermarkt produziere seiner Erfahrung als Dumpsterer nach täglich eine Mülltonne voll an weggeworfenen Lebensmitteln.

Verschwender Nummer eins

In Österreich fallen laut einer aktuellen Studie des Ökologie-Instituts (Juli 2017) jährlich rund 577.000 Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle entlang der Wertschöpfungskette an. Oft wird Lebensmittelverschwendung mit dem Handel beziehungsweise Supermarktketten in Verbindung gebracht. Den Schwerpunkt bilden laut Studie jedoch die privaten Haushalte. Auf sie entfallen jährlich 206.000 Tonnen der gesamten vermeidbaren Lebensmittelabfälle - gefolgt von den Bereichen Gastronomie und Lebensmittelproduktion. Woran liegt das?

Vermeidbare Lebensmittelabfälle entlang der Wertschöpfungskette:

Vermeidbare Lebensmittelabfälle Grafik
© News
»Es wird oft zu viel oder falsch eingekauft«

Die beiden Hauptgründe für Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten sind: "Es wird oft zu viel oder falsch eingekauft", sagt Studienautor Christian Pladerer vom Österreichischen Ökologie-Institut. So sollte man beispielsweise niemals hungrig einkaufen gehen und nicht zu viel auf Vorrat kaufen.
In der Gastronomie machen die Reste am Teller den Großteil der vermeidbaren Abfälle aus – und nicht das, was im Lager oder in der Küche übrig bleibt. Eine Idee zur Verbesserung wäre, kleinere Portionen zu servieren und dafür im Gasthaus den Gratis-Nachschlag für Beilagen einzuführen.

Problemkind "Brot und Gebäck"

"Der Handel war lange Zeit so etwas wie der Buhmann in Sachen Lebensmittelverschwendung", sagt Pladerer. Die Branche habe daher untersuchen lassen, wie viel Lebensmittel tatsächlich weggeworfen werden. Hochgerechnet sind das 74.100 Tonnen pro Jahr, die in Filialen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen anfallen. Die Untersuchung der ECR (Efficient Consumer Response) Austria deckte dabei rund 80 bis 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels in Österreich ab. Noch nicht enthalten sind darin die 35.600 Tonnen an Brot und Gebäck, die jedes Jahr an die Hersteller zurückgeschickt werden. "Diese Retourwaren können zu den vermeidbaren Lebensmittelverlusten im Handel dazu gezählt werden", sagt Pladerer.

Brot und Gebäck sowie frisches Obst und Gemüse stellen laut Ökologie-Institut eindeutig den größten Anteil der vermeidbaren Lebensmittelabfälle im Handel dar. Rund 50 Prozent der Masse von den 74.100 Tonnen entfallen auf Obst und Gemüse. Es folgen Molkereiprodukte, Wurstwaren und Frischfleisch.

Das sind großteils jene Produkte, die Kurt W., aus den Containern holt. Große Ketten würden teilweise ganze Lkw-Ladungen an Lebensmitteln wegbringen, da bleibt für die Lebensmittelretter nicht mehr viel übrig. Vor allem an Brot und Gebäck würde hier viel weggeschmissen werden.

Illegale Lebensmittelretter?

Der Dumpsterer weiß genau, wo die Müllräume der Supermärkte in Wien zu finden sind. Die befinden sich nämlich meistens nicht gleich neben an. Man muss eben wissen wo. An diesem Abend besucht er insgesamt drei Filialen in Wien: zweimal Billa, einmal Spar. Dabei beobachtet er ein junges Pärchen mit Rädern und Rucksäcken, die mit einem Dritten diskutieren. "Ich glaube das war ein Angestellter, der die zwei entdeckt hat", sagt er. Am Ende fahren sie unbehelligt davon. Geduldet wird das Dumpstern offenbar, aber ist es legal?

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© privat Kurt W. beim Durchsuchen der Mistkübel nach Lebensmitteln

Dumpsterer sperren die Müllräume mit dem Z-Schlüssel ("Postschlüssel") auf oder mit dem Wienereinheitszylinder 2000 (WEZ 2000), dem Generalschlüssel von Müllabfuhr und Feuerwehr - beziehungsweise einer Kopie der Schlüssel. Den Postschlüssel nachmachen zu lassen, ist legal, da das Patent abgelaufen ist, wie Alexander Kern von der Rechtsanwaltskanzlei "Mag. Martin Nemec" mitteilt. Beim WEZ 2000 Schlüssel sieht die Lage anders aus. Der Magistrat in Wien gibt den Schlüssel grundsätzlich nur für Behörden und öffentliche Dienststellen aus, wie zum Beispiel der Feuerwehr. Für eine Privatperson oder einen größeren Personenkreis sei dieser Schlüssel daher nicht gedacht, sagt Kern.

»Das Thema ist sehr strittig und es gibt zahlreiche Meinungen dazu«

"Zivilrechtlich ist eine Besitzstörungsklage möglich, egal ob man sich mit dem Postschlüssel oder dem WEZ 2000 Zutritt verschafft", erklärt der Jurist. Strafrechtlich sieht die Situation schon komplizierter aus: Laut Kern ist grundsätzlich die Frage zu klären, ob das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus einem Müllcontainer Diebstahl ist. Und genau das sei nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten, da es in diesem Fall kein OGH-Urteil gebe, welches das Gesetz eindeutig auslege. "Das Thema ist daher sehr strittig und es gibt zahlreiche Meinungen dazu", teilt Kern mit. Im Falle der Benutzung des WEZ 2000 könnte es sich sogar um Einbruchsdiebstahl handeln, da der Schlüssel widerrechtlich erlangt worden ist.

Juristisch sind drei Punkte zu klären: Ist Müll eine fremde Sache? Besitzt die Sache einen Tauschwert und demnach einen Vermögenswert? Und handelt derjenige mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern? Punkt eins würde der Jurist tendenziell mit Ja beantworten, da der Müll im Container laut Wiener Abfallwirtschaftsgesetz (und auch in anderen Bundesländern) der Stadt Wien gehört, die ihn entsorgen soll.

Fakt ist: Alle drei Fragen sind derzeit rechtlich umstritten. Sollte es zu einer strafrechtlichen Verhandlung kommen, entscheidet das Gericht im Einzelfall. In der Praxis würden die Ermittlungen in solchen Fällen allerdings meistens eingestellt, da es sich um kleinkriminelle Delikte handelt, wie Kern mitteilt.

»Eine Anzeige habe ich noch nie bekommen«

In seiner gesamten Karriere als Lebensmittelretter habe er nur ein paar Mal mit der Polizei zu tun gehabt. "Eine Anzeige habe ich noch nie bekommen", sagt Kurt W. Meistens hätten besorgte Hausbewohner die Polizei gerufen, weil sie einen "Fremden" gesehen haben, der in den Müllraum gegangen ist. "Einmal hat mich ein Angestellter erwischt und mich festgehalten, bis ich ein Foto von ihm gemacht habe", schildert Kurt W. Der Mitarbeiter habe die Polizei rufen wollen. Der 55-Jährige habe gesagt, das könne er ruhig tun, er müsse aber weiter zum nächsten Müllraum. Folgen habe es keine gegeben.

Eine vom Aussterben bedrohte Szene

Dabei hat die Dumpster-Szene in Österreich ein Ablaufdatum. Nach und nach tauschen die Supermärkte die Schlösser aus, sodass man nur mehr mit einem Magnetschlüssel hineingelangt. "Dieser neue Schlüssel ist für uns nicht mehr organisierbar und damit löst sich das Ganze auf", teilt Lebensmittelretter Kurt W. mit. Die Szene ist in naher Zukunft quasi vom Aussterben bedroht. Schon jetzt sind es in Wien nur mehr 80 bis 100 Filialen von insgesamt rund 700 Standorten an größeren Supermarktketten, in deren Müllräume die Dumpsterer hineinkommen. An die 3.000 Leute verteilen sich somit auf diese begrenzte Anzahl an Hotspots.

Während die Dumpster-Szene in Österreich langsam stirbt, entwickeln sich andere Projekte: In Österreich betreibt das Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus seit 2014 die Informationskampagne "Lebensmittel sind kostbar". Konkret messbare Erfolge gibt es bisher noch nicht. Detaillierte Zahlen werde es auf Basis von Restmüllanalysen für den privaten Bereich 2020 geben, heißt es aus dem Ministerium.

Einen gewissen Einfluss hat das Projekt des Umweltministeriums auf jeden Fall, teilt Nunu Kaller, Konsumentensprecherin bei Greenpeace Österreich, mit. Und wenn es nur der Konsumenteninformation diene.

Seit Mai 2017 gibt es einen zusätzlichen Pakt mit den Lebensmittelunternehmen. Er sieht drei verpflichtende Maßnahmen vor: die Kooperation mit sozialen Einrichtungen, eine Schulung der Mitarbeiter und einen Bericht alle drei Jahre. Hier sollen laut Ministerium bis "Mitte 2018 neuere Daten vorliegen." Dem Pakt beigetreten, sind bisher von den größeren Supermarktketten: Hofer, Lidl Österreich, Rewe Group, Spar AG und Mpreis - ebenso wie Julius Kiennast, zwei "Nah & Frisch"-Einzelbetriebe, Kastner Großhandels GmbH und Evas G'schäft.

Das tun Supermärkte

Die großen Supermarktketten wehren sich damit nicht zuletzt gegen das Buhmann-Image. Und beziehen Stellung zu Aufreger-Postings wie diesem:

Nach Angaben der Supermarktketten Hofer, Rewe und Spar entsorgt der Handel nur einen geringen Prozentsatz des Lebensmittelumsatzes: Hofer gibt 0,6 Prozent an, Spar unter 1 Prozent und Rewe 1 bis 1,5 Prozent. "Es bleibt im Lebensmittelhandel viel weniger übrig, als man meint", sagt Nicole Berkmann, Unternehmenssprecherin von Spar Österreich. Am ehesten sind Produkte vom Frischebereich wie Obst und Gemüse betroffen, aber viel werde an soziale Einrichtungen weitergegeben. In dieselbe Kerbe schlägt Hofer: "Ein Großteil der Lebensmittel, die in den Regalen 'überbleiben' und nicht mehr gekauft werden, werden an soziale Einrichtungen und Tafeln abgegeben. Wir arbeiten mit mehr als 100 karitativen Einrichtungen in ganz Österreich zusammen, darunter die Caritas, der Samariterbund und die Team Österreich-Tafeln vom Roten Kreuz." Rewe verweist ebenso auf langjährige Kooperationen: 100 Prozent aller Merkur- und 95 Prozent der Billa-Filialen würden eng mit karitativen Organisationen zusammenarbeiten.

Laut einer Befragung aus dem Jahr 2015 wurden rund 11.000 Tonnen an Lebensmitteln aus dem Handel und der Produktion an karitative Einrichtungen weitergegeben. Erhebungen zeigen, dass 95 bis 96 Prozent davon verwertet worden sind.

»Im Fall von unerwarteten Überschüssen versuchen wir flexibel und innovativ zu reagieren«

Warum kommt es trotz aller Maßnahmen zu Vorfällen in Filialen, bei denen Kunden auf potentielle Lebensmittelverschwendung hinweisen? Rewe erklärt das wie folgt: Es sei eine Tatsache, dass weggeworfene Ware für Lebensmittelhändler auch weggeworfenes Geld bedeutet und das Unternehmen alleine deshalb Interesse daran hat, durch intelligente Beschaffung und Logistik die angebotenen Mengen möglichst genau der prognostizierten Nachfrage der Kunden anzupassen. "Im Fall von unerwarteten Überschüssen versuchen wir flexibel und innovativ zu reagieren. Beispielsweise haben wir in vielen Märkten die Möglichkeit, Obst und Gemüse zu Smoothies oder Obstsalat weiterzuverarbeiten", teilt Rewe mit.

Und der Konzern gibt vor allem zu bedenken: "Der Lebensmittelhandel steht hier im Spannungsfeld zwischen der Erwartungshaltung der Konsumenten, ein vielfältiges Frischeangebot bis Geschäftsschluss vorzufinden, und dem Risiko von Angebotsüberhängen."

In puncto Mindesthaltbarkeitsdatum hält Spar-Sprecherin Berkmann fest: "Als Händler sind wir verantwortlich, dafür zu sorgen, dass das Lebensmittel in Ordnung ist". Deshalb verkaufe Spar kein Produkt, bei dem das Mindesthaltbarkeitsdatum bereits überschritten wurde. Abgesehen davon wäre ein solches Produkt ein Ladenhüter. "Die Kunden wollen frische Ware haben", sagt sie.

Die Verantwortung des Konsumenten

Ist am Ende also wieder der Konsument gefragt, nicht darauf zu bestehen, das volle Angebot bis zu Geschäftsschluss kaufen zu wollen?

"Letztverantwortlich ist immer der Konsument, aber die Industrie schiebt dem Verbraucher gerne die Schuld zu", sagt Greenpeace-Expertin Kaller. Das Argument Nummer eins lautet: Wir stellen lediglich das Angebot zur Verfügung, die Nachfrage bestimmt. Das ist für die Konsumentensprecherin ein klarer Trugschluss: Nicht jeder braucht beispielsweise immer ein Kilogramm Zwiebeln, sondern vielleicht nur zwei Stück. Einzeln gebe es diese aber in den großen Supermarktketten nicht zu kaufen. Auch verlockende Multipack-Angebote ("Nimm 3, zahl 2") sieht sie als Problem an. Ein Teil des vermeidbaren Lebensmittelabfalls in privaten Haushalten sei daher auf die Verpackungsgrößen zurückzuführen. Die Industrie beziehungsweise der Handel erschwere so den Konsumenten, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

»Es kann schon sein, dass Konsumenten heutzutage nicht mehr zum kleinen, unschöneren Apfel greifen würden, weil sie es optisch verlernt haben«

Der Handel folgt klar ästhetische Anforderungen, die umgesetzt werden: Glänzende und makellose Äpfel reihen sich neben wohlgeformten Paprikas und Zucchinis in den Regalen. Der Konsument verlangt doch danach - oder? "Es kann schon sein, dass Konsumenten heutzutage nicht mehr zum kleinen, unschöneren Apfel greifen würden, weil sie es optisch verlernt haben", sagt Kaller. Dabei haben die schwarzen Flecken auf den Äpfeln keinen Einfluss auf hygienische Standards. Aber die Konsumenten könnten umerzogen werden. Allein der Erfolg der "Wunderlinge" - krumm gewachsenes Obst und Gemüse - von Merkur zeige, dass man sie überzeugen kann.

Die Aktionen des Handels, Lebensmittel an Sozialmärkte abzugeben, sieht Kaller nicht nur positiv: "Es ist eine gute Idee, aber die Frage ist, wie diese vom Handel genutzt wird." Denn dadurch werde es den großen Unternehmen leichter gemacht, ihr Überangebot beizubehalten und gleichzeitig das Image durch wohltätige Zwecke aufzupolieren. Den Kunden bis zur letzten Minute das volle Regal anzubieten, erwecke jedoch falsche Ansprüche. "An einem Samstagabend dürfen die Regale einfach nicht mehr randvoll sein. Hinter gewissen Supermärkten kann man das Brot immer noch en masse aus den Mistkübeln holen", sagt die Greenpeace-Sprecherin.

Mindestens haltbar bis ...

In diesem Zusammenhang spielt das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ebenfalls eine wesentliche Rolle: "Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Verbrauchsdatum", stellt Abfallexperte Pladerer klar. Mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum garantiere der Produzent innerhalb eines Zeitraums lediglich bestimmte Qualitätskriterien. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wird, heißt das also noch lange nicht, dass das Produkt nicht mehr genießbar ist.

Spar, Hofer und Rewe setzen daher auf günstige Angebote: Produkte, die kurz vor dem Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, werden rabattiert. Bleibt davon etwas übrig, wird es an die sozialen Einrichtungen übergeben. Erst den Rest entsorgen die Ketten als Abfall.

Die EU-Agrarminister haben eine Initiative ins Leben gerufen, mit dem Ziel, bei langlebigen Produkten wie Nudeln, Mehl, Reis oder Kaffee das Mindesthaltbarkeitsdatum abzuschaffen. In Österreich gibt es dazu einen Entschließungsantrag vom 8. Juli 2014: Er wurde an den Ausschuss für Konsumentenschutz verwiesen, ist derzeit noch Verhandlungsgegenstand und im Ausschuss bis heute nicht aufgenommen. Ob 2018 etwas in dieser Richtung passieren wird, ist ungewiss. Zuständig wäre das Gesundheitsministerium.

Noch einiges zu tun

Am Ende bleibt nach Expertenansicht noch einiges zu tun, um vermeidbare Lebensmittelabfälle weiter einzudämmen. "Es gibt derzeit kein EU-Land, das ein Vorreiterland in puncto Lebensmittelabfallvermeidung ist", sagt Kaller.

In Österreich sind laut Pladerer für den Sektor Landwirtschaft noch immer keine aussagekräftigen Zahlen über vermeidbare Lebensmittelabfälle vorhanden. Er würde sich wünschen, dass die Datenlücke endlich geschlossen wird. Denn der Experte ortet auch in der Landwirtschaft ein Potential zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendung, "besonders bei jenen Produkten, die nicht den Qualitätsanforderungen des Handels entsprechen."

Erst seit kurzem gibt es für Österreich Zahlen aus der Lebensmittelproduktion. Prinzipiell arbeitet die Produktion sehr effizient, zieht Pladerer Bilanz. Dennoch gibt es Verbesserungspotential: Immer wieder werden qualitativ einwandfreie Produktchargen hergestellt, die der Handel am Ende nicht abnimmt - unter anderem weil die Nachfrage plötzlich fehlt oder die falschen Etiketten angebracht wurden.

Sein Fazit lautet: "Jeder hat eine Verantwortung bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Es ist ein Schnittstellen-Problem", teilt der Experte mit. Essentiell sei die Zusammenarbeit aller Sektoren - von der Landwirtschaft bis hin zu den Privathaushalten -, um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Vor allem dem Handel und den Haushalten komme eine wichtige Rolle zu, da die einen die Nachfrage beeinflussen können und die anderen das Angebot in einem gewissen Maß steuern.