Lebenslang für Rechtsterroristin?

Zschäpe voll verantwortlich für die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds

Im Mordprozess um die deutsche Terrorgruppe NSU hat die Anklage eine lebenslange Freiheitsstrafe für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe gefordert. Außerdem solle das Gericht die besonderer Schwere der Schuld feststellen und eine anschließende Sicherungsverwahrung anordnen, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer am Dienstag in seinem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht München.

von Zschäpe - Lebenslang für Rechtsterroristin? © Bild: POOL

Das entspricht der Höchststrafe nach deutschem Recht. Wenn das Gericht dem Antrag folgt, wäre eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen. Die 42-Jährige habe sich als Mitglied einer terroristischen Vereinigung des zehnfachen Mordes, zahlreicher Mordversuche durch zwei Bombenanschläge sowie mehrerer Raubüberfälle schuldig gemacht, sagte Diemer. Jeder Mord und jeder Bombenanschlag rechtfertige schon für sich allein eine lebenslange Strafe.

Insgesamt ließe sich für die von Zschäpe begangenen Taten 14 Mal eine lebenslange Strafe verhängen, dazu kämen verschiedene Einzelstrafen zwischen sechs und neun Jahren Haft, sagte der Ankläger. Zschäpe verfolgte Diemers Worte ohne erkennbare Regung, die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Hände gestützt.

»Zschäpe ist ein eiskalt kalkulierender Mensch«

Zschäpe sei "ein eiskalt kalkulierender Mensch", sagte Diemer. Menschenleben hätten bei der Durchsetzung ihrer verbrecherischen Ziele keine Rolle gespielt. Zschäpe zeige "eine Menschen- und Staatsfeindlichkeit, die es unumgänglich macht, die besondere Schwere der Schuld festzustellen". Hinzu komme eine besondere Gefährlichkeit Zschäpes, was eine Sicherungsverwahrung nach einer Haftstrafe erforderlich mache.

Eine möglichst lange Strafe könne auch sicherstellen, dass für Zschäpe ausreichend Zeit zur Läuterung und die Allgemeinheit vor ihr geschützt bleibe. Bisher gebe es keinerlei Anzeichen für eine Läuterung Zschäpes, betonte der Bundesanwalt.

"In vollem Umfang strafrechtlich verantwortlich"

"Die Angeklagte ist für ihr Verhalten in vollem Umfang strafrechtlich verantwortlich", sagte der Bundesanwalt. Zschäpe sei zwar den Ermittlungen zufolge nicht selbst an den Tatorten anwesend gewesen, jedoch wegen ihres Wirkens im Hintergrund mitverantwortlich für die Taten ihrer beiden Gefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die sich das Leben nahmen. Es gebe zudem keine Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit Zschäpes infolge einer psychischen Störung. Zschäpe hatte sich in dem Prozess eine passive Rolle im dem Trio zugeschrieben.

Mitangeklagter schuldig wegen Beihilfe zum Mord

Für den mitangeklagten mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben forderte die Anklage wegen Beihilfe zum Mord zwölf Jahre Haft. Wohlleben soll die Waffe beschafft haben, mit der der NSU neun Morde beging. Für den zweiten Beschaffer der Pistole vom Typ Ceska, Carsten S., forderte die Anklage drei Jahre Jugendhaft. S. hatte als einziger Angeklagter von Anfang an umfassend ausgesagt. Ohne seinen Beitrag wäre nach Angaben der Bundesanwaltschaft keine so umfassende Aufklärung möglich gewesen. Er habe "ganz entscheidend" beigetragen, erklärte Diemer die geringe Strafforderung.

Zehn Morde, drei Bombenanschläge und 15 bewaffnete Raubüberfälle

Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte, zehn Morde, drei Bombenanschläge und 15 bewaffnete Raubüberfälle in den Jahren 1998 bis 2011 zu. Den Ermittlungen zufolge töteten Zschäpes Gefährten Böhnhardt und Mundlos neun Männer türkischer und griechischer Abstammung sowie eine Polizistin.

Zschäpe einzige Überlebende

Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios. Böhnhardt und Mundlos nahmen sich bei der Enttarnung der Gruppe 2011 das Leben. Mit einem Urteil wird frühestens in einigen Wochen nach den Plädoyers der Nebenkläger und Verteidiger gerechnet. Der seit mehr als vier Jahren andauernde Prozess zählt zu den umfangreichsten der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Neun Kleinunternehmer und eine Polizistin als Mordopfer

Inzwischen ist es mehr als zehn Jahre her, dass im April 2007 mit dem Tod der Polizistin Michele Kiesewetter die NSU-Mordserie endete. Zehn Menschen sollen durch Schüsse von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gestorben sein.

ENVER SIMSEK war das erste NSU-Mordopfer. Der aus der Türkei stammende 38-Jährige wurde am 9. September 2000 vor seinem mobilen Blumenstand in Nürnberg mit acht Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen niedergeschossen und starb zwei Tage später im Krankenhaus.

ABDURRAHIM ÖZUDOGRU ist das zweite von insgesamt drei Opfern aus Nürnberg. Der ebenfalls türkischstämmige 49-Jährige wurde am 13. Juni 2001 durch zwei Kopfschüsse in seiner Änderungsschneiderei getötet.

SÜLEYMAN TASKÖPRÜ starb zwei Wochen später am 27. Juni 2001 in einem von seinem Vater betriebenen Obst- und Gemüsegeschäft in Hamburg-Bahrenfeld. Der 31 Jahre alte Vater einer Tochter starb wie Simsek durch Schüsse aus zwei Pistolen, einer als Haupttatwaffe der NSU-Morde geltenden Ceska und einer Bruni Modell 315.

HABIL KILIC wurde am 29. August 2001 in seinem Obst- und Gemüseladen in München erschossen, er wurde 38 Jahre alt. Nach diesem dritten Mord des Sommers 2001 sollen Böhnhardt und Mundlos bis 2004 keine weiteren Morde begangen haben.

MEHMET TURGUT ist das fünfte NSU-Mordopfer. Er starb am 25. Februar 2004 durch drei Kopfschüsse vor einem Dönerimbiss in Rostock. Der 25 Jahre alte Turgut war erst kurz vorher aus Hamburg nach Rostock gekommen und wollte am Tattag spontan als Aushilfe in dem Imbiss seines Freunds arbeiten.

ISMAIL YASAR wurde am 9. Juni 2005 in seinem Nürnberger Dönerimbiss erschossen. Er wurde 50 Jahre alt und stammte wie acht der Opfer aus der Türkei. Nach diesem sechsten Mordfall sprach die Polizei fälschlicherweise offen davon, die bisherigen sechs Opfer könnten "in Verbindung mit türkischen Drogenhändlern aus den Niederlanden" stehen. Dass mehrere Zeugen am Tatort zwei Männer auf Fahrrädern sahen, brachte die Polizei noch immer nicht auf die richtige Spur.

THEODOROS BOULGARIDES starb am 15. Juni 2005 im Laden seines Schlüsseldiensts in München. Der zweifache Vater wurde 41 Jahre alt, er hinterließ Frau und zwei Kinder. Boulgarides ist das einzige Opfer mit griechischen Wurzeln.

MEHMET KUBASIK wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Kubasik wurde 39 Jahre alt, der Deutschtürke hinterließ Frau und drei Kinder.

HALIT YOZGAT wurde nur zwei Tage später mit zwei Kopfschüssen in einem von ihm betriebenen Internetcafé getötet. Yozgat war mit 21 Jahren das jüngste NSU-Opfer. Während der Tatzeit befand sich ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes in dem Internetcafé - dieser bestreitet, etwas von der Tat mitbekommen zu haben.

MICHELE KIESEWETTER starb am 25. April 2007 durch einen gezielten Kopfschuss auf einem Parkplatz in Heilbronn. Die 22 Jahre alte Polizistin machte dort zusammen mit einem Kollegen eine Pause. Dieser erlitt ebenfalls einen Kopfschuss, überlebte aber. Da es in diesem Fall keinen fremdenfeindlichen Hintergrund gibt, könnte Waffenbeschaffung ein Tatmotiv sein - Mundlos und Böhnhardt stahlen die Waffen der beiden Polizisten. Mit dem Mord an Kiesewetter endete die NSU-Mordserie - danach lebten Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe noch viereinhalb Jahre unerkannt im Untergrund weiter.

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