Kataloniens Unabhängigkeit: Wie wahrscheinlich ist eine Eskalation?

Spanien will das für Sonntag geplante Referendum um jeden Preis verhindern

Am Sonntag sollen die Katalanen in einem lange angekündigten Referendum über ihre Unabhängigkeit von Spanien abstimmen. Die Madrider Regierung, die die Abstimmung als illegal betrachtet, ließ vorsichtshalber Polizeikräfte und Panzer in die Region verlegen. Droht wirklich ein blutiger Konflikt mitten in Europa?

von
Konflikt - Kataloniens Unabhängigkeit: Wie wahrscheinlich ist eine Eskalation?

In den Touristen-Hotspots von Barcelona – der Flaniermeile La Rambla, dem Park Güell oder der unvollendeten Basilika Sagrada Familia – ist von Anspannung nichts zu bemerken. Es hat verlässlich über 20 Grad, die Nachsaison läuft noch, alles geht seinen gewohnten Gang. Dabei steuert die Hauptstadt Kataloniens gerade auf einen immer heftiger geführten Konflikt mit der spanischen Zentralregierung zu. Am Sonntag (1. Oktober) soll in der 7,5 Millionen Einwohner zählenden Region ein Unabhängigkeitsreferendum stattfinden, ausgerufen von der separatistischen Regionalregierung. Das Verfassungsgericht hat das Votum für illegal erklärt, weil es in Widerspruch mit der spanischen Verfassung steht.

Doch die Katalanen bestehen auf ihrer Abstimmung: Hunderte Bürgermeister erklärten, die Wahl in ihren Gemeinden zu ermöglichen, obwohl ihnen die Verhaftung angedroht wurde. Jetzt greift Madrid zu härteren Mitteln. In den letzten Wochen wurden rund zehn Millionen Stimmzettel beschlagnahmt, dutzende Beamte und Politiker verhaftet und öffentlichkeitswirksam Razzien in katalanischen Behörden durchgeführt. Und dennoch dürfte sich die Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy nicht sicher sein, das Referendum damit verhindert zu haben. Denn vorsichtshalber wurden auch rund 5.000 Polizisten in die Region verlegt, bis Sonntag dürften es noch mehr werden. Viele gehören der paramilitärischen Guardia Civíl an.

Regionalpolizei Mossos wurde entmachtet

Kataloniens eigentlich autonome Polizei, die Mossos d'Esquadra, wurde entmachtet und dem Befehl dieser regierungstreuen Einheit unterstellt. Sowohl die katalanische Regierung als auch die Polizeiführung weigern sich jedoch, diese Anordnung zu akzeptieren. Wem die Loyalität der Mossos im Zweifel gilt, ist nicht vorherzusagen. Unter anderem deshalb geht die Madrider Regierung noch einen Schritt weiter: Zuletzt wurden "Pizarro"-Kampfpanzer der Armee gesichtet, die auf Tiefladern über die Autobahn nach Katalonien transportiert wurden. Fotos davon machten auf Social Media die Runde. Auch bei den Guardia-Civíl-Kräften tauchten vermehrt leichte Radpanzer auf. Das spanische Verteidigungsministerium äußerte sich dazu offiziell nicht, eine militärische Intervention in Katalonien war aber auch nie ausgeschlossen worden.

Wie die "Presse" berichtet, hat die Armee grundsätzlich aber nur schwache Kräfte in der Region, lediglich ein einziges Infanterieregiment mit rund 1.500 Mann. Diese dürften gerade verstärkt und auf das Äußerste vorbereitet werden. Das Recht zu einem Polizei- oder Militäreinsatz leitet die Regierung aus Artikel 155 der Verfassung ab. Dieser erlaubt ihr etwas wage, bei Zustimmung des Senats mit allen Mitteln einzugreifen, wenn eine Autonome Gemeinschaft (wie Katalonien) "so handelt, dass ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt". Und im Senat hat die Volkspartei von Ministerpräsident Rajoy eine deutliche Mehrheit.

70 Prozent für Unabhängigkeits-Abstimmung

Auch in der Bevölkerung heizt sich die Stimmung immer mehr auf, und das auf beiden Seiten. In Barcelona und anderen Städten Kataloniens sind hunderttausende auf die Straßen gegangen, um für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Obwohl die Region in Wahrheit gespalten ist, ob sie sich von Spanien loslösen soll, befürworten über 70 Prozent zumindest eine Abstimmung darüber. Die Abschreckungstaktik der Zentralregierung treibt unentschlossene Katalanen eher der Unabhängigkeitsbewegung zu und könnte jene, die dafür sind, weiter radikalisieren. Zugleich wurden die nach Katalonien aufbrechenden Polizeikräfte in vielen Städten von jubelnden Menschenmengen mit "Holt sie euch"-Rufen verabschiedet. Die Abneigung gegenüber den Katalanen in Rest-Spanien wächst.

Droht also wirklich ein bewaffneter Konflikt mitten in Europa? Für die meisten Diplomaten und internationalen Beobachter ist das nach wie vor unvorstellbar. Aber sie waren auch schon von den hektischen Entwicklungen der vergangenen Wochen überrascht. Und wie genau ein einvernehmliche Lösung des Konflikts aussehen könnte, ist unklar. Kann das Referendum tatsächlich durchgeführt werden und gibt es einen "Ja"-Sieg, will Kataloniens Präsident Carles Puigdemont sofort einen Fahrplan zur Unabhängigkeit umsetzen. Spaniens Generalstaatsanwalt deutete an, dass er dafür wegen Amtsmissbrauchs und zivilen Ungehorsams angeklagt und verhaftet werden könnte.

Sowohl die katalanische Regierung als auch das Regionalparlament könnten von Gerichten ihrer Ämter enthoben werden, wollen das aber im Fall der Fälle ignorieren. Damit würden ab Montag in Katalonien zwei politische Systeme nebeneinander existieren, ein von Spanien anerkanntes und eines, das quasi in den Untergrund gedrängt wurde: Eine prekäre Situation. Schon davor ist das Eskalationspotential groß, da die Polizei den Wahlgang am Sonntag verhindern soll, indem sie auch die Wahllokale besetzt. Die reichste Region Spaniens sieht unsicheren Zeiten entgegen.