Eine Pflegefamilie im Interview

Was sind die Schwierigkeiten, die Herausforderungen und die Besonderheiten einer Pflegefamilie? Wir haben bei einer Familie nachgefragt.

von

News.at: Was hat euch dazu bewogen, Pflegekinder aufzunehmen?
Pflegefamilie: Der Wunsch, eigene Kinder zu haben, ging auf natürlichem Weg nicht in Erfüllung. Wir wollten dann einem Kind, das einen schwierigen Start ins Leben erfahren musste, die Chance bieten, in einem geborgenen sicheren und liebevollem Umfeld aufzuwachsen. Der Platz dafür war ja schon da, räumlich und natürlich vor allem emotional!

Warum die Entscheidung für Pflege statt Adoption – und wäre Krisenpflege auch in Frage gekommen?
Adoption in Österreich ist in der Regel ein enormer zeitlicher und bürokratischer Aufwand. Die Wartefristen betragen mehrere Jahre im Schnitt und auf Grund unseres damaligen Alters (44 und 34) wäre ich als Vater schon auf Grund des erheblichen Altersunterschiedes zu einem Adoptivkind wohl gar nicht mehr zum Zug gekommen. Eine jahrelange Wartezeit mit unsicherem Ausgang kam dann für uns nicht in Frage. Und die Möglichkeit, seine totale Zuwendung einem Kind zu schenken, sahen wir schließlich bei einem Pflegekind genau so gegeben.

Krisenpflege war keine Option, dies ist doch ein erheblicher Unterschied sowohl in der Ausbildung als auch von der Einstellung zum Kind. Krisenpflege ist ein pädagogisch und organisatorisch enorm fordernder Job, den man auch tatsächlich vor allem als Job sehen muss, allein wegen der zeitlichen Beschränkung der Betreuung. Wir wollten so nah als möglich an ein "normales" Familienleben herankommen

»Die Hürden sind nicht allzu hoch«

Wie schwer ist es, Pflegekinder zu bekommen?
Die Hürden sind nicht allzu hoch und ein sehr engmaschiges Netz an Kontrolle, Prüfung der Bewerber und Information/Schulung der Eltern ist unserer Meinung nach absolut notwendig. Die Kinder sollen ja BESSER leben als zuvor. Da der Bedarf an Pflegeeltern aber sehr groß ist, verläuft der gesamte Prozess vom ersten Gespräch bei der Behörde bis zum Tag, an dem die Kinder einziehen, relativ rasch ab (einige Monate, kein Jahr). Dies alles (Intensität der Prüfung, Dauer usw...) ist aber von Bundesland zu Bundesland und von Behörde zu Behörde sehr unterschiedlich.

Wie bereitet man sich auf so etwas vor?
Im Grunde ist es gar nicht so anders wie bei einem eigenen Kind in der Schwangerschaft. Man gestaltet den Wohnraum und macht sich 1000 Gedanken, wie das Leben dann sein wird (ist dann ohnedies anders). Der große Unterschied: man weiß nicht, wie alt das Kind genau ist und welche Vorgeschichte es mitbringen wird! Daher kann man sich auch weniger exakt vorbereiten als bei einem leiblichen Kind.

Wie viel wisst ihr über die Vorgeschichte der Kinder?
So viel wie nötig ist, um gewisse Verhaltensweise besser einordnen zu können und um manchmal besser reagieren zu können. Alles im Detail zu wissen, wäre unserer Meinung nach kontraproduktiv, da es zu Wut gegenüber den leiblichen Eltern oder Überinterpretation führen könnte.

»Die Entscheidung, zu zwei Kindern statt zu einem wie ursprünglich geplant ja zu sagen, hat nicht einmal fünf Minuten gedauert!«

Ihr habt ein Geschwisterpaar bekommen – wie schwer ist die Entscheidung gefallen, statt einem zwei Kinder zu nehmen?
Die Entscheidung, zu zwei Kindern statt zu einem wie ursprünglich geplant ja zu sagen, hat nicht einmal fünf Minuten gedauert! Und auch diese fünf Minuten waren wohl nur dazu da, damit man so tun kann, als hätte man ein bisschen darüber nachgedacht.

Könnt ihr das Gefühl beschreiben, wie es ist, wenn man die Kinder zum ersten Mal trifft?
Erstaunlich unspektakulär, nicht viel anders, als wenn man andere Kinder kennenlernt, keinesfalls überwältigend. Eher ein freundliches, offenes, neugieriges Kennenlernen. Ohne große Emotionen, natürlich mit einer gewissen Nervosität und vielen Gedanken und einer sehr großen Bereitschaft, sich 100 Prozent auf die Kinder einzulassen. Aber obwohl unsere Kinder vom ersten Moment an enorm aufgeschlossen uns gegenüber waren, braucht es seine Zeit, um wirklich Nähe zu entwickeln. Vielleicht ist das bei einem Baby anders als bei Zwei-/Dreijährigen.

Wie lange hat es gedauert, bis die Kinder integriert waren? Gab es einen Punkt, einen Moment, an dem ihr gemerkt habt: „Jetzt sind wir eine Familie“?
Integriert kann man es kaum nennen, da wir vorher keinen familiären Alltagsablauf hatten. Wir passten eher den Alltag an die Kinder an und integrierten uns alle vier in diese Situation. Aber in die neue örtlichen und familiären Umgebung fügten sich die Kinder von Anfang an fast zu gut ein, was auch daran lag, dass Kinder in der ersten Zeit in einer neuen Umgebung zu einer Überangepasstheit neigen, was bei unseren Kindern schon sehr ausgeprägt war. Erst mit einer großen Sicherheit, hier wirklich angenommen zu werden, können sie loslassen und sich auch austoben und gehen lassen. Diese Zeit, die Jahre dauern kann, ist nicht immer einfach für die Eltern, aber im Grunde ein sehr gutes Zeichen. Den Familien-Moment gab´s nicht speziell, man merkt es eher im Denken, dass das Thema Pflegekind einfach keine Rolle mehr spielt oder man ganz selbstverständlich von "unseren" Kindern spricht bzw. die Ansprache als "Mama" und "Papa" als einzig logische Ansprache empfindet. Einzelmomente, in denen man sich erstmals als Familie spürt und als solche wahrgenommen fühlt, sind dann eher die "offiziellen" Anlässe wie Kindergarteneinschreibung, Familienfeiern oder Erntedank etc.

Wie geht man damit um, dass die Kinder irgendwann wieder rückgeführt werden könnten zu den leiblichen Eltern?
Das rückt immer mehr in den Hintergrund, schon auf Grund des Alltages und spielt keine Rolle mehr. In unserem Fall ist aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Rückführung kommt, verschwindend gering und es wird auch nicht darauf hingearbeitet.

»Unsere Erfahrung ist aber, dass es kaum möglich ist, sich NICHT 100 Prozent auf die Kinder einzulassen«

Versucht man zunächst, sich emotional nicht 100-prozentig auf die Beziehung einzulassen, aus Angst, dass die Kinder wieder wegkommen könnten? Und kann das überhaupt gelingen?
Es ist schwer zu beantworten, was 100 Prozent bedeutet, weil uns der Vergleich zu selbst erlebter leiblicher Elternschaft fehlt. Unsere Erfahrung ist aber, dass es kaum möglich ist, sich NICHT 100 Prozent auf die Kinder einzulassen, wenn man den Kindern eine gelungene Kindheit bieten und man selbst eine Erfüllung erleben will. Sonst ist man bei der Dauerpflege wohl am falschen Platz.

Ist dieser regelmäßige Kontakt mit den leiblichen Eltern belastend? Wie oft findet er statt?
Der Kontakt findet mittlerweile je ein Mal im Monat zum Vater und ein Mal zur Mutter statt, was ein halbwegs erträgliches Intervall ist. Am Anfang war das wesentlich häufiger und hinderte uns massiv, ein geregeltes Familienleben aufzubauen.
Der Kontakt ist absolut notwendig, damit die Kinder diesen Teil ihres Lebens gut in ihre Biographie integrieren können, damit umgehen lernen und es für sie immer ihre Art von normalem Leben bleibt. Natürlich hinterlässt jeder Kontakt Spuren bei den Kindern, aber es wird einfach mehr und mehr zu einem routinemäßigen Ablauf, der die Kinder nicht sonderlich belastet. Aber das alles unterliegt einem stetem Wandel, es gibt hier nie gänzliche Sicherheit und man weiß nie, wie sich die Kinder und auch die Kontakte im Laufe der Jahre entwickeln werden.

Was ist die größte Herausforderung als Pflegeeltern?
Die größte Herausforderung ist sicher, dass uns eine Ur-Beziehung zu den Kindern, die absolute Grundvertrautheit, die natürliche Bindung als Basis einfach auf Grund der mehrjährigen Vorgeschichte der Kinder eben fehlt. es wird Jahre dauern, bis die Kinder zu uns eine halbwegs stabile Bindung aufgebaut haben werden und es wird nie die selbe Qualität haben, wie bei einem leiblichen Kind. Das äußert sich durchaus im Alltag, wo wir einfach merken, dass der Draht zu den Kindern viel viel dünner ist als bei leiblichen Eltern und er auch einmal reißen kann. Damit umzugehen ist eine große emotionale Herausforderung, wohl die größte der Pflegeelternschaft.

Wird man vom Amt in irgendeiner Form kontrolliert?
In unserem Fall pflegen wir von uns aus aktiv den Kontakt zur Behörde und halten sie auf dem Laufenden, dazu gibt's auch hin und wieder Besuche, Besprechungen und Treffen, aber richtige "Kontrollen" sind noch nicht vorgekommen, könnten aber natürlich jederzeit auch unangemeldet durchgeführt werden.

Kann man von der Pflegeelternschaft leben?
Wenn man Krisenpflege als Job und vor allem mit mehreren Kindern betreibt, wahrscheinlich schon, die Abgeltung ist hier viel höher. Und das ist auch absolut gerechtfertigt. Ansonsten ist die finanzielle Unterstützung ausreichend, allein davon leben könnte man aber wohl nur schwer.

»Es ist das pure Leben «

Was würdet ihr anderen Pflegeeltern mit auf den Weg geben?
Wir haben bisher immer sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die Behörde als Partner zu sehen und mit ihr zusammenzuarbeiten, nicht als Gegner! Das gleiche gilt für die Herkunftsfamilie, die man als Teil des Lebens der Kinder begreifen muss und deren Stellenwert man für die Kinder anerkennen muss.
Aber das Schönste und Wichtigste: zu 99 Prozent lebt man als Pflegefamilie das gleiche Familienleben wie alle leiblichen Familien, mit allen Glücksmomenten, Horrornächten, rührenden und stolzen Momenten, Ärger und Frust, Spaß und Abenteuer...kurz: es ist das pure Leben mit Kindern und jeder Tag, den man den Kindern in einem gelungenen Umfeld bieten kann, kann einem selbst und den Kindern ein Leben lang niemand mehr wegnehmen!