Günther Platter: "Das war unanständig"

Etappe zwei der News-Sommertour zu den Landeshauptleuten führt nach Tirol zu Günther Platter. Der längstdienende ÖVP-Landesfürst spricht über "Unbehagen" bei türkisen Chats und kritisiert die bayrischen Nachbarn, die zu wenig gegen die Klimakrise unternehmen, aber bei Corona den Mund zu voll genommen haben

von Interview - Günther Platter: "Das war unanständig" © Bild: Ricardo Herrgott/news

News: Als Landeshauptmann kommen Sie mehr unter die Leute als Bundespolitiker was sagen die Leute denn zu den aktuellen Skandalen der Bundes ÖVP?
Günther Platter:
Stimmungsmäßig sind die Öffnungsschritte und die Coronaimpfungen im Vordergrund. Ich spüre, dass es sich Richtung Zuversicht gedreht hat, weil die Inzidenzzahlen überall stark zurückgegangen sind und das Impfen gut funktioniert. Betreffend manche Entwicklungen in Wien glaube ich, dass insgesamt die Tonalität, mit der diese Diskussion geführt wird, nicht dazu führt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik steigt. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung und die Wortwahl befremden die Menschen. Deshalb appelliere ich, dass die Politiker wieder Vorbilder sein sollten.

Quer durch alle Parteien?
Dass die Opposition sehr heftig formuliert und überzieht, nehme ich unangenehm wahr.

Und dass Politiker aus den Regierungsparteien da wenig schuldig bleiben?
Von der Bundesregierung nehme ich eine behutsamere Wortwahl wahr. Aber unter den Abgeordneten werden in einer aufgeheizten Stimmung Worte gewählt, die man besser nicht sagen sollte.

Die schwarzen Landeshauptleute haben sich demonstrativ hinter Sebastian Kurz gestellt. Dass Sie mit dem Bild, das die ÖVP abgibt, zufrieden sind, ist dennoch schwer vorstellbar.
Die Landeshauptleute sind immer die Konstante in Österreich. Wir arbeiten über Parteigrenzen hinweg gut zusammen, versuchen, Konsens zu finden, und bringen Stabilität zum Ausdruck. Eines muss ich schon sagen: Auch wenn ich nicht mit allem, was in den Chats vorkommt, einverstanden bin, muss man aber schon auch die Diskussion führen, dass die Privatsphäre massiv verletzt wird.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass von mir SMS auftauchen, wo der Anstand verloren gegangen ist«

Hier geht es um Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und für das Land verantwortlich sind. Und die sich über ihre Aufgaben in fragwürdiger Art austauschen.
Ich bin einer, der gerne telefoniert. Das ist alte Schule. Wenn man die SMS ohne den entsprechenden Zusammenhang sieht, ist ein Unbehagen da, das muss ich sagen. Aber ich sage auch: Man muss über die Privatsphäre diskutieren.

Viele ÖVP Sympathisanten finden die Angriffe auf Kirche und Justiz falsch.
Ich will nicht von Tirol aus mahnende Worte sprechen. Aber ich bin einer, der mit der Kirche und den Bischöfen einen guten Kontakt pflegt, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. In meinem Weltbild spielt das Christlich Soziale eine große Rolle. Der Konflikt zwischen dem Kanzler und der Kirche wurde ausgeräumt.

Soll sich die türkise ÖVP wieder mehr auf schwarze Werte besinnen?
Ich habe eine klare Wertehaltung, die es auch in der Bundes ÖVP gibt, die bei uns aber doch kantiger ausgeprägt ist als in Wien. Für mich ist diese klare Linie wesentlich. Ich bin ein Schwarzer und bleibe eine Schwarzer.

Sie haben vorhin gesagt, Sie telefonieren lieber...
Ich schreibe schon auch SMS, aber nur das Notwendigste.

Waren diese Nachrichten sehr freundlich in Coronazeiten? Da gab es harte Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass von mir SMS auftauchen, wo der Anstand verloren gegangen ist.

Tirol hat sich gegen Coronamaßnahmen gewehrt, etwa als die südafrikanische Mutante sich ausgebreitet hat und die dritte Welle in Österreich gekommen ist. Denken Sie sich im Nachhinein: "Da hätte ich vielleicht weniger stur sein können"?
Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe. Natürlich hat es mit der Bundesregierung Irritationen gegeben. Es war schon eine harte Ansage gegenüber Tirol, eine Reisewarnung auszusprechen. Da habe ich gesagt: "Leute, so nicht!" Auch dass wir über Medien bestimmte Entwicklungen erfahren haben, das mag ich nicht. Ich will eine offene Aussprache, und dann werden Entscheidungen getroffen.

Tirol ist es um die Rettung der Wintersaison gegangen, während man in Wien diskutiert hat, ob Skifahren überhaupt gescheit ist.
Wir sind immer vorangegangen: bei der Beendigung der Skisaison 2020 etwa. Schauen Sie sich die Inzidenzzahlen an, die wir damals hatten, und wie sie sich dann entwickelt haben. Wir sind bei lokalen Maßnahmen bei der südafrikanischen Mutante vorangegangen, wo man uns hingestellt hat, als wären wir ein Epidemiegebiet. Dass ich da deutliche Worte spreche, das muss klar sein. Ich verteidige Land und Leute. Und wir haben jetzt als Ersteeinen Impfsonntag ohne Anmeldung durchgeführt. Auchd a sind wir vorangegangen. Ich meine, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Aber wir haben auch viel dazugelernt. Man braucht nicht glauben, dass man nicht da oder dort einen Fehler gemacht hat.

Ihr Image ist aber: sture Tiroler, ignorant...
Ich glaube, dass die Sympathiegegenüber den Tirolern ungebrochen ist. Sie brauchen sichja nur die Sommersaison anschauen, wir haben eine exzellente Buchungslage. Die deutschen Gäste kommen gerne. Da kann ein hoher Politiker in Bayern sagen, was er will.

Wie ist denn die Gesprächsbasis zu Markus Söder, Ihrem Gegenüber in Bayern?
Mein Gott, wir sind in einer Nachbarschaft. Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt und sagen, was wir uns denken. Wobei ich nicht auf jede Äußerung antworte. Ich bin der Ältere und behutsamer. Noch einmal: Die deutschen Gästekommen. Wir werden einen guten Sommer haben. Und vorausgesetzt, dass es nicht größere Probleme mit der Inzidenz gibt, erwarte ich eine gute Wintersaison.

© Ricardo Herrgott/News

Derzeit wird das Virus von Urlaubern quer durch Europa getragen. Machen wir die gleichen Fehler wie 2020?
Es gibt heuer einen gravierenden Unterschied: die Impfungen. Wir haben mit dem Bund vereinbart, dass nicht die Inzidenz entscheidend ist, sondern die Belastung des Gesundheitssystems. Durch die Impfungen sehe ich die Gefahr einer Überlastung nicht mehr. Wir müssen aber trotzdem forcieren, dass die Impfquote steigt. Zuglauben, es ist alles vorbei, ist falsch. Das sieht man ja aktuell in München.

Wollen Sie jetzt vor Bayern warnen wie Söder vor Tirol?
Nein. Das war unanständig, was da von Bayern gekommen ist. Wir haben bewiesen, dasswir schwierige Situationen bewältigen können. Ich werde nicht mit dem Finger auf Bayern zeigen, das ist nicht mein Stil. Es ist nicht gut, wenn man das macht, denn die Geschichte kann einen sofort wieder einholen. Wie man jetzt sieht.

Markus Söder poltert weniger Richtung Tirol. Weil die Merkel Nachfolge entschieden ist und er sich nicht mehr profilieren muss?
Ich mische mich nicht in die deutsche Politik ein, auch wenn sie für Österreich wichtig ist, denn wir hängen in vielen Bereichen voneinander ab. Ich glaube, dass mein Kollege bemerkt hat, dass Poltern nicht wirkt. Auch nicht beim Thema Transit es zählen letztlich nur die Argumente, und da ist Deutschland völlig am falschen Dampfer. Bayern muss sich gefallen lassen, dass wir da harte Maßnahmen setzen.

Beim Transit werden seit Jahrzehnten die gleichen Argumente ausgetauscht. Geht da irgendetwas weiter?
Es bewegt sich wenig, und ich glaube, dass sich bis zu den deutschen Wahlen auch weiter nichts bewegen wird. Aber das ist unverantwortlich, auch gegenüber den Industrieunternehmen, die sich ja rasch umstellen würden, wenn die Politik klare Entscheidungen treffen würde. Klimaschutz ist ein wesentliches Thema für die nächste Generation. Man kann doch nicht so weitermachen. Man wird auch bei der Besteuerung etwas tun müssen. Es liegt auf der Hand, dass das Befördern von Gütern auf der Straße teurer werden muss. Die nächsten Generationen werden es uns nicht danken, wenn wir eine ewig gestrige Politik machen. Da geht es nicht um mich oder Markus Söder, es geht um die Zukunft und die jungen Leute, die dieses skandalöse Verhalten ausbaden müssen. Das kann nicht sein. Daher kämpfe ich. Ich habe Enkel. Ich will, dass die ein lebenswertes Leben haben.

»Ich habe eine klare Wertehaltung Ich bin ein Schwarzer und bleibe ein Schwarzer«

In Tirol beginnen diese Woche die Sommerferien und viele fragen sich, wie es im Herbst weitergehen wird. Drohen wieder Schulschließungen?
Wenn wir so weiterarbeiten wie jetzt, kann man vermutlich ausschließen, dass es flächendeckende Schließungen gibt, es wird vielleicht nur bei lokalen Clustern nötig sein. Dafür wird es aber nötig sein, dass viele sich impfen lassen. Man macht das nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch aus Solidarität zur gesamten Gemeinschaft. Daneben bin ich der Meinung, dass die 3G Regel erhalten bleiben muss. Zu meinen, man lässt sich nicht impfen und damit ist der Kas g'essen, das geht nicht. Dann muss man sich weiter testen lassen.

Sollen die Tests kostenlos bleiben, auch bei Leuten, die das Impfen verweigern?
Es gibt ja auch Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Aber grundsätzlich: Auf Dauer wird es sich nicht ausgehen, dass immer alles gratis sein wird. Beim Impfen ist das wichtig, aber ob auch das Testen weiter für alle von der öffentlichen Hand bezahlt werden muss, muss man diskutieren.

Den Vorsitzenden der LH Konferenz gefragt: Wer wird für Corona bezahlen Bund oder Länder?
Das ist eindeutig: der Bund! Das ist im Epidemiegesetz so geregelt. Ich werde die Verhandlungen mit dem Bund führen. Aber eigentlich braucht man da gar nichts verhandeln. Das Geld muss fließen.

Sieht das der Bund auch so?
Wenn es ums Geld geht, gibt es immer unterschiedliche Positionen. Aber ich bin ja nicht unerfahren in diesen Dingen. Da kenne ich keinen Spaß. Ohne Föderalismus hätten wir die Pandemie nämlich nie so gut über die Bühne gebracht. Aber man muss dem Bund zugutehalten, dass die Hilfspakete einzigartig waren.

Den ÖAABler gefragt: Wer zahlt die Krise die Hackler oder die Vermögenden?
Ich bin Mitglied bei allen ÖVP Bünden. Auch bei den Frauen. Und den Jungen. Aber das ist nicht die Antwort. Wer bezahlt? Ich glaube, wenn wir den Wirtschaftsstandort wieder stärken, wird es automatisch wieder mehr Einnahmen geben. Wir hatten in Tirol immer die beste Finanzlage, wir werden auch nach Corona besser dastehen als viele andere Bundesländer.

Sie regieren in Tirol auch mit den Grünen. Wie schlägt sich Türkis Grün im Bund?
Wir haben in Tirol lange Erfahrung, sind acht Jahre in dieser Koalition. Natürlich gibt es Themen, die herausfordernd sind. Aber wir bemühen uns, keinen Streit nach außen zu tragen.

Im Gegensatz zu Türkis Grün im Bund...
Auf Bundesebene gibt es einen leichten Unterschied. Die ideologischen Themen sind dort viel intensiver als auf Landesebene. Bei uns geht es mehr um Sachthemen. Aber ich glaube, dass mit Werner Kogler ein verlässlicher Regierungspartner zur Verfügung steht. Und ich orte, dass der Bundeskanzler gut mit dem Vizekanzler zusammenarbeitet.

»Die nächsten Generationen werden es uns nicht danken, wenn wir ewig gestrige Politik machen«

Im News Regierungszeugnis liegen alle Grünen vorne, Kurz fällt ab.
Als Bundeskanzler kann man nicht Everybody's Darling sein. Wenn man eine kantige Politik macht, gibt es Gegnerschaft. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Aber es ist wichtig, dass die Leute sich auskennen, welche Position man vertritt, etwa bei der Migration.

Gerade hier gibt es nach dem Mädchenmord in Wien politischen Streit.
Dieser grausame Mord berührt die Menschen. Wenn man draufkommt, dass eine Abschiebung früher erfolgen hätte müssen, muss eine Debatte stattfinden, ob man zukünftig Menschen schneller außer Landes bringt, wenn sie straffällig werden. Und ich hab hierzu bekanntermaßen eine klare Position: Straffällig gewordene Asylwerber müssen unverzüglich abgeschoben werden.

Innenministerium und Justiz schieben sich die Verantwortung zu. Vielen Leuten ist egal, wer schuld ist. Die sagen: "Regelts das endlich."
Das sehe ich auch so. In so einem Fall braucht es einen gemeinschaftlichen Kraftakt in der Regierung. Da gehört ein Paket auf den Tisch, um solche Taten zu verhindern.

Klimaministerin Gewessler lässt Straßenbauprojekte der Asfinag prüfen, ob sie den Klimazielen der Regierung entsprechen. Warum regt das die Länder so auf?
Ich verstehe die Aufregung. Die Länder wurden überraschend damit konfrontiert, dass wichtige Vorhaben wieder infrage gestellt werden. In Tirol betrifft das den Tschirganttunnel in Verbindung mit dem Fernpasstunnel oder die Anschlussstelle Schwaz. Mit der Umsetzung dieser Projekte hätte man die Chance, sensible Bereiche mit einer derzeit riesigen Verkehrsbelastung zu entlasten.

Wenn dem so wäre, müsste dieser Tunnel den Klimacheck ja ohnehin bestehen.
Man wird schauen, was rauskommt. Aber ich würde mir wünschen, dass Diskussionen zuerst intern stattfinden, nicht medial. Und dass die Bundesländer eingebunden werden. Sonst ist der Aufschrei verständlicherweise groß.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 27/21

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