Ernst Ulrich von Weizsäcker: "Man muss dringend etwas anders machen"

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome, forderte eine langsame, aber konsequente Anpassung unseres Lebensstils. Demnächst spricht er beim 4Gamechangers Festival in Wien.

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Interview - Ernst Ulrich von Weizsäcker: "Man muss dringend etwas anders machen"

News: Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt gehen auf die Straße und demonstrieren gegen den Klimawandel. Wie gefällt Ihnen diese Bewegung?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ausgezeichnet.

Sind die jungen Leute inhaltlich und argumentativ auf dem richtigen Weg?
Ich finde, ja. Es ist ein Anstoß. Aber es ist natürlich noch nicht die notwendige politische Veränderung.

Es muss jetzt was passieren?
Ja. Aber Eile ist nicht unbedingt ein gutes Rezept. Man muss jetzt anfangen, aber man muss die unvermeidliche Langsamkeit der Einzelmenschen und der Zivilisation im Auge haben. Wenn man es mit einer brutalen Verteuerung des Benzins macht, dann kriegt man die Gelbwesten ins Haus.

Es ist interessant, dass Sie so argumentieren. In der Debatte über den Klimawandel wird immer Druck gemacht, dass es jetzt aber wirklich ganz schnell gehen müsse.
Ich schlage schon seit Jahren vor: Macht die Verteuerung sofort, aber so langsam, dass der technische Fortschritt Schritt halten kann. Wenn im Jahr 2019 der Spritverbrauch pro Kilometer um zum Beispiel 1,6 Prozent abnimmt, dann kann ohne Schmerz 2020 der Sprit 1,6 Prozent teurer werden. Und wenn das systematisch für die nächsten 50 Jahre durchgehalten wird, dann werden sich die Autokonzerne und die Konsumenten wahnsinnig schnell umstellen, weil sie genau wissen, alles, was man in die Vergangenheit investiert, ist verloren, und was man in die Zukunft investiert, ist gewonnen.

In Österreich solidarisieren sich Politiker mit der Fridaysfor-Future-Bewegung. Was müssten sie, über Lippenbekenntnisse hinaus, tun?
Das sind verschiedene Schritte. Einer wäre zum Beispiel, dass Österreich innerhalb der EU die Initiative ergreift, das Abkommen von Chicago zu kündigen, welches aus dem Jahr 1944 stammt und die Besteuerung von internationalem Flugbenzin verbietet. Das ist so was von gestrig, das muss dringend beendet werden. Und dann kann man, wie ich vorgeschlagen habe, sagen, wir machen die CO2-Emissionen jedes Jahr um wenigstens so viel Prozent teurer, wie im abgelaufenen Jahr die Effizienz zugenommen hat. Oder man macht es wie die Schweizer und gibt das Geld aus der CO2-Steuer an die Menschen zurück, das macht dann die ärmeren Familien reicher und die reicheren Familien ärmer.

Eine Politik der kleinen Schritte, die die Menschen nicht vor zu große Änderungen stellt?
Es sind zwar kleine Schritte, aber konsequent auf lange Frist festgelegt. Da soll mir keiner kommen und sagen, das setze ja dann die Demokratie außer Kraft, die doch alle vier oder fünf Jahre einen Richtungswechsel beschließen möchte. Nein, so etwas soll nicht einem Richtungswechsel unterliegen, sondern soll ganz lange planbar sein. Dann sind auch kleine Schritte ungeheuer wirksam.

Orientieren Sie sich bei diesen Überlegungen an den Klimazielen von Paris? Sind die ausreichend und sinnvoll?
Die sind sinnvoll für den Anfang, aber auf Dauer viel zu klein. Sie würden völlig selbstverständlich eintreten, wenn man mit diesen Preissignalen anfangen würde.

Geht es nur um politische Ziele oder muss jeder Einzelne in seinem Alltag Änderungen anstreben?
Auch der Einzelne kann sehr viel machen, aber es gibt ja außer dem Einzelnen und dem Staat noch eine dritte Partei, nämlich die Wirtschaft. Die Wirtschaft kann ohne Weiteres die närrischen Forderungen der ressourcen-und kohlenstoffintensiven Prozesse korrigieren und das dann auch in einem Label darstellen, sodass der Verbraucher dann auch ungefähr weiß, was dahintersteckt. Das ist ja heute häufig gar nicht der Fall.

Wer soll die Wirtschaft dazu bringen, das zu tun?
Man muss an der Stelle ein Gespräch zwischen Wirtschaft, Staat und EU-Kommission führen, in dem klar wird, dass keine Brüche verlangt werden, die Kapitalvernichtung und Arbeitsplatzverluste implizieren, sondern dass es um einen sanften, aber konsequenten Schritt in die richtige Richtung geht.

Sie sprechen in Ihren Vorträgen und Schriften davon, dass wir uns in einer philosophischen Krise befinden, und fordern ein komplettes Umdenken, um den Planeten zu retten. Was meinen Sie damit?
In unserem Buch "Wir sind dran" stellen mein Co-Autor Anders Wijkman und ich einfach fest, dass das, was nötig wäre, bei der heutigen Mentalität der Menschen -am schlimmsten bei den Trump- Wählern und den Brexit-Befürwortern - völlig undurchsetzbar ist, weil sie die Tatsachen einfach leugnen. Und da brauchen wir einmal die klassische Aufklärung, nämlich: bei der Wahrheit bleiben, bitte schön. Und zweitens brauchen wir nicht so viel Dogma und dafür mehr Balance. Balance zwischen Kurzfrist und Langfrist zum Beispiel. Die heutige Wirtschaft ist wahnsinnig kurzfristig. Die Folge davon ist, dass das Langfristige vernachlässigt wird. Das muss korrigiert werden. Aber auch eine Balance zwischen dem notwendigen Leistungsanreiz, den die Wirtschaft natürlich braucht, und der Gerechtigkeit -also was der Staat möchte und was das Volk will. Das muss in einer vernünftigen Balance sein. Der Kommunismus mit bloß Anspruch von Gerechtigkeit war eine Katastrophe, aber der reine Kapitalismus ist erst recht eine Katastrophe.

Sie analysieren, dass sich 1990, mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa, viele Probleme erst so richtig verschärft haben.
Man kann es, etwas karikiert, so ausdrücken: Die gute Marktwirtschaft hat über den schlechten Kommunismus gesiegt, und indem sie gesiegt hat, ist sie selber schlecht geworden. Solange es den Systemwettbewerb zwischen Kommunismus und Kapitalismus gab, musste sich der Kapitalismus mit den demokratisch legitimierten Staaten arrangieren, auch wenn die etwas gemacht haben, was der Wirtschaft gar nicht gefallen hat. Und als der Kommunismus weg war, ist das Kapital frech und arrogant geworden. Im Sinne: Wir brauchen doch den Staat gar nicht mehr. Da hat sich die neoliberale Doktrin durchgesetzt, wonach der Markt sowieso besser und der Staat obsolet sei. Das ist absurd.

Sie fordern eine neue Aufklärung. Was war an der alten unzureichend?
Die Aufklärung in Europa im 18. Jahrhundert fand noch in der leeren Welt statt. Wenig Menschen, riesige Natur. Naturausbeutung war da etwas ganz Normales und das biblische Wort, macht euch die Erde untertan, überhaupt nicht anstößig. Das war völlig in Ordnung für die leere Welt. Aber heute, in der vollen Welt mit beinahe acht Milliarden Menschen und einer kaputten Natur, da muss man dringend etwas anders machen. Wir geben gerne das Beispiel: Wenn man in einer leeren Welt mehr Fische haben will, braucht man mehr Netze und Boote. In der vollen Welt ist das Allerwichtigste, Schutzzonen mit Fischfangverbot zu machen, damit sich die Fischbestände einigermaßen erholen können. Das ist eine völlig andere Denkweise, die in der Ökonomie noch nicht angekommen ist.

Als Naturwissenschaftler haben Sie viel Einblick in die Veränderungen, die die Erde in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Einfluss des Klimawandels durchgemacht hat. Welche sind die dramatischsten?
Wenn man die Wirbeltiere, die auf der Erde leben, in zwei Kategorien einteilt - wir Menschen und unsere Haus-und Schlachttiere sowie die Wildtiere -, dann kommt heraus, wir Menschen sind 30 Prozent des Gewichts dieser Tiere, unsere Schlacht-und Haustiere sind 67 Prozent und für die Wildtiere bleiben gerade einmal drei Prozent. Das heißt, die Wildtiere haben schlicht verloren, sie sind auf einem Sterbeast, und wenn wir nicht unsere Zivilisation inklusive der großen Fleischfresserei korrigieren, dann gibt es in hundert Jahren keine Wildtiere mehr.

Sie sprechen damit auch das Problem der Überbevölkerung an.
Wir zitieren in unserem Buch eine wunderbare neue Studie der Vereinten Nationen, woraus hervorgeht, dass diejenigen Weltregionen, die es geschafft haben, ihre eigene Bevölkerung zu stabilisieren, die ganz großen ökonomischen Gewinner sind und diejenigen Weltgegenden, allen voran Afrika, die noch nichts in der Hinsicht dazugelernt haben, die ganz großen Verlierer sind. Es ist also im Interesse der Staaten und des Wohlstands, die Bevölkerung zu stabilisieren und eines Tages sogar zu reduzieren.

Viele Kinder gelten als Garant für Wohlstand. Wie führt man ein Umdenken herbei?
Zum Beispiel indem man afrikanischen Ländern hilft, ein verlässliches Pensionssystem aufzubauen. Damit eine junge Familie nicht denkt: "Jetzt müssen wir möglichst viele Kinder haben, die dann im Alter für uns sorgen."

Einerseits will man das Klima retten, andererseits natürlich auch, dass die vielen Menschen, die mittlerweile auf er Erde leben, ein möglichst gutes Leben führen. Wie kann sich das ausgehen?
Vor wenigen Jahren haben die UNO-Staaten eine Nachhaltigkeitsagenda beschlossen. Zwölf der darin formulierten 17 Ziele sind rein ökonomisch und sozial, betreffen also die Überwindung des Hungers, der Arbeitslosigkeit, der Unbildung, der Armut usw. Wenn man das für acht Milliarden Menschen verwirklicht, dann sind die Ziele 13,14,15 - Klima, Biodiversität und Meere - restlos kaputt. Wenn man es auf die alte Art und Weise macht. Dann kommt natürlich bei uns der Gedanke einer ziemlich dramatischen Abkoppelung des Naturverbrauchs vom Wohlstand. Wenn man zum Beispiel Passivhäuser anstelle der heutigen Altbauten hat, dann braucht man fast keine Energie mehr für die Heizung. Entsprechend die Beleuchtung, LED statt der alten Glühbirnen. Das sind nur zwei Beispiele, aber da kann man Hunderte machen. Man muss nur dafür sorgen - das ist wieder der Gedanke des Preissignals -dass diejenigen, die das richtig machen, dabei reicher und nicht ärmer werden.

Noch einmal zurück zur Fridays-for-Future-Bewegung. Glauben Sie, dass diese unerwarteten Stimmen etwas in Bewegung setzen werden?
Ich glaube schon. Diese Greta Thunberg aus Schweden hätte ein Jahr früher keine Resonanz gehabt. Aber im Jahr 2018 hat es in Schweden 20 riesige Waldbrände gegeben. Da wusste die gesamte Bevölkerung einschließlich der Regierung, das darf nicht so weitergehen. Das ist Schweden, aber in Deutschland sieht es nicht unähnlich aus. Und natürlich erst recht bei den Inselstaaten im Pazifik, die unter dem Meeresspiegel verschwinden würden, wenn es so weitergeht, und entsprechend die Niederländer und die Menschen in der Po-Ebene in Italien und so weiter. Das heißt also, das Volk hat im Jahr 2018 blitzartig gemerkt, dass das Klima nicht etwas für die nächsten 50 oder 100 Jahre ist, sondern für heute.

Haben wir überhaupt noch eine Chance? Können wir das schaffen? Welche Botschaft werden Sie bei Ihrem Auftritt beim 4Gamechangers Festival vermitteln?
Es wird eine Weile dauern, das ist klar. Aber wenn ich Pessimist wäre, würde sich überhaupt nichts bessern. Optimisten können wenigstens die Leute anfeuern. Ich bin der Meinung, dass man die Menschen mit positiven Nachrichten und Botschaften eher zum Wandel motiviert als mit Tränen in den Augen.

ZUR PERSON

Ernst Ulrich von Weizsäcker Der 1939 in Zürich geborene Naturwissenschaftler und Neffe des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker war Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, von 1998 bis 2005 in der SPD-Fraktion Mitglied des Deutschen Bundestags und lehrte unter anderem an der University of California. Von Weizsäcker war bis 2018 Präsident des Club of Rome, jener 1968 gegründeten Organisation, die sich für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit einsetzt. Er ist Hauptautor des jüngsten Club-of-Rome-Berichts "Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt"(2017).

4Gamechangers Festival Das heurige Festival findet von 9. bis 11. April in der Marx Halle Wien statt, das Motto lautet Europe meets Asia. Mit Auftritten von Ray Kurzweil (Autor, Erfinder), Stewart Copeland (Mitbegründer von The Police), Jung Chang (Bestsellerautorin), Sahar Hashemi (Unternehmerin), Patch Adams (Proficlown).

Kommentare

Selbst nichts geleistet, keine Ahnung, nur fettes Gehalt beziehen!! Alter Schwätzer!

Roland Mösl

Wie zu sehen, er hat noch immer nicht begriffen, dass Energieerzeugung aus Sonne und Wind in vielen Fällen schon über 10-fach Kosteneffizienter ist, als Energieeinsparen. Warum? Wie er schon bei der verweigerten Rezension zu "Calculation ERROR" zugab: Inkompetenz.

Roland Mösl

2013 weigerte sich Weizsäcker eine Rezension zu meinem Buch "Calculation ERROR" zu schreiben, weil er dafür nicht kompetent ist. In meinem Buch ging es um den Umstieg auf erneuerbare Energie und wie dieser durch einen Umbau des Steuersystems gefördert werden kann.

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