Die Ruhe nach dem Ansturm

Hotspot Traiskirchen: Wie es heute in dem Flüchtlingslager aussieht

Eineinhalb Jahre nach der Flüchtlingswelle ist das Lager Traiskirchen nur noch zu einem Drittel belegt. Wo Menschen am Boden schliefen, spielen jetzt Kinder.

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POLITIK - Die Ruhe nach dem Ansturm

Unsicher sitzt der kleine Junge auf der Schaukel. Mit seinen Händen umklammert er die beiden Seile zu seiner Rechten und Linken, seine Füße baumeln in der Luft. Als seine Eltern ihm einen kleinen Schubs geben, reißt er die Augen auf. Doch sobald die Vor-und Rückwärtsbewegungen der Schaukel immer größer werden, beginnt er zu lächeln. Andreas Piribauer beobachtet die Szenerie aus der Ferne, seine Arme vor dem Körper verschränkt. "Den Spielplatz samt Schaukeln, Klettergerüst und kleiner Seilbahn haben wir vergangenes Jahr eröffnet. Er kommt sehr gut an", sagt er. Piribauer ist derzeit Leiter der Bundesbetreuungsstelle Ost, offizieller Name des Flüchtlingslagers Traiskirchen. Im Sommer 2015, als die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt in Österreich erreicht hatte, stand hier anstatt des Spielplatzes noch ein Zelt neben dem anderen. Sie dienten jenen Flüchtlingen, die in den Zimmern der Erstaufnahmestelle keinen Platz mehr fanden, als behelfsmäßiger Schutz vor Kälte und Regen. 4.700 Menschen waren damals im August 2015 hier untergebracht, ausgelegt ist Traiskirchen aber nur für 1.800 Personen. Bilder von unhygienischen und nicht abgetrennten Sanitärräumen, von Menschen, die im Freien schlafen mussten, von alleingelassenen Kindern und freiwilligen Helfern, denen der Zugang zum Erstaufnahmezentrum verwehrt wird, gingen durch die Medien. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach damals von "unmenschlicher Behandlung" und "ernsthaften Menschenrechtsverletzungen".

Das letzte Zelt

Heute erinnert lediglich ein einziges großes Zelt auf dem Gelände des Flüchtlingslagers an die Zeiten des Ausnahmezustands. Hier findet derzeit noch die Erstversorgung von Neuankömmlingen statt. Doch auch dieses soll mit Ende März verschwinden. Bedarf gibt es nämlich längst keinen mehr. "Die Lage hat sich schon im Oktober 2015 wieder normalisiert, und aktuell sind hier nur noch 572 Personen untergebracht", sagt Andreas Piribauer.

Die meisten davon stammen aus Nigeria, Russland und Afghanistan. Nun laufe hier alles wieder in geregelten Bahnen ab. Piribauer ist froh darüber. "Ich war damals 63 Tage am Stück in Traiskirchen und habe sogar im Büro geschlafen", erzählt der 48-Jährige. Im Nachhinein müsse man zwar eingestehen, dass es damals große Herausforderungen gegeben habe. Grobe Fehler habe man aber keine gemacht. "Von der Versorgung her hatten wir kein Problem. ORS hatte Tausende Kleidungsstücke auf Lager und konnte bis zu 3.500 Portionen Essen auf einmal zubereiten", sagt Piribauer über die private Betreiberfirma des Flüchtlingszentrums. Kritisch sei die Unterbringung gewesen. "Heute würden wir keine Einzelzelte mehr verwenden. Das war einfach schwierig wegen der Hygiene."

Warten aufs Asylverfahren

Aber in solch eine Krisensituation würde man heute laut Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium sowieso nicht mehr kommen. Denn das Problem damals sei gewesen, dass die Flüchtlinge nicht von den Bundesländern übernommen wurden. "Dadurch hat sich alles in Traiskirchen geschoppt", sagt Grundböck. Mit den sieben Verteilerquartieren, die seit dem Sommer 2015 in den Bundesländern geschaffen wurden, sei die Situation jetzt eine andere. All jene, die in Österreich einen Asylantrag stellen, kommen jetzt nicht mehr zuerst nach Traiskirchen, sondern direkt in die Verteilerquartiere. Zudem hat der Bund seit Herbst 2015 ein Durchgriffsrecht, mit dem auch ohne Zustimmung von Lokalpolitikern Unterkünfte in Gemeinden geschaffen werden können. "Somit haben wir auf lokaler Ebene mehr Handlungsspielraum", sagt Grundböck. In Traiskirchen landen jetzt also nur noch jene Flüchtlinge, bei denen die Überprüfung, ob sie für das Asylverfahren zugelassen werden oder nicht, länger dauert.

In der Regel bleiben die Asylsuchenden zwei bis drei Wochen hier. Die einstigen Vorwürfe von Amnesty International mildert man im Innenministerium ab: "Wenn tausende Menschen auf so engem Raum leben, leidet die Infrastruktur nun mal darunter", sagt Grundböck. Als Beispiel nennt er die Kritik von Amnesty International an den fehlenden Duschvorhängen in den Sanitäranlagen. "Die wurden heruntergerissen, und bevor wir sie ersetzt hatten, kam Amnesty International und hat das überprüft." Außerdem habe es nie gemeinsame Duschen für Männer und Frauen gegeben. "Nur in einem Trakt in Traiskirchen sind die Duschen nicht baulich getrennt. Dafür aber waren die Duschzeiten zeitlich gestaffelt", sagt Grundböck. Die Einzelzelte, die dem Regen damals nicht standhielten, seien nicht vom Innenministerium, sondern von Privatpersonen zur Verfügung gestellt worden.

"Menschenrechtsskandal"

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, lässt diese Argumente nicht gelten. Er spricht nach wie vor von einem "Menschenrechtsskandal", der sich im Sommer 2015 in Traiskirchen zugetragen habe. "Kinder und Hochschwangere mussten in der Wiese schlafen, obwohl es in der Unterkunft noch genügend Platz gegeben hätte", sagt Patzelt. "Aber man hatte Angst, dass der Bürgermeister bei der geringsten Überfüllung das ganze Flüchtlingszentrum zusperrt." Zudem habe man Familien aus reiner Ignoranz heraus in getrennte Zimmer gesteckt und Aushänge nicht einmal auf Arabisch übersetzt. "Das war maximal Dienst nach Vorschrift dort."

Die Einrichtung von Verteilerquartieren und der Beschluss eines Durchgriffsrechts des Bundes seien zwar durchaus Fortschritte, "aber das muss die Politik dann auch durchsetzen und Druck machen, wenn es wieder zu so einem Andrang kommt." Denn auch damals hätte man mehr machen können, mehr Ressourcen gehabt -der Wille dazu hätte allerdings gefehlt. "Das war einfach politisches Managementversagen", kritisiert Patzelt.

Puzzeln im Flüchtlingslager

Leiter Andreas Piribauer betritt den Kinder-und Frauentreff auf dem Gelände des Flüchtlingszentrums. Vor dem Eingang sitzt eine Gruppe Männer. Die Asylwerber hören Musik aus ihren Handys, als sie Piribauer sehen, grüßen sie ihn laut mit einem "Hallo". Drinnen stehen Schulbänke, an den Wänden hängen Bilder von Tieren, Obst und Gemüse, beschriftet mit ihren deutschen Namen. "Das hier ist eine Art Kindergarten und Krabbelstube. Die Pädagogen hier reden hauptsächlich Deutsch mit den Kindern", erklärt der Leiter des Erstaufnahmezentrums. Hier wird gebastelt und gespielt, auch ein erwachsenes Pärchen sitzt an einem Tisch und puzzelt. Es wirkt so, als hätte es die Flüchtlingskrise nie gegeben, beinahe idyllisch. "Und am Nachmittag bekommen die Kinder auch eine gesunde Jause", sagt Piribauer.

Ein Freizeitprogramm gebe es hier aber nicht nur für die Kleinen. "Wir bieten derzeit zehn Deutschkurse an. Außerdem haben wir einen Fitnessraum und Workshops zu Billard und Tischfußball sowie Kinoabende." Probleme gebe es derzeit keine. "Ich war jahrelang Polizist in Perchtoldsdorf, und da ist viel mehr passiert als hier, Discoraufereien und Ähnliches. Und das, obwohl hier 46 verschiedene Nationen zusammenleben", sagt er stolz. Lediglich wenn es ums Handy geht, können Schwierigkeiten auftauchen. "Das Handy ist für die meisten hier die einzige Verbindung in ihre Heimat. Wenn da mal ein Ladekabel gestohlen wird, geht es rund."

Herausforderung

Warum er sich diesen Job ausgesucht hat? "Ich mag, dass es hier jeden Tag eine neue Herausforderung gibt, die man angehen muss. Und außerdem bin ich sehr gerne mit Menschen zusammen." Deswegen will Piribauer sich auch für die Stelle des Flüchtlingsheimleiters bewerben, die er derzeit nur interimistisch ausübt. Denn der vorige Leiter, Franz Schabhüttl, geht in Pension. Anfang April soll die Stelle neu ausgeschrieben werden. Für Andreas Piribauer "eine tolle Gelegenheit", sagt er und verschränkt dabei die Arme vor dem Körper, begleitet vom Quietschen der Schaukel.