"Lieber Michael, lieber Hans Peter"

Grün-Wähler haben Gründe, unzufrieden zu sein. Aber die SPÖ lädt sie auch nicht gerade ein.

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Sollte den Grünen zwischen den mannigfaltigen Krisen (Klima, Gas aus Russland, Inflation, Corona) und der ständigen Sorge um die seelische Verfasstheit des Koalitionspartners ÖVP ein bisschen Zeit bleiben, könnten sie sich um so wichtige Dinge wie das seit 500 Tagen überfällige Klimaschutzgesetz kümmern. Es wäre aber auch ein schöner Zug, ein Dankschreiben an die SPÖ zu verfassen. Werner Kogler könnte schreiben: "Lieber Michael Ludwig, lieber Hans Peter Doskozil! Vielen Dank dafür, dass ihr uns so selbstlos dabei unterstützt, Grün-Wähler:innen bei der Stange zu halten, selbst wenn diese wegen unserer immer wieder nötigen Zugeständnisse an die ÖVP (oder wie man es auf Twitter nennt: Umfaller) hin und wieder enttäuscht sein mögen." In nahezu allen Umfragen liegen die Grünen relativ konstant bei plus/minus elf Prozent. Das ist zwar weniger als bei der Nationalratswahl 2019. Aber gemessen am regelmäßigen Entrüstungssturm in den sozialen Medien, die Grünen "nie wieder" wählen zu wollen, kein übler Wert. Das zeigt einerseits wieder einmal: Twitter hat mit dem wirklichen Leben wenig zu tun. Aber andererseits: Zumindest bei ihrem Kernthema haben sie offenbar wenig Konkurrenz. Was die gefürchteten "Leihstimmen" betrifft, mit denen Grüne bei früheren Wahlgängen Verluste Richtung SPÖ begründet haben, arbeitet nun eben zum Beispiel die Wiener SPÖ hart daran, dass das nicht mehr so einfach passiert. Stichworte: Lobautunnel, Stadtstraße, zu wenig Radwege usw. Zehntausende Euro haben die Rathaus-Roten und vor allem ihre Freunde von der Wiener Wirtschaftskammer in Gutachten gesteckt, warum die Röhre unter dem Wiener Donau-Auwald nötig ist. Grüne Strateginnen und Strategen könnten zynisch sagen: gut investiertes Geld. Werden doch die Umweltbewegten bei jeder neuen Studienpräsentation die Linie der SPÖ noch kritischer sehen.

»Es wäre ein schöner Zug der Grünen, ein Dankschreiben an die SPÖ zu verfassen«

Ebenso wichtig für die grüne Kernwählerschaft: Meinungsfreiheit. Hier sprang Hans Peter Doskozil mit einer neuen Idee für das Projekt grüne Stimmen-Erhaltung in die Bresche. Vor Wahlen solle es ein Plakatverbot geben, meinte der mit einer soliden absoluten Mehrheit ausgestattete Landeshauptmann. Er will zwischen den Wahlen Ski und Musikinstrumente an Kinder verteilen, hat den 1.700-Euro-Mindestlohn in seinem Bereich eingeführt (was eine gute Sache ist) und verspürt wenig Gegenwind von Opposition und burgenländischen Medien. Mehr noch: Er hat seine eigenen PR-Kanäle und ist omnipräsent, wie Landeshauptleute es eben so sind. Es blieb eigenartig still vonseiten der politischen Konkurrenz, die da vor Wahlen (noch) unsichtbarer werden soll. Man stelle sich vor, Sebastian Kurz hätte am Zenit seines Erfolgs einen solchen Vorschlag gemacht. Viktor Orbán hätte ihm vielleicht eine wohlwollende Whats-App-Nachricht aus Ungarn geschrieben.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner widerspricht den Parteikollegen nicht. Für sie geht es in erster Linie einmal darum, den eigenen Platz im nächsten Wahlkampf zu sichern. Die Grünen wird sie vielleicht für eine nächste Regierung brauchen. Gut möglich, dass einander diese beiden Parteien in einer Koalition inhaltlich ähnlich fern wären wie ÖVP und Grüne heute.

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