Der Dschihadisten-Flüsterer

Ein muslimischer Seelsorger will der Radikalisierung von Häftlingen entgegenwirken

Gefängnisse gelten als Brutstätten für extremistisches Gedankengut. Der muslimische Seelsorger Ramazan Demir kämpft gegen die Radikalisierung von Häftlingen in den österreichischen Justizanstalten. Vom Staat unterstützt wird er dabei kaum.

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POLITIK - Der Dschihadisten-Flüsterer

Justizanstalt Wien-Josefstadt, vierter Stock, Gefangenentrakt C. Ramazan Demir sitzt an einem kleinen Tisch in einer für die seelsorgerische, ärztliche und psychologische Betreuung umfunktionierten Zelle. Durch die Gitterstäbe des kleinen Fensters dringt nur spärlich Licht. Die grauen Wände sind kahl, der Raum ist so eng, dass man sich kaum um die eigene Achse drehen kann. Vor ihm auf dem Tisch liegen eine Gebetskette und der Koran. Ihm gegenüber sitzt ein Häftling in grüner Hose und grauem Kapuzenpulli. Sein Haar ist kurz geschnitten, er legt seine Arme auf den Tisch, Tätowierungen kommen zum Vorschein. "Austria oder Rapid?", fragt Demir. "Rapid, aber eigentlich bin ich Bayern-Fan", gibt der Häftling mit leiser Stimme zurück. "Das bin ich auch", sagt Demir und lacht.

Feierabend im Gefängnis

Ramazan Demir ist muslimischer Gefängnisseelsorger in der Josefstadt. Mehrmals pro Woche betritt er die bedrückenden Mauern des grauen Hauses, um den Insassen zuzuhören und das Freitagsgebet abzuhalten. Und er hat viel zu tun. So viel, dass er die meisten Ansuchen der Häftlinge für seelsorgerische Einzelgespräche aufschieben muss. "Ich arbeite hauptberuflich als Dozent an der kirchlich-pädagogischen Hochschule und bin noch dazu Imam der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich", erzählt der 30-Jährige, der nun seit gut einem Monat auch Leiter der muslimischen Seelsorger in Österreich ist. Die Gefängnisseelsorge macht er in seiner Freizeit, ehrenamtlich. Und genau das ist das Problem. "Ein Gefängnis ist der ideale Nährboden für Radikalisierung, und es braucht muslimische Seelsorger, um die Häftlinge über religiöses Halbwissen aufzuklären", sagt Demir. In Österreich wird jedoch nur die katholische Gefängnisseelsorge vom Staat mit Vollzeitstellen finanziert. Alle anderen Glaubensgemeinschaften sind bei der Seelsorge auf Ehrenamtliche angewiesen. Doch in Österreich gibt es 1.992 muslimische Häftlinge. "Das ist eine Zahl, die können wir nicht stemmen", sagt der Seelsorger.

»Wenn wir ihnen keine Antwort geben, suchen sie sie bei Mithäftlingen, und das ist gefährlich«

Der Geruch von Essen breitet sich über den C-Trakt aus. Ein Häftling der sogenannten Hausarbeiter, also jener Insassen, die in der Justizanstalt mithelfen, verteilt am Gang Wurstknödel auf Teller und gießt Bratensaft darüber. Gemeinsam mit zwei weiteren Insassen schiebt er den Essenswagen von Zellentür zu Zellentür. Ramazan Demir zeigt auf die Pinnwand am Gang. In einem Aushang informiert er die Häftlinge, dass die Seelsorger derzeit keine weiteren Ansuchen für Einzelgespräche annehmen können. Stattdessen können sie zum Gebet kommen -immer freitags um 12.30 Uhr im Untergeschoß. "Die erste halbe Stunde ist immer Frage-Antwort- Runde. So können wir den Personalmangel ein wenig kompensieren", sagt Ramazan Demir. Aber Lösung sei das keine. Denn nur im Einzelgespräch könne er Vertrauen zu den Häftlingen aufbauen, ihnen erklären, worum es im Islam wirklich geht, und ihnen Orientierung bieten. "Wenn wir ihnen keine Antworten geben, suchen sie diese bei ihren Mithäftlingen. Und das kann eben gefährlich werden." Denn laut einer Studie des Londoner King's College radikalisierten sich mehr als ein Viertel der 79 untersuchten Dschihadisten in Europas Gefängnissen. Österreichs wohl bekanntester Gotteskrieger, Mohamed Mahmoud, konzipierte während seiner Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Wien-Simmering den späteren Propagandaapparat des Islamischen Staats (IS).

Ramazan Demir erzählt von einem Häftling, der fix davon überzeugt war, sich nach seiner Haft dem IS in Syrien anzuschließen. "Er war der Meinung, dass es nichts Islamischeres gibt als den IS", erinnert sich Demir. Wie er denn darauf gekommen sei?"Das steht im Koran", war die Antwort. "Ja, wo denn?", gab der Seelsorger zurück. Mehrere Einzelgespräche seien nötig gewesen, Sure für Sure sind sie gemeinsam durchgegangen, um den Häftling letztendlich von seinen Überzeugungen abzubringen. Und um ihm zu erklären, dass es im Islam um Barmherzigkeit gehe, und nicht um Gewalt. "Aber geglaubt hat er mir nur, weil ich Imam bin", sagt Demir.

»Ob Katholik, Muslim oder Zeuge Jehovas - Seelsorge sollte es für jeden geben«

Feindbild Justizwache

Dass Seelsorger wie Ramazan Demir in den Gefängnissen wichtig seien, betont auch Justizwache-Kommandant Christian Klinger. Er arbeitet bereits seit 36 Jahren in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Als er angefangen hat, habe es so gut wie keine Muslime hier gegeben. Mittlerweile sind es mehr als 300. Seiner Meinung nach sollte jede Religionsgemeinschaft in den Gefängnissen die gleiche Unterstützung vom Staat bekommen. "Ob Katholik, Muslim oder Zeuge Jehovas - Seelsorge sollte es für jeden geben", sagt Klinger. Und das nicht nur als Maßnahme gegen die Radikalisierung, sondern auch, um zwischen den Häftlingen und der Justizwache zu vermitteln. "Viele der Insassen sehen uns als Feinde an. Da ist es wichtig, Menschen wie Ramazan hier zu haben, denen sie vertrauen und die ihnen erklären, wie es wirklich ist", sagt der Kommandant.

Ramazan Demir macht sich auf den Weg vom Gefangenentrakt ins Erdgeschoß. Es geht vorbei an der Besuchszone der Justizanstalt. Entlang des Gangs sitzen Männer, Frauen, Kinder und warten. In einer Ecke am Ende des Gangs türmen sich Plüschtiere, auch eine große Lokomotive aus Holz gibt es hier. Demir öffnet die Tür zum Büro der evangelischen Seelsorger. "Die Kollegen sind so nett und teilen ihr Büro mit uns", sagt er und schmunzelt. Er setzt sich und klappt seinen Laptop auf. Darauf hat er genau aufgelistet, was es bräuchte, um effektive Präventionsarbeit gegen die Radikalisierung zu leisten. "Wir benötigen sieben Planstellen. Damit wäre die Seelsorge in allen Justizanstalten abgedeckt. Kosten würde das den Staat rund 350.000 Euro im Jahr", sagt Demir. Um die Lücke ein klein wenig zu füllen, finanziert die Islamische Glaubensgemeinschaft seit einem Monat einen Seelsorger für die Josefstadt. "Es war kein leichter Weg. Und er musste vom Verfassungsschutz durchgecheckt werden. Aber jetzt ist er Vollzeit da", erklärt Ramazan Demir. Sein neuer Kollege hat Islamische Religionspädagogik studiert und bereits als Gefängnisseelsorger gearbeitet. "Von solchen kompetenten Leuten hätten wir noch viel mehr." Aber für mehr reiche das Geld der Glaubensgemeinschaft nicht.

Im Justizministerium sieht man aber keinen akuten Handlungsbedarf. Für die religiöse Betreuung sei nun mal die jeweilige Glaubensgemeinschaft zuständig. Dass der Staat Vollzeitstellen für katholische Seelsorger finanziert, "hat historische Gründe", sagt Rudolf Jocher vom Justizministerium. Zudem verweist man darauf, dass das Ministerium für die Deradikalisierung von Häftlingen sowieso schon Maßnahmen setze, und zwar in Form einer Kooperation mit dem Verein Derad. Dieser wurde vor rund einem Jahr beauftragt, Gespräche mit radikalen Insassen zu führen. Insgesamt zwölf Betreuer - darunter Pädagogen, Psychologen, Politikund Islamwissenschaftler -sind in den Justizanstalten unterwegs. "Wir versuchen, im gemeinsamen Nachdenken über ideologische Überzeugungen und festgefahrene Weltanschauungen mit den Klienten zu diskutieren", erklärt Moussa Al-Hassan Diaw vom Verein Derad.

Hilfe lässt auf sich warten

Ramazan Demir ist dankbar für die Arbeit von Derad. "Wir freuen uns über jeden, der versucht, diese Leute aufzuklären." Die Schwierigkeit sei seiner Ansicht nach, dass die Insassen dessen Betreuer teilweise als "Leute vom Staat" ansehen. Zudem betreut Derad nur Häftlinge, die bereits wegen extremistischen Gedankenguts aufgefallen sind. Seelsorger hingegen würden alle Muslime erreichen. Und: "Sie haben im Gegensatz zu uns keine Schweigepflicht, deshalb vertraut man ihnen nicht so." Er hofft, dass Österreich bald dem Vorbild Hollands und mancher deutscher Bundesländer folgen und Vollzeitstellen für muslimische Gefängnisseelsorger schaffen wird. Hoffnung dazu besteht. Denn nach jahrelangen Gesprächen mit dem Justizministerium und dem Bundeskanzleramt hat man ihm zwar keine Unterstützung zugesagt. Immerhin aber gesteht Justizminister Wolfgang Brandstetter in einer Aussendung ein, dass in österreichischen Justizanstalten das "Angebot von Seelsorge leider zu gering ist". Ramazan Demir klappt seinen Laptop zu, steht auf und verabschiedet sich. Er ist in Eile, in ein paar Minuten beginnt das Freitagsgebet.