Wie Sie das Diabets-
Risiko senken können

600.000 Österreicher und Österreicherinnen leiden an Diabetes, der Großteil von ihnen an Typ 2. Warum die Krankheit oft bis zu zehn Jahre lang unentdeckt bleibt und wie Sie Ihr Risiko, daran zu erkranken, um bis zu 70 Prozent reduzieren können.

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Volkskrankheit - Wie Sie das Diabets-
Risiko senken können

Er hatte keine Schmerzen. Er fühlte sich auch nicht schlapp. Es war vielmehr reiner Zufall, dass Friedrich Vogt von seiner Krankheit erfuhr. Im Zuge einer Vorsorgeuntersuchung machte sein Hausarzt ein Blutbild -mit besorgniserregendem Ergebnis. "Mein Blutzucker lag über 300. Der Arzt sagte zu mir, wenn er mich nicht so gut kennen würde, müsste ich sofort ins Krankenhaus", erinnert sich der heute 78-Jährige zurück. Bei gesunden Menschen sollte der Blutzuckerwert nüchtern 100 nicht übersteigen. Ab einem Wert von 126 leidet der Betroffene an Diabetes.

Rund 600.000 Österreicher und Österreicherinnen haben Diabetes. Tatsächlich dürften es sogar noch deutlich mehr sein. Denn viele Menschen sind wie Friedrich Vogt bereits erkrankt, wissen es aber lange nicht. "Es gibt Studien, die zeigen, dass viele Menschen bis zu zehn Jahre lang zu hohe Blutzuckerwerte haben, ohne etwas zu bemerken", sagt Alexandra Kautzky-Willer, Ärztin an der Meduni Wien und Präsidentin der Österreichischen Diabetesgesellschaft. Oft wird die Krankheit erst entdeckt, wenn Komplikationen auftreten.

10.000 Todesfälle jährlich

Durchschnittlich alle 50 Minuten stirbt in Österreich ein Mensch an den Folgen von Diabetes. Das sind rund 10.000 Todesfälle jährlich. Der dauerhaft erhöhte Blutzucker schädigt Blutgefäße und Nerven. Es kommt zu Ablagerungen, die den Blutfluss stören und in weiterer Folge zu Gerinnseln führen. Diabetiker haben daher im Vergleich zu gesunden Menschen ein bis zu dreimal höheres Risiko, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. 200 Österreicher erblinden jedes Jahr, weil die Gefäße ihrer Augen angegriffen wurden. Durchblutungsstörungen der Beine, die sich zunächst durch Kribbeln bemerkbar machen, sind wiederum oft erste Anzeichen für einen diabetischen Fuß.

Es ist kein Ende der Diabetes-Epidemie in Sicht. Alle Prognosen deuten darauf hin, dass die Zahl der Erkrankten in den kommenden Jahren weltweit ansteigen wird. So gehen Experten davon aus, dass in Österreich im Jahr 2030 bereits 800.000 Diabetiker leben werden. Weltweit werden es bis 2045 rund 629 Millionen sein.

Diabetes ist allerdings nicht gleich Diabetes. An Typ 1, einer Autoimmunerkrankung, leiden rund 30.000 Österreicher. Dabei zerstört das Immunsystem jene Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren. Der eigene Körper liefert daher plötzlich kein Insulin mehr. Der Blutzuckerspiegel entgleist.

Typ 1 tritt vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen auf. "Vor allem bei den unter Fünfjährigen sehen wir einen Anstieg der Erkrankungen", weiß Kautzky-Willer. Die genauen Ursachen dafür sind noch nicht ganz klar. "Einerseits spielt die genetische Veranlagung eine Rolle. Außerdem vermuten wir, dass virale Infekte, die Zusammensetzung der Darmbakterien und Umweltfaktoren zur Veränderung des Immunsystems und so zu dieser Krankheit beitragen. Auch eine stark übergewichtige Mutter, ein Kaiserschnitt oder übertriebene Hygiene bei Kindern erhöhen das Diabetes-Risiko", erklärt die Medizinerin.

So können Sie Ihr Diabetes-Risiko deutlich reduzieren

1. Regelmäßiger Sport sorgt für bessere Insulinverwertung

2. Bewegung im Alltag, Stiegen steigen statt Lift, öfters zu Fuß gehen

3. Gesunde Ernährung mit Schwerpunkt auf Gemüse, Salat und Vollkornprodukten

4. Öfters selber kochen statt Fertigprodukte oder Fast Food

5. Gewicht kontrollieren; bei Übergewicht rechtzeitig gegensteuern

6. Regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung (Gesundenuntersuchung)

Eine Viruserkrankung, die das Immunsystem stark belastet, führt letztlich meist zum endgültigen Ausbruch. So war es auch bei Heinrich Giefing: "Meine Kinder haben aus dem Kindergarten Feuchtblattern mit nach Hause gebracht und mich damit angesteckt." Als die juckenden, roten Punkte fast verschwunden waren, bekam Giefing furchtbaren Durst. "Ich habe mich dauernd ausgetrocknet gefühlt und plötzlich vier bis fünf Liter täglich getrunken. Dementsprechend oft musste ich zur Toilette. Auch meine Sehkraft hat sich verändert", sagt er. "Als ich mich von meinem Hausarzt von den Feuchtblattern wieder gesund schreiben lassen wollte, habe ich ihm von meinen Beschwerden erzählt. Das Blutzuckermessgerät hat dann einfach nur ,high' angezeigt und es war sofort klar, dass ich Diabetes habe." Er war bei der Diagnose 32 Jahre alt, was eher untypisch für Typ 1 ist, aber durchaus vorkommt und als LADA-Diabetes bezeichnet wird.

Heinrich Giefing hätte nichts tun können, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Jene 90 Prozent der Diabetiker, die an Typ 2 leiden, hätten allerdings sehr wohl ihren Körper davor schützen können, gibt Kautzky-Willer zu bedenken. "Wer seinen Lebensstil ändert, kann das Risiko, an Typ 2 zu erkranken, um bis zu 70 Prozent reduzieren", erklärt sie.

Typ 2 ist eine Lebensstil-Erkrankung: Bewegungsmangel und zu fettes, zu süßes und zu viel Essen zählen zu den Hauptverursachern. Durch das jahrelange Überangebot an Fetten und Zuckern im Blut stumpfen jene Rezeptoren, die das Insulin in die Zellen transportieren, ab. Um den Blutzuckerspiegel zu regulieren, muss die Bauchspeicheldrüse dann immer größere Mengen an Insulin produzieren, bis sie schließlich zusammenbricht.

© News/Merridee Stein

Die steigende Zahl an Übergewichtigen bereitet den Experten Sorge. 41 Prozent der erwachsenen Österreicher und bereits fast ein Drittel der achtjährigen Buben sowie ein Viertel der Mädchen in diesem Alter sind zu dick. Als besonders gefährdet gelten Frauen mit mehr als 88 und Männer mit über 102 Zentimetern Bauchumfang. Auch Menschen mit Diabetikern in der Familie und Frauen, die in einer Schwangerschaft Schwangerschaftsdiabetes entwickelt haben, zählen zur Risikogruppe. Nachteilig wirkt sich ebenso ein zu niedriger Testosteronspiegel bei Männern beziehungsweise ein zu hoher bei Frauen aus.

Bewusst essen

Niemand muss sich aber ausschließlich gesund ernähren und komplett auf Süßes verzichten, um Diabetes zu verhindern. "Es geht darum, den Zuckerkonsum zu reduzieren. Sich ab und zu ein Stück Schokolade zu gönnen, ist absolut in Ordnung", sagt Kautzky-Willer. Zur Vorsicht rät die Ärztin allerdings bei Light-Produkten, da diese "meist nur fettreduziert, dafür aber zuckerhaltiger sind". Softdrinks sollte man vom täglichen Speiseplan streichen.

Die auf Diabetes spezialisierte Diätologin Anna Moor hält ebenfalls nichts von Verboten: "Es müssen keine Lebensmittel ganz gestrichen werden. Doch der Durchschnittsösterreicher isst einfach zu wenig Gemüse, Salat und Pilze, dafür aber zu viele hoch verarbeitete Fertigprodukte. Die enthalten meist zu viel Fett und zu viel Zucker."

Für die Ernährungsexpertin ist nicht einmal der komplette Verzicht auf die viel gescholtene Wurstsemmel notwendig. "Natürlich wäre es besser, ein Vollkornweckerl mit Schinken, viel Gemüse und Salat zu nehmen. Wer aber gar nicht ohne Wurstsemmeln auskommt, sollte nächstes Mal nur eine statt zwei kaufen und dafür ein Gurke und ein Joghurt dazu essen", appelliert sie. Sie warnt davor, zuckerhaltige Getränke wie Softdrinks, Eistee und Welnesswasser als Durstlöscher zu sehen. Dazu zählen für sie auch Fruchtsäfte und sogar Smoothies. "Obst soll man essen, aber nicht trinken. Smoothies enthalten viele Kohlenhydrate und Kalorien. Der Zucker geht rasch ins Blut und macht nicht satt", argumentiert Moor. Aufpassen müsse man auch bei Fertigprodukten. Denn darin ist Zucker oft als Geschmacksträger in größeren Mengen enthalten.

Friedrich Vogt sieht sich durch seine Krankheit bei der Auswahl der Speisen nicht eingeschränkt. "Ich verzichte auf gar nichts. Ich kasteie mich nicht und versuche, vernünftig zu leben", sagt er. So bremse er sich zwar bei zuckerhaltigen Lebensmittel ein. Aber ab und zu gönne er sich sogar ein Stück Torte.

Spritzen oder Pumpe?

Vogt würden Diabetiker "nerven", die ihre Krankheit herunterspielen und meinen, sie hätten "nur ein bisserl Zucker"."Das Problem ist sicher, dass man lange nichts spürt. Man fühlt sich gut, und daher leben viele auch nach der Diagnose einfach weiter wie bisher. Dabei verfällt der Körper aber schleichend." Treten dann Folgeerkrankungen auf, ist es allerdings zu spät, da diese dauerhaft sind.

Diätologin Moor bestätigt Vogts Erfahrungen. "Niemand ändert gerne liebgewonnene oder bequeme Gewohnheiten. Nur wenige schaffen eine Lebensumstellung aus alleinigem Antrieb. Meist ist die Körperwahrnehmung verloren gegangen, und die Menschen wissen nicht mehr, was ihrem Körper guttut und was nicht." Moor empfiehlt allen, die gerne Süßes essen und unter einem Totalverzicht leiden, nicht schlagartig damit aufzuhören, sondern die Zuckermenge langsam zu reduzieren und sich Grenzen zu setzen. So können sich die Geschmacksnerven daran gewöhnen und die Umstellung fällt nicht so schwer.

Spätestens mit der Diagnose Diabetes rät Medizinerin Kautzky-Willer dringend dazu, den inneren Schweinehund zu bezwingen und ein gesünderes Leben zu führen. "Wir haben Vorzeigepatienten, die abnehmen, sich regelmäßig bewegen und gesund ernähren. Bei ihnen regulieren sich die Blutzuckerwerte von selbst, und sie benötigen keine Medikamente." Die Erkrankung sei damit zwar nicht geheilt, da sie wiederkommen kann, aber der Zeitpunkt, ab dem Medikamente notwendig sind, doch deutlich nach hinten verschoben.

Bei Typ 2 helfen zunächst meist Tabletten, da die Bauchspeicheldrüse selbst noch kleine Mengen Insulin produziert. Auch Friedrich Vogt nahm sie 15 Jahre lang. Danach musste er auf Spritzen umsteigen. In der Früh und am Abend injiziert er sich Langzeitinsulin. Bei den Mahlzeiten hat er gelernt, die benötigte Insulinmenge abzuschätzen, und spritzt sich diese zusätzlich je nach Bedarf.

© News/Merridee Stein

An Vogts Oberarm klebt ein Chip. Fährt Vogt mit einem speziellen Lesegerät darüber, kann er darauf umgehend seinen aktuellen Blutzuckerwert ablesen. Außerdem hat er gelernt, die Signale seines Körpers zu deuten: "Wenn ich unterzuckert bin, werde ich zittrig und unruhig und bekomme einen Tunnelblick. Ich habe daher immer Trauben-und Flüssigzucker sowie einen Apfel zu Hause." Da er ansonsten keine Beschwerden hat, geht er auch nur alle paar Monate zum Arzt.

Bei Heinrich Giefing zeigte sich hingegen bereits nach einer Woche, dass die Tabletten nicht ausreichen. Er entschied sich daher für eine Insulinpumpe. "Mit der Pumpe ist meine Lebensqualität höher", sagt er. "Sie misst kontinuierlich meine Blutzuckerwerte und gibt bei Bedarf automatisch Insulin ab." Alle drei Tage muss er das Insulin-Reservoir auffüllen und die feine Nadel nach drei bis vier Tagen tauschen. Giefing hat seine Ernährung nach der Diagnose vor 27 Jahren sofort umgestellt. "Ich esse zwar noch alles. Aber ich überlege mir sehr genau, ob es sich wirklich auszahlt", sagt er.

Der 59-Jährige war immer schon sportlich. Das hat sich seit der Diagnose kaum geändert. Denn dass Sport einen direkten Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat, sieht er an den Daten seiner Insulinpumpe: "Schon nach einer halben Stunde Nordic Walking ist der Wert deutlich niedriger."

Experten empfehlen daher allen Menschen, egal, ob Diabetiker oder nicht, sich 150 Minuten wöchentlich zu bewegen. Idealerweise wird diese Zeit auf vier Tage pro Woche aufgeteilt, und jede Bewegungseinheit dauert mindestens zehn Minuten. Zweimal wöchentlich sollten zusätzlich muskelkräftigende Übungen wie Liegestütz oder Hanteltraining am Plan stehen.

Spezialisten aufsuchen

Und was raten Vogt und Giefing allen Menschen, die erst kürzlich von ihrer Erkrankung erfahren haben?"Das Wichtigste ist, sich einen guten, auf Diabetes spezialisierten Arzt zu suchen", sind sich die beiden einig. Ein Arzt, der über die neuesten Medikamente und Therapien Bescheid weiß. Denn so, sagt Vogt, habe er in den 28 Jahren als Diabetiker kaum an Lebensqualität einbüßen müssen. Nach wie vor hat er keine Schmerzen, ist aktiv und fühlt sich nicht wirklich krank.

Beratungsstellen für DIabetiker

Österreich.
Wer Fragen zur Krankheit hat, kann sich an die Servicezentrale der Österreichischen Diabetikervereinigung wenden.
Tel: 0662/827722
www.diabetes.or.at

Das Portal Aktive Diabetiker Austria bietet Hilfe zur Selbsthilfe und gibt nützliche Tipps rund um das Leben mit der Krankheit.
Tel: 01/587 68 94
www.aktive-diabetiker.at

Wien
Kontakte zu Selbsthilfegruppen und Diabetikertreffen in Wohnortnähe.
Tel: 01/3323277