"Corona wird uns auch
2021 noch begleiten"

Erste-Group-Chef Bernhard Spalt im Interview

Der CEO der Erste Group, Bernhard Spalt, über sein erstes Jahr als Nachfolger von Andreas Treichl, die Herausforderungen und Folgen der Corona­Pandemie für Österreichs Banken und Wirtschaft – und wie Anleger in schwierigen Zeiten am besten auf ihr Geld schauen.

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Pandemie - "Corona wird uns auch
2021 noch begleiten"
Der gebürtige Vorarlberger Bernhard Spalt ist Jurist und begann seine Karriere direkt nach dem Studium in der Erste Group. Er hatte verschiedenste Vorstandsjobs in der CEE-Region sowie auf Holdingebene inne und leitete den Aufbau des Bereichs Strategic Risk Management auf Gruppenebene. Seit 1. Jänner 2020 ist Spalt CEO der Erste Group AG, seit Juni zudem Bankenobmann in der WKO. Die Erste Group ist mit 2.228 Filialen in sieben Ländern (858 inklusive Sparkassen davon in Österreich), 46.172 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von rund 246 Milliarden Euro eine der größten Bankengruppen in Zentral- und Osteuropa.

Herr Spalt, Sie sind jetzt fast ein Jahr Vorstandschef der Erste Group. Den Job haben Sie sich wohl anders vorgestellt, als sich gleich mit Covid-19 und den Folgen der Pandemie auseinandersetzen zu müssen?
Diese Vermutung ist richtig. Ich habe mir sicher nicht gewünscht, in meinem Einstiegsjahr gleich mit einer Jahrhundertkrise konfrontiert zu werden. Wobei es uns trotz aller Schwierigkeiten gelungen ist, damit gut umzugehen. Ich bin seit 30 Jahren in der Gruppe, habe alle Regionen bereist und war lange Risikovorstand. Das hat sicher nicht geschadet -im Sinn, wie man in möglichen Krisen handeln kann.

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Und wie genau?
Priorität hatte und hat bei uns die Gesundheit der Kunden und Mitarbeiter. Wir haben hier am Standort gut 5.000 Mitarbeiter und sind mit dem ersten rigiden Lockdown binnen zwei Tagen auf 150 heruntergefahren, haben ab Mai wieder auf 30 Prozent der regulären Mannschaft aufgestockt und verschiedene Teams gebildet, die sich abgewechselt haben und nicht miteinander in Kontakt waren, um etwaige Ansteckungen zu vermeiden. Derzeit haben wir an die 600 Mitarbeiter hier vor Ort. Die Filialen hatten immer geöffnet, um das Bankgeschäft für die Kunden in vollem Umfang zu ermöglichen. Kurzarbeit haben wir nie in Anspruch genommen.

»Ich erwarte mir einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen und auch permanent höhere Arbeitslosenzahlen«

Wirtschaftlich hat Sie die Krise aber doch getroffen: Der Gewinn in den ersten drei Quartalen 2020 ist mit 637 Millionen nur noch halb so hoch wie im Vorjahr
Die Pandemie hat sich natürlich ökonomisch niedergeschlagen; als Bank sind wir ein Spiegel der Wirtschaft. Wenn die Regierung sich aus guten Gründen entscheidet, die Wirtschaft abzuschalten, entfallen Umsätze und Gewinne, und das wirkt sich direkt aus. Wobei aus volkswirtschaftlicher Sicht funktionieren die staatlichen Hilfen sehr gut. Die Frage ist allerdings, was passiert, wenn diese Staatshilfen und Moratorien Ende des ersten Quartals 2021 auslaufen. Das kann dann heftig werden. Ich erwarte mir ab dem zweiten Quartal einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen und auch permanent höhere Arbeitslosenzahlen.

Die Erste hat heuer bereits 870 Millionen Euro Risikovorsorgen gebildet. Wofür sind die konkret?
Die sind für Wertberichtigungen bei gebuchten Krediten - etwa von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren. Dass schwache Unternehmen, denen das Eigenkapital ausgeht, nicht mehr überleben, gehört zum normalen ökonomischen Zyklus dazu. Nur wurde dieser Kreislauf jetzt exogen - wegen Corona -, unterbrochen. Wir hatten in den vergangenen fünf Jahren abnormal niedrige Insolvenzraten, das wird nächstes Jahr definitiv anders sein.

Bereitet Ihnen das Sorgen?
Der Punkt ist vielmehr, wie wir damit mittel-und langfristig umgehen. Am Anfang der Krise haben alle ihre Rolle genau gespielt - die Politik, indem sie die Wirtschaft abgebremst und gleichzeitig unterstützt hat, die Regulatoren, weil sie auf sinnlose Vorschriften verzichtet haben, und die Banken, indem sie die Unterstützungsmaßnahmen in die Unternehmen hineingetragen haben. Das sind erste kurzfristige Antworten. Meine Sorge ist nun, wie es weitergeht, wie wir wieder aus der Krise finden und welche Ideen und Drehbücher wir dafür haben. Die Wirtschaft soll nicht ständig an einem staatlichen Tropf hängen und die nächsten zehn Jahre von Förderungen abhängig sein. Es geht darum, die richtigen Wachstumsfelder zu identifizieren, die uns nachhaltig wettbewerbsfähig machen -in den Bereichen Digitalisierung, Gesundheit oder Bildung.

»Ich kann nicht jemandem einen Kredit geben, weil letztlich der Staat dafür zahlt«

In Zusammenhang mit Hilfen müssen sich die Banken die Kritik gefallen lassen, dass sie bei der Kreditvergabe zu restriktiv vorgehen.
Das stimmt überhaupt nicht. Alle Banken verstehen ihre Verantwortung sehr gut, sie verstehen aber auch, dass sie in einem professionellen Geschäft tätig sind. Selbst wenn es eine Staatsgarantie gibt, muss ich mich vergewissern, ob Kredite auch zurückbezahlt werden können. Wir sind in der Situation die Treuhänder des Staates und der Steuerzahler. Ich kann ja nicht jemandem einen Kredit geben, weil letztlich der Staat dafür zahlt. Wir sind ja nicht in einem "Ich verteile Gelder, die mir nicht gehören"-Geschäft. Es ist unser Beruf, einzuschätzen, ob jemand ein Darlehen zurückzahlen wird können oder nicht. Wenn wir das nicht können, braucht uns niemand.

Wie beurteilen Sie die Krisenperformance der Regierung? Seit Sommer ist die Kritik daran immer lauter geworden. Auch die Kommunikation mutet unkoordinierter an.
Eine gewisse Demut erscheint mir angebracht, weil es keine Patentrezepte gegen so eine Krise gibt. Redliches Bemühen kann man, glaube ich, niemanden absprechen. Die Hilfen wie Kurzarbeit, Gewähren von Zuschüssen und Förderungen, also das Zurverfügungstellen von Liquidität, waren sicher effektiv. Ob es effizient und zielgerichtet genug war, wird uns nur die Geschichte sagen können. Was nicht erzielt werden sollte, ist, dass schon vorher schwache Unternehmen sinnlos über längere Zeit durchgetragen werden. Die Kommunikation war in der ersten Phase sehr klar und eindeutig, mittlerweile ist das aber viel schwieriger und differenzierter geworden - auch weil es viele unterschiedliche, zum Teil nicht schlüssige Regelungen gegeben hat und die Solidarität darunter gelitten hat.

Was könnte besser sein?
Die Regierung muss jetzt Entscheidungen auf Basis einer nicht perfekten Informationslage treffen, weil sie nicht weiß, welche Geschäftsmodelle weiter funktionieren werden, wie lange die Pandemie noch dauert und welchen Schwankungen sie unterworfen sein wird.

Da werden auch Fehler passieren. Eines ist aber schon jetzt klar: Mit dem zweiten Lockdown wird die Pandemie nicht vorbei sein. Corona wird uns auch 2021 noch begleiten. Selbst wenn es eine Impfung gibt, wird der wirtschaftliche Aufschwung fragil bleiben, weil das Virus noch immer da ist und es weiter Ansteckungen geben wird. Und es kommt auch nächstes Jahr wieder ein Winter. Wenn wir jetzt schon eine Zeit der unnatürlichen Ruhe haben, sollten wir diese dafür nutzen, uns planerisch darauf vorzubereiten. Ich hätte gerne eine Situation, in der Österreich ein Weltklasse-Testing-und-Tracing-System hat, mit dem Infektionen möglichst frühzeitig erkannt und isoliert werden können.

Bisher ist eher das Gegenteil der Fall. Das Contact-Tracing etwa ist zuletzt weitgehend außer Kontrolle geraten ...
Unzweifelhaft wurde nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa die Kontrolle darüber verloren. Dabei ist das nur eine Frage der Organisation. Bei uns haben wir von Beginn an so ein Testing-und-Contacting-System aufgesetzt, das auch die Mitarbeiter extrem schätzen, weil es ihnen die Sicherheit gibt, dass sie kompetent betreut werden.

»Wir haben ein PCR-Test-System organisiert, bei dem sich jeder Mitarbeiter binnen eines Tages testen lassen kann«

Wie funktioniert das?
Wir haben hier am Campus in Zusammenarbeit mit einem privaten Labor und mit eigenen Ärzten und Krankenschwestern ein PCR-Test-System organisiert, bei dem sich jeder Mitarbeiter im Verdachtsfall oder wenn in seinem Bekanntenkreis jemand positiv ist, binnen eines Tages testen lassen kann. Nach sechs bis sieben Stunden liegt das Ergebnis vor und wird auch den Behörden gemeldet. Wir haben sogar die Möglichkeit für Drivethrough-Tests in der Tiefgarage sowie ein Tracing-System. Und eine interne 24-Stunden- Hotline ohne Wartezeiten, die von Ärzten serviciert wird, gibt es außerdem. Mit Gesundheitsministerium und Unis erstellen wir Studien, zum Beispiel wer bereits Antikörper entwickelt hat und wie lange die Immunität anhält. Das ist mehr ein logistischer und planerischer Aufwand als ein finanzieller und zahlt sich auf jeden Fall aus. So ein System ließe sich auf breiter Basis installieren.

Apropos Impfung: Werden Sie sich impfen lassen?
Ich werde jede Woche getestet und werde mich hundertprozentig impfen lassen - weil ich reisen, Menschen treffen und meinen Job machen will.

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Glauben Sie, dass Corona das Verhalten der Menschen nachhaltig ändern könnte?
Das lässt sich nicht so einfach beantworten, man wird aus dem Konsumentenverhalten jedoch sicher einiges lernen können: In den ersten Wochen des Lockdowns im Frühjahr haben wir etwa gesehen, dass unsere Kunden weitgehend zu Hause geblieben sind und plötzlich 90 Prozent unserer Dienstleistungen online in Anspruch genommen wurden. Sobald sich die Lage aber wieder normalisierte und auch Restaurants und Geschäfte geöffnet waren, sind die Menschen wieder zurück in die Filialen gekommen. Auch weil sie den persönlichen Kontakt mit ihren Betreuern gesucht haben. So schnell verändern sich Verhaltensmuster also nicht trotzdem ist das digitale Nutzerverhalten nicht mehr dasselbe. Die Zahl der Onlinetransaktionen ist heute um einiges höher als früher -es ist also etwas passiert. Ich glaube schon, dass Dinge, die vorher keine Rolle gespielt haben, künftig eine andere Bedeutung haben werden, zum Beispiel das Abstandhalten.

Was erwarteten Sie sich künftig wirtschaftlich?
In Österreich wird es heuer ein Wachstumsminus von 7,2 Prozent geben; 2021 und 2022 gehen wir von einem Wachstum von 3,4 beziehungsweise von 2,3 Prozent aus. Was einzelne Branchen betrifft, wird die Reise-und Tourismusindustrie besonders leiden, ebenso der Event-und Kulturbereich im weitesten Sinne. Wobei letzterer wohl einen starken Rebound nach der Krise haben wird, weil einfach ein großes Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung, Kultur und sozialen Kontakten vorhanden ist. In der Luftfahrt gehe ich davon aus, dass Kurzstrecken viel schneller zurückkommen dürften als Langstrecken.

Sie sind auch in einer Reihe osteuropäischer Länder aktiv. Wie ist die Lage dort?
In Osteuropa hat man sich immer stark an den Maßnahmen in Österreich orientiert und auch die Entwicklung bei den Infektionszahlen und die Reaktionen darauf waren ähnlich. Der Wirtschaftseinbruch ist dort in vergleichbaren Dimensionen; die Länder sind ökonomisch sehr robust, weil es dort weniger dienstleistungsorientierte Branchen gibt, sondern mehr industrielle Produktion und die weniger betroffen ist. Es gibt dort nach wie vor zudem fast Vollbeschäftigung und Reallohnzuwächse, die Wachstumschancen für 2021 und 2022 sind somit völlig intakt. Das Geschäftsmodell der Erste Group funktioniert in Osteuropa sehr gut und wir werden dort weiter wachsen. Sowohl organisch als auch durch Zukäufe, wenn sich Gelegenheiten bieten. Wir haben genügend Liquidität. Speziell Polen, wo wir noch nicht sind, ist für uns sehr interessant. Wir schauen uns genau an, was dort passiert.

Es gibt in ganz Europa einen Konsolidierungszwang bei den Banken; in Österreich ist das wohl nicht anders?
Wir haben auch hierzulande sehr viele Banken, bei denen sich die Frage, ob ihr Geschäftsmodell relevant und nachhaltig ist, stellen wird. Da braucht man gar nicht das Beispiel Commerzialbank Mattersburg strapazieren, bei der sich diese Frage von selbst beantwortet hätte. Die Anzahl der Banken wird sicher sehr deutlich zurückgehen. Große wie die Erste und spezielle Nischenplayer werden überleben.

Stichwort Mattersburg: Hat da die Kontrolle versagt?
Dass die Commerzialbank Mattersburg als Schulbeispiel für effektive Kontrolle in die Geschichte eingehen wird, ist unwahrscheinlich - trotz einer veritablen kriminellen Energie, die es sicher auch gegeben hat. Wenn jetzt nach einer Neuorganisation der sektorübergreifenden Einlagensicherung gerufen wird, würde eine Fragmentierung nicht das richtige Problem ansprechen. Wenn zwei Überlaufsystems auf fünf verschiedene Systeme aufgeteilt werden, wird es trotzdem zu einem Überlauf kommen. Das Problem ist nicht, wer zahlt oder wer nicht, sondern dass ein nächstes Mattersburg verhindert wird. Das Thema ist daher ein besseres Frühwarnsystem -und dazu brauchen wird auch keine Aufsichtsreform. Die jetzigen gesetzlichen Tools sind völlig ausreichend.

Was man angesichts Corona auch feststellen konnte, war eine deutliche Zunahme der Sparquote, obwohl man auf einem Sparbuch so gut wie keine Zinsen bekommt.
Das hat damit zu tun, dass die Menschen während einer Krise besonders vorsichtig werden und versuchen, Geld auf die Seite zu legen. Da geht es weniger um den Ertrag als um die Vorsorge für unsichere Zeiten. Das ist nachvollziehbar, für mich stellt sich in dem Zusammenhang aber die Frage, wie man dieses Geld -in Summe 390 Milliarden Euro, davon 150 Milliarden auf privaten Sparbüchern - wirkungsvoller platzieren kann. Etwa indem damit Unternehmen, die Kapital brauchen, gestützt und damit auch Arbeitsplätze gesichert werden. Das ist ein großes Anliegen der heimischen Banken und es sollte auch eines der Republik sein. Die ist dazu aufgerufen, für ein außerbörsliches Kapitalmarktinstrument zu sorgen, damit in Unternehmen investiert werden kann - in einer Form, die für beide Seiten attraktiv ist.

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Als Fonds zum Beispiel?
Ja. Dafür müssen von der Politik aber erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit solche Fonds in Österreich auch aufgelegt werden können. Die Strukturen dafür gibt es bislang nicht und die sollten jetzt geschaffen werden, zumal das im Regierungsprogramm auch vorgesehen ist. Ich denke, dass die Österreicher für so eine Investmentmöglichkeit in tolle heimische Unternehmen durchaus empfänglich wären.

Bis es so weit ist: Was raten Sie jemandem, der sein Geld nicht ohne Zinsen auf dem Sparbuch liegen lassen will?
An Aktien kommt man bei längeren Anlagehorizonten nicht vorbei. Man muss sich da aber eines gewissen Risikos bewusst sein: Die Börse geht wegen der Hoffnung auf einen wirksamen Impfstoff und des damit verbundenen Optimismus derzeit stark nach oben, sie kann aber manchmal auch stark nach unten reagieren. Grundsätzlich gilt es, diversifiziert zu investieren. Als Risikomanager glaube ich sehr stark an Streuung und Regelmäßigkeit. Ich persönlich lege einmal im Monat etwas in einen Fonds ein. Da muss ich auch über den Investitionszeitpunkt nicht nachdenken. Was Immobilien betrifft, glaube ich, haben die bisher gut funktioniert, eine große Fantasie nach oben sehe ich derzeit nicht.

Und was ist mit Gold?
Für jemanden, der sich gegen Inflation absichern will, kann das eine Idee sein - zur Beimischung in sein Anlageportfolio. Letztlich hängt das alles immer von den individuellen Zielen und Ertragserwartungen ab. Die sollten daher möglichst klar formuliert sein.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 50/2020) erschienen!