Düstere Vergangenheit:
Hitlers Weinbauern

Die „Winzer Krems“ gelten im heimischen Weinbau als Topadresse. Doch ihre Vergangenheit ist düster. Im Müll aufgetauchte Unterlagen dokumentieren nun die bislang tabuisierte Geschichte ihrer „Arisierung“ – und offenbaren eine Chronik der eiskalten Vernaderung, des behördlichen Psychoterrors und einer tragischen Liebe.

von Chronik - Düstere Vergangenheit:
Hitlers Weinbauern © Bild: Heinz Stephan Tesarek

Jahrzehntelang hatte Bernhard Herrman mit seiner Cousine ­Ingrid, genannt „Guggi“, nur sporadisch Kontakt gehabt. Umso überraschter war der Wiener, als ihn die 60-jährige, kinderlose Salz­burgerin kurz vor ihrem Krebstod vor knapp zehn Jahren zu ihrem Alleinerben bestimmte. Die Hinterlassenschaft, ein kleines Häuschen in der Salzburger Vorstadt, war bis unter das Dach vollgerammelt mit planlos zusammen­gewürfeltem Unrat. Eine Sammlung von abgelaufenen Kinderüberraschungseiern fand sich da, daneben drei Sparbücher mit Bagatellsummen, dazwischen Unmengen gebrauchter Fahrscheine – und inmitten all des wertlosen Krams: eine braune Eisenkassette, 40 Zentimeter lang, 30 Zentimeter breit. „Ich brauchte ein Stemmeisen, um das Ding überhaupt aufzubekommen“, erinnert sich Herrman. Inhalt der brisanten Box: ein Wust an vergilbten Fotos, handgeschriebenen Briefen und maschinengetippten Dokumenten, die meisten mit behördlichen Hakenkreuz-Stampiglien versehen.

„Die Geschichte einer bislang totgeschwiegenen ,Arisierung‘“, resümiert Herrmann, der studierte Historiker, nun nach Jahren intensiver Recherche. Die Geschichte der „Arisierung“ des größten Wachauer Weingutes, das 1938 zum Hauptsitz der im selben Jahr gegründeten „Winzer Krems“ umfunktioniert wurde.

Bernhard Herrmans Onkel Albert und dessen Frau Margarete, die Eltern der Salzburger Cousine Guggi, hatten in den Dreißigerjahren als Verwalter und als Hausdame auf dem Kremser Gut gelebt und standen in engem persönlichem Kontakt mit den damaligen Besitzern. Und so gelangten in den Wirren der NS-Zeit zahllose Unterlagen in ihre Hände, aus denen sich nun eine Geschichte aus skrupelloser Denun­ziation, tiefem menschlichem Leid und ­beamteter Brutalität rekonstruieren lässt.

Zwei Wiener Society-Größen

Rückblende ins Frühjahr 1938, die Wochen und Monate rund um den „Anschluss“. Paul Robitschek, ein Wiener Großbürger jüdischer Abstammung, steht im Besitz der wertvollsten Kremser Riede und auch der größten Kellereien. Darunter befindet sich die legendäre „Sandgrube 13“, deren Grüner Veltliner mit seiner unaufdringlich würzebetonten Nase und seinem legendären „Pfefferl“ im Abgang später zum hoch­dekorierten Exportschlager werden sollte. Robitschek, damals ein angehender Vierziger, führt die Großwinzerei gemeinsam mit seinem Geschäftspartner August Rieger. Dieser ist fast gleich alt, stammt ebenfalls aus besserem Wiener Hause, firmiert vor dem Hintergrund der heraufdräuenden NS-Rassenlehre aber als „Arier“.

Die beiden stets elegant gekleideten Herren sind das, was man heute Mitglieder der High Society nennen würde. In Riegers Salon in der Praterstraße, das belegen Schriftstücke aus der Eisenkassette, geht in den Dreißigern das Who’s who der damaligen Kulturszene aus und ein. Burg-Größe Raoul Aslan, Filmdiva Alma Seidler und Superstar Paul Hörbiger sind, neben Politikern aller Lager, gern gesehene und fürstlich bewirtete Gäste. Rieger und ­Robitschek firmieren gemeinsam als Gastgeber – und sind auch privat ein Paar. Jeder weiß das, aber keiner redet offen darüber. Und keiner nimmt Anstoß daran. Nicht in Wien.

Wohl aber draußen in Krems, wo den beiden Bonvivants aus der Hauptstadt ein rauerer Wind der Empörung entgegenbläst. Windmaschine ist ein gewisser Franz Aigner, damals 39 Jahre alt, Weinbauer – und absolut willens, die Gunst des politischen Machtwechsels raschest ökonomisch zu nutzen. Aigner ist ein sogenannter „Illegaler“ und bereits seit 1932 Mitglied der ein Jahr darauf verbotenen NSDAP. Nach dem „Anschluss“ avanciert der kleine Winzer sogleich zum NS-Ortsbauernführer von Krems, zudem zum SA-Mitglied – und somit zum wichtigsten Agrarfunktionär in der Wachau. Und: Aigner gründet 1938 eine Winzergenossenschaft mit mehr als 100 Mitgliedern, sich selbst macht er kurzerhand zum Chef. Aber wo all die Kremser Trauben künftig in großem Stile verarbeiten, wo sie keltern, wo die Weine lagern? Des Führers williger Winzer weiß Rat.

© COPYRIGHT, 2008 Der Fundort: In diesem heruntergekommenen Häuschen in der Salzburger Vorstadt stieß Historiker Herrman auf eine Eisenkassette mit den brisanten NS-Dokumenten

Der Brief der Bauern

„Die jüdische Weinfirma Robitschek hat in Krems eine Kellerei samt Einrichtung und Weingartenbesitz im Ausmahse (sic) von ca. zweieinhalb Hektar“, schreibt Ortsbauernführer Aigner sogleich an die Vermögensverkehrsstelle im Handels- und Verkehrsministerium unter dem Betreff „Ankauf eines jüdischen Weingutes“, denn: „Die Weinbauerschaft von Krems und Umgebung beabsichtigt nun in Krems eine genossenschaftliche Verwertung ihrer Weine und benötigt zu diesem Zwecke eine Kellerei. Die Kellerei Robitschek ist für diesem Zwecke (sic) besonders geeignet.“ Gezeichnet mit einem strammen „Heil Hitler!“.

In Zeiten wie diesen sollte die Eingliederung jüdischen Eigentums in großdeutschen Besitz ja eigentlich ein reiner Formal­akt sein. Womit Aigner jedoch nicht rechnet: Großunternehmer Robitschek vertraut seinem Lebenspartner Rieger so umfassend, dass er ihm die gesamten Kremser Latifundien noch im April 1938 rasch zu einem Symbolpreis verkauft. Zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, als noch altes österreichisches Eigentumsrecht gilt. Somit gilt der „rassisch reine“ Rieger als Besitzer, und der Betrieb ist somit bereits vorab „arisiert“.

Nun muss Bauernführer Aigner gewaltig nachlegen: „Da der Jude Robitschek widernatürlich veranlagt war, behaupteten Gerüchte, Rieger sei des Juden Bettknabe“, formuliert er fiebrig in einem Bericht an die Kreisleitung der NSDAP Krems. Ja und überhaupt: „Die Judenfirma schädigte die Hauerschaft von Krems durch Zufuhr von Weinen aus minderwertigen Weinbau­gebieten und Abverkauf dieser Weine als Kremserwein.“ So wären durch die „Zutaten von unbekannten Mitteln“ mehrere Sorten Wein als Kremser Produkte verkauft worden, vermeldet Aigner unter Berufung auf „ehemalige Arbeiter der Judenfirma“.

Im Visier der Gestapo

Jude! Schwul! Weinpanscher! Damit ist das Match um die „Sandgrube 13“ trotz Riegers heftigen Einsprüchen und kurzlebigen Teil­erfolgen im Wesentlichen gelaufen, und Aigner avanciert zum kommissarischen Leiter. Zumal nun auch hochrangige Parteigenossen ihren Mann in Krems wissen lassen, dass sie „die Angelegenheit der Winzer Krems bei den maßgebenden Stellen mit allen Mitteln unterstützen“ wollen.

Und „mit allen Mitteln“, das heißt aus dem NS-Sprachduktus mit all seinen ­zynischen Beschönigungen ins Deutsche rückübersetzt: Robitschek und Rieger werden von Gestapo-Männern abgeholt und in die berüchtigte Geheimpolizeizentrale am Wiener Morzinplatz gebracht. „Wir wurden einem peinlichen Verhör unterzogen“, erinnert sich Rieger in seinem Tagebuch. „Wir wurden beide beschuldigt, zueinander in homosexuellen Beziehungen zu stehen.“ Diesmal kommen die Lebens- und Geschäftspartner, die ihre Gefühle zwangsläufig verleugnen, noch mit dem Schrecken davon. Doch dann erfährt Robitschek von seinem alten Freund Ferdinand Schmidt, einem ehemaligen Zechkumpanen in weinseligen Kremser Kellerrunden und nunmehrigen Gestapo-Beamten, dass er am 15. Mai 1938 ins KZ Dachau deportiert werden solle. „Dann ließ mir mein Freund von der Polizei plötzlich sagen, wenn ich mich morgen nicht operieren lasse, eine längst besprochene Operation, könne er für mich nicht mehr garantieren“, vermerkt Robitschek später in seinem Tagebuch. Denn, erklärt Gestapo-Mann Schmidt, frisch Operierte seien vom Transport in Konzentrationslager vorübergehend ausgenommen.

Wenig später lässt sich Robitschek also an den Mandeln operieren. Dann stürzt er sich in eine Flucht ohne Ende: Es geht über Triest in die Schweiz, dann über Frankreich und Portugal nach Venezuela. Seine Mutter Johanna, die in Wien bleibt, wird trotz ­Riegers diskreter Unterstützung nach Theresienstadt deportiert und ermordet.

Während seiner Odyssee schreibt Robitschek in sein Tagebuch noch ein Liebes­gedicht, das er Rieger widmet: „Nimm die Sorgen von dem Liebchen, hilf’ ihm doch in bittrer Stund, dass es niemals mehr verzaget, mach’s ihm irgendwie doch kund!“

Ein gebrochener Mann

August Rieger bleibt in Kontakt mit seinem Partner Paul, bringt ihm immer wieder Wertgegenstände ins Ausland nach, tele­foniert regelmäßig mit ihm. Doch das NS-Fernmeldeamt hört mit, und die Gestapo protokolliert seine Anrufe. Rieger wird erneut verhaftet, diesmal unter anderem wegen Fluchthilfe. Nach 144 Tagen verlässt er das Verlies als gebrochener Mann. „Nur durch intensive Bemühungen gelangte ich noch einmal in die Freiheit. Während der Haftzeit war ich allein 85 Tage in Einzelhaft, und durch 35 Tage wurde ich verhört“, notiert Rieger.

Er schreibt von „Qualen“ und einem „Damoklesschwert“, das stets über ihm geschwebt sei, in sein Tagebuch, das als verschollen galt. Bis es vor knapp zehn Jahren auftauchte. In einem Wust an Dokumenten. In einer Eisenkassette in einem alten Häuschen in der Salzburger Vorstadt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 40 2018