"Wir haben nicht mehr viel Zeit"

Caritas mit großer Aktion zu Pflegekräftemangel: "Wir brauchen Pflegekraftpaket und wir brauchen es sehr rasch"

Auf die Wahlplakate der Parteien folgen Sujets zum Thema Pflege. Die Caritas nutzt die freiwerdende Plakatflächen, um auf den akuten Pflegekräftemangel aufmerksam zu machen. "Die Wahl ist vorbei. Wir hoffen, dass neben freiwerdenden Plakatflächen nun auch wieder Zeit für inhaltliche Arbeit ist", sagte Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, bei einer Live-Klebeaktion am Dienstag.

von Heimpflegerin der Volkshilfe Salzburg mit Patienten © Bild: APA/Barbara Gindl

"Wir haben nicht mehr viel Zeit, um die Zukunft der Pflege zu sichern. Wir brauchen ein Pflegekraftpaket und wir brauchen dieses Paket sehr rasch", so Schwertner. Alle Pflegeanbieter seien auf der dringenden Suche nach geeignetem Personal. Allein bei der Caritas seien derzeit einige hundert Stellen in ganz Österreich offen. Und die Situation werde sich weiter verschärfen. Bis zum Jahr 2050 sei in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 zu rechnen. Mehr als 50.000 zusätzliche Pflegekräfte werden benötigt. "Eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung wird es also sein, Antworten auf diesen sich abzeichnenden Pfleger-Notstand zu geben", so Schwertner.

Das fordert die Caritas

Konkret fordert die Caritas eine Ausbildungs- und Jobgarantie für künftige Pflegekräfte und die Schaffung von zusätzlichen 2.000 Ausbildungsplätzen pro Jahr, eine berufsbegleitende Ausbildung und Verbesserungen für Quereinsteiger, die Abschaffung der Ausbildungskosten für diplomierte Pflegekräfte und ein Ende des Schulgelds für alle übrigen Pflegeberufe sowie eine Einführung bzw. Erweiterung des Taschengeldes für Studierende im Bereich der Krankenpflegeberufe, eine Anpassung der Gehälter im Langzeitpflegebereich und eine Digitalisierungsoffensive für die Pflege.

"Nächstenliebe deinen Job"

Das Motto der aktuellen Pflege-Kampagne lautet "Nächstenliebe deinen Job." Plakatiert werden Stelleninserate, die die besonderen Stärken des Pflegeberufs betonen. "Wir wollen uns mit diesen Plakaten als Arbeitgeberin auch bei all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken." Die Caritas Pflege-Kampagne wird von der Wiener Städtischen Versicherung unterstützt.

Hauptverband erwartet von künftiger Regierung "Dauerlösung"

Auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger erwartet sich von der kommenden Regierung eine langfristige Lösung im Pflegesektor. Die neue Regierung sollte sich Zeit nehmen, eine "Dauerlösung" zu schaffen, "die Jahrzehnte hält", sagte Hauptverbands-Chef Alexander Biach bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Und Pflege solle "keine ideologische Frage, sondern eine Verantwortungsfrage" sein.

Anlass für die Forderung Biachs war die am Dienstag im Hauptverband abgehaltene 13. "Sozialstaatsenquete", bei der die Zukunft des Pflegesicherungssystems im Mittelpunkt stand. Vor Beginn der Enquete verwies der Hauptverbands-Chef auf Berechnungen des Wirtschaftsforschung-Instituts (Wifo): Diese lassen bis ins Jahr 2050 eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen erwarten - und zwar um mehr als 300 Prozent.

"Tabulose Anaslyse" gefordert

Wifo-Chef Christoph Badelt ergänzte, es sei zwar erfreulich, dass das Thema Pflege im Wahlkampf behandelt wurde, "weil damit die Dringlichkeit klarer geworden ist". Allerdings seien dabei lediglich "Schlagworte" zur Organisation und Finanzierung in die Welt gesetzt worden, die von einer Umsetzung weit entfernt seien. Es brauche nun eine "tabulose Analyse" von Pflegesystemen, so seine Forderung.

»Wir brauchen hier eine empirisch gesicherte Analyse und es braucht wenig Ideologie«

Zur Frage der künftigen Finanzierung betonte Badelt, man könne generell nicht sagen, ob eine Pflege-Versicherung besser als eine Lösung über die Steuereinnahmen sei. "Wir brauchen hier eine empirisch gesicherte Analyse und es braucht wenig Ideologie." Es habe nur eine einzige gesellschaftspolitische Wertung abzugeben: Nämlich, dass es bei der Pflege (im Hinblick auf die steigende Zahl der Pflegebedürftigen) eine gesellschaftliche Verantwortung gebe. Diese müsse analog zu anderen sozialen Risiken wie Alter (Pensionen), Krankheit oder Arbeitslosigkeit wahrgenommen werden. Klar sei, dass es dazu mehr Geld brauche. "Ich hoffe, dass eine neue Regierung dieses Bekenntnis klar setzt."

Auch Biach verwies auf den zu erwartenden Mehraufwand. Er warnte aber davor, Mittel aus anderen Bereichen des Gesundheitssystems umzuschichten. Der Hauptverbands-Chef sprach sich klar für ein Mischsystem aus: "Nur ein Mischsystem aus Steuern und Abgaben kann das stemmen", sagte er zum erwarteten Mehraufwand.

Die Sozialversicherungen alleine könnten jedenfalls nicht für die Finanzierung aufkommen. Denn das Sozialversicherungssystem sei ein beitragsabhängiges System - und damit an die Lohnsummen gekoppelt. Eine Überwälzung auf die Versicherungsseite alleine würde die Arbeitskosten überfordern und verteuern, warnte Biach. Auf der anderen Seite würde ein rein steuerfinanziertes System Bund und Länder überfordern - mit der Gefahr, die Schulden überzustrapazieren.

"Menschen müssen gesund, fit gehalten werden"

Definiert habe man grundsätzliche Ziele, die für die künftige Ausgestaltung des Pflegesektors wichtig seien, so Biach. So gelte es einerseits, Pflege zu vermeiden: "Menschen müssen gesund, fit gehalten werden", es brauche eine "Koppelung" des Pflegesektors an das Gesundheitssystem. Und bei Pflegebedürftigen, Pflegepersonal sowie den Angehörigen, aber auch den Finanziers (also Staat und Sozialversicherungen) dürfe keine Angst vor dem Thema Pflege bestehen.

Der Hauptverband verwies auch darauf, dass Österreich im Europa-Vergleich mit rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung bisher verhältnismäßig geringe Ausgaben für die Langzeitpflege aufweise. Die europäischen Länder geben dafür zwischen 2,9 Prozent (Norwegen) und 0,12 Prozent (Griechenland) der Wirtschaftsleistung aus.