Was geht uns das an?

Was der britische EU-Austritt für Österreich bedeutet

Am 1. August wurde bekannt, dass sich Wien mit 22 anderen Städten um den neuen Standort der EU-Bankenaufsicht sowie der Europäischen Arzneimittelbehörde bewirbt. Die EU-Agenturen haben ihren jetzigen Sitz in London und müssen wegen des Brexits in andere Mitgliedsstaaten umziehen. Genauso wie die bereits erfolgte Standorterweiterung von EasyJet nach Wien, könnte eine Ansiedelung nach Österreich ein Beweis sein, dass der Brexit auch die eine oder andere Chance für Österreich bringt. Zumindest, wenn man von den jährlichen 400 Millionen Euro absieht, die Österreich durch den EU-Austritt Großbritanniens zusätzlich zu zahlen hätte.

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1 Jahr, 1 Monat, 1 Woche und zwei Tage ist es mittlerweile her, dass sich die Briten gegen einen Verbleib in der Europäischen Union entschieden haben. Nun ist es ein bisschen so wie bei einer Trennung nach einer langen Beziehung. Nur, dass es nicht darum geht, wer die Katze behalten darf, sondern darum, wie der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt, der die vier Grundfreiheiten des freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs umfasst, künftig geregelt wird.

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Im ersten Fall gibt es eine entgegenkommende Lösung, wo sozusagen beide etwas von der Katze hätten: Die Briten bekommen das, was sie verlangen, und die europäische Industrie verliert dafür nicht den Zugang zum zweitgrößten Markt Europas und ihrem fünftwichtigsten Handelspartner. Oder es gibt den "harten" Brexit, der den Briten den Zugang zum EU-Binnenmarkt verweigert – wenn sie nicht Zugeständnisse machen. Großbritannien wird in diesem Prozess wahrscheinlich deutlich höhere Kosten tragen müssen als die einzelnen Mitgliedsländer der EU-27.

400 Millionen Euro. Zusätzlich. Jährlich.

Kosten kommen allerdings auch auf die Mitgliedsländer zu. Zumindest auf die Nettozahler. Und zumindest, wenn nicht eingespart werden sollte. Denn der Austritt Großbritanniens reißt ein großes Loch von rund zehn Milliarden Euro ins EU-Budget. Deutsche Wirtschaftsforscher rechnen damit, dass der Beitrag Österreichs folglich um 200 bis 400 Millionen Euro im Jahr steigen könnte. Finanzminister Hans Jörg Schelling lehnt eine höhere Zahlung nach Brüssel jedoch ab. Er fordert, den Wegfall der britischen Nettobeiträge durch Einsparungen zu kompensieren. Auch Bundeskanzler Kern plädiert für grundlegende Reformen und Einsparungen. Der Brexit solle Österreich nicht mehr kosten. Konkrete Zahlen gibt es aber ohnedies noch nicht, da das ab 2021 geltende EU-Mehrjahresbudget noch nicht verhandelt wurde.

Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft

Einer Studie des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge wird die Auswirkung des Brexits hierzulande kaum wahrnehmbar sein. Abhängig von der handelspolitischen Isolierung Großbritanniens würde das reale Bruttoinlandsprodukt in Österreich je Einwohner im Jahr 2030 nur zwischen 0,05 und 0,18 Prozent geringer ausgefallen als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU. Lediglich Österreichs Autobranche könnte im Falle eines harten Brexits einen Umsatzrückgang von knapp 1,5 Prozent erleben. Diese 780 Millionen Euro lassen sich auf die Tatsache zurückführen, dass Großbritannien der zweitgrößte Abnehmer ist.

»Wien hat beste Chancen der neue Standort der EU-Arzneimittelagentur zu werden«

Eine spürbare Auswirkung auf die österreichische Wirtschaft könnte jedoch vor allem eine Entscheidung haben. Und die ist derzeit hart umkämpft: In welches Mitgliedsland die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Arzneimittelbehörde (EMA) ihren Sitz verlegen werden. Durch den Brexit müssen die beiden noch in London befindlichen Agenturen auf das EU-Festland übersiedeln. Bei der EMA-Ansiedelung würde Österreichs BIP über fünf Jahre hinweg um eine Milliarde Euro steigen. Österreich hat sich zwar auch für die EBA beworben, jedoch sind die Chancen wesentlich besser, dass die EMA nach Wien kommen könnte. Die Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner bekräftigt die Vorteile. Wien sei mit 450 Unternehmen im Bereich Gesundheitsforschung schon jetzt ein Top-Standort.

»Der Brexit, so bedauerlich und schmerzhaft er auch sein mag, wird die Europäische Union auf ihrem Marsch in die Zukunft nicht stoppen können «

Wer den Zuschlag erhält, kann auf immense Zusatzeinnahmen hoffen. Die EMA und die EBA richten jährlich Hunderte Konferenzen und Veranstaltungen mit Experten aus aller Welt aus. Zuletzt sorgten beide Agenturen in London für rund 39.000 zusätzliche Hotelübernachtungen pro Jahr. Hinzu kommt, dass mit den Agenturen auch hoch qualifizierte Mitarbeiter umziehen dürften. Die Arzneimittelagentur EMA beschäftigte zuletzt immerhin rund 900 Menschen. In einem Zeitraum von fünf Jahren könnten außerdem 9.000 zusätzliche Arbeitsplätze gesichert werden. Der Brexit könnte so gesehen also sehr wohl positive Auswirkungen auf den Tourismus und die Wirtschaft sowie auf den Forschungsstandort Wien haben. Auch für Jean-Claude Juncker, Präsident der EU, steht fest: "Der Brexit, so bedauerlich und schmerzhaft er auch sein mag, wird die Europäische Union auf ihrem Marsch in die Zukunft nicht stoppen können."