Neuwahlen könnten
Brexit aufschieben

Alle 28 EU-Staaten müssten zustimmen - Chancen auf zweites Referendum gestiegen

Die Unsicherheiten vor dem Brexit sind vor allem in Großbritannien in den vergangenen Tagen deutlich gestiegen. Allfällige Neuwahlen auf der Insel könnten das bisher als praktisch fix geltende Austrittsdatum 29. März 2019 über den Haufen werfen oder zumindest aufschieben. Einem solchen Szenario müssten allerdings alle 28 EU-Staaten, also inklusive der Briten selbst, zustimmen.

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Austritt - Neuwahlen könnten
Brexit aufschieben

Dazu kommt, dass die Chancen auf ein zweites Referendum über ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, die bisher offiziell fast auf Null eingeschätzt wurden, wieder Aufwind bekommen haben. In den nächsten Tagen finden die Parteitage von Labour und Tories statt, wo Vorentscheidungen über das weitere Vorgehen zu erwarten sind. Die britischen Sozialdemokraten waren bisher zwar für den Austritt, doch hat nun Parteichef Jeremy Corbyn entschieden, das Ergebnis einer parteiinternen Abstimmung, ob die Briten doch für ein zweites Referendum sind, zu akzeptieren.

May mehr als umstritten

Auf der anderen Seite ist die britische Premierministerin Theresa May in ihrer konservativen Partei inzwischen mehr als umstritten. Vor allem der informelle EU-Gipfel in Salzburg vergangene Woche hatte für May einen starken Dämpfer gebracht. EU-Ratsvorsitzender Donald Tusk und die anderen 27 Staats- und Regierungschefs hatten klargemacht, dass der zuletzt von May vorgelegte Vorschlag nicht akzeptabel sei und ein Rosinenpicken darstellen würde.

Die Knackpunkte

Knackpunkte in den Brexit-Verhandlungen sind vor allem der Umgang mit der irisch-nordirischen Grenze und der künftige Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt. May will eine Freihandelszone mit der EU für Waren und Agrarprodukte, nicht aber für Dienstleistungen und den freien Personenverkehr. Die EU lehnt dies ab. Die Union will eine Nicht-Mitgliedschaft in der Union nicht attraktiv machen und so eine Brexit-Vorbildwirkung auf andere Länder verhindern.

Darauf wiederum hat die britische Presse mit teils wütenden Kommentaren gegen die EU geantwortet. So wurden EU-Ratspräsident Donald Tusk und der französische Staatschef Emmanuel Macron als "Ratten" tituliert. Tusk hatte daraufhin lediglich gemeint, dass er May sehr schätze.

EU wandelte sich zum stärkeren Verhandlungspartner

Hatte die EU in den ersten Monaten nach dem Austrittsreferendum vom Juni 2016 noch eher verschreckt reagiert und die Briten sich als die Stärkeren gewähnt, ist nun das Gegenteil eingetreten. Die EU agiert mehr oder minder gelassen und betont immer wieder, mit den Briten einen Deal vereinbaren zu wollen, wobei aber vor allem die strittigste Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland weiter ungeklärt ist. Ein lange Zeit als fast unmöglich geltendes Szenario eines "No Deal" ist für die EU weiterhin die schlechteste Möglichkeit, doch wird sie nicht mehr ausgeschlossen. Die EU-Kommission, die immer zurückhaltend reagiert, hat sogar gemeint, natürlich gebe es Vorbereitungen auch für einen "No Deal".

Drohszenario eingebüßt

Die Briten wiederum haben ihr Drohszenario, wonach es keine Vereinbarung mit der EU geben werde, sollte die Europäische Union kein Entgegenkommen zeigen, de facto eingebüßt. May selbst lehnt ein zweites Referendum ab, doch könnten Neuwahlen ein völlig neues Szenario schaffen. Immerhin hatte zuletzt eine britische Umfrage erstmals eine klare Mehrheit von 59 Prozent gezeigt, die für einen Verbleib der Briten in der EU sind.

Sollte eine solche Abstimmung tatsächlich erfolgen und sich die Briten vom Austritt verabscheiden, ist aber eine völlig neue Situation gegeben und unklar, wie die EU vorgehen wird. Eines scheint sich aber auf jeden Fall abzuzeichnen, die Vorteile, die sich die Briten mit einem Brexit erhofften, dürften nicht eintreten. Wahrscheinlich wird es eher darum gehen, allfällige Nachteile so gering wie möglich zu halten.

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