Alltag im Kindergarten:
Was eine Pädagogin erzählt

"Mein Job ist die Aufbewahrung"

Noch nie gab es so viele Kindergartenplätze wie heute. Die Politik will noch mehr. Die richtigen Rahmenbedingungen schafft sie aber nicht. Schlechtes Gewissen, lange Wartelisten, große Qualitätsunterschiede: wie sich die größten Probleme bei der Kinderbetreuung lösen lassen und was eine Pädagogin über ihren Alltag im Kindergarten erzählt.

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Betreuung - Alltag im Kindergarten:
Was eine Pädagogin erzählt

Ich liebe Kinder, deswegen liebe ich meinen Job. Noch immer und trotz allem. Doch gerade weil ich mich mit meiner Arbeit noch immer zu identifizieren versuche, leide ich unter der totalen Stagnation in unserer Branche.

Was wir sein sollten: innovative Pädagoginnen, die unsere Kleinsten individuell fördern. Das ist auch das Berufsbild, das die Stadt Wien suggerierte, als sie vor ein paar Jahren Inserate schaltete, um jungen Menschen die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin schmackhaft zu machen. Was wir sind: "Kindergartentanten" uralten Zuschnitts, deren wichtigste Aufgabe die möglichst unfallfreie Aufbewahrung von Buben und Mädchen ist. Das eine ist der politisch verkaufbare Schein, das andere die ernüchternde Realität - und dazwischen befindet sich das Spannungsfeld, in dem wir Pädagoginnen tagtäglich funktionieren müssen. Denn nicht wenige Eltern glauben tatsächlich an die heile Kindergartenwelt, die ihnen von offizieller Seite vorgegaukelt wird, und stellen entsprechend hohe Ansprüche.

»In den Krippen oder Kleinkindergruppen kommen auf 15 Kinder eine Pädagogin und eine Assistentin«

Dabei hört sich bei oberflächlicher Betrachtung ja noch alles recht gut an: In den Krippen oder Kleinkindergruppen - das sind die Gruppen mit Kindern unter drei Jahren - etwa kommen auf 15 Kinder eine Pädagogin und eine Assistentin. Zur Erklärung: Assistentinnen sind Hilfskräfte ohne jede pädagogisch-didaktische Ausbildung, deren Aufgabe eigentlich in der Verrichtung von einfacheren Aufgaben wie der Essensvorbereitung oder der Reinigung bestünde und die mit dem Job der regulären Kindergärtnerin heillos überfordert sind. Nicht selten kommt es vor, dass bei ihnen die verfestigten Rollenbilder aus der eigenen Kindheit durchschlagen; dass sie etwa Mädchen sanft in die Puppenecke drängen und Buben zu den Autos. Zugegeben, dieses Festhalten an alten Klischees ist allein noch keine echte Katastrophe - dennoch steht es in schroffem Gegensatz zu unseren ach so fortschrittlichen Konzepten.

Um nur ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich mache den Assistentinnen nicht den geringsten Vorwurf, denn sie werden als Unterste in der Kindergartenhierarchie in eine Rolle gedrängt, auf die sie nie jemand vorbereitete; zudem schlechter bezahlt als jede steuerfrei arbeitende Putzfrau -und von vielen Eltern aufgrund ihrer offensichtlichen Unsicherheit auch noch von oben herab behandelt.

Eine einzige ausgebildete Kindergärtnerin sollte also 15 herumwuselnde Kleinkinder im Alleingang bespaßen, bespielen und belehren. Jede Mutter, jeder Vater weiß, wie schwierig es ist, nur ein oder zwei Kleinkinder unter permanenter Kontrolle zu haben und darauf aufzupassen, dass sie in ihrem frühkindlichen Entdeckergeist nirgendwo raufklettern, wo sie dann runterfallen und sich wehtun könnten.

»Da ich meine Augen nicht überall haben kann, bedeutet Abenteuer aus pragmatischer Sicht in erster Linie Gefahr - die in keiner Relation zu meinem Gehalt steht«

Gerade im Frühling oder im Sommer, wenn draußen alles grünt und blüht, würde ich mit meiner Gruppe gerne täglich ins Freie gehen. Doch da die Sicherheit der Kinder an oberster Stelle steht und ich meine Augen nicht überall haben kann, bedeutet Abenteuer aus pragmatischer Sicht in erster Linie Gefahr - die im Übrigen in keiner Relation zu meinem Gehalt steht. Rechne ich meinen Nettomonatslohn als Kindergärtnerin auf Stunden herunter, so verdiene ich weniger als die Babysitterin, die ich daheim als Mutter ab und zu engagiere.

Unsere Kinder sind uns wichtig, das ist gesellschaftlicher Konsens. Doch die Bezahlung derer, denen wir sie täglich anvertrauen, ist miserabel - weshalb sich kaum junge Menschen für unseren Job interessieren. Und weshalb sich jene, die ihn noch immer machen, oft und gerne in den Krankenstand flüchten. Eine Woche, das ist in unserem Kindergarten die Grundeinheit des Krankenstandes, in etwa so wie in "normalen" Betrieben ein Tag. Abwesenheiten von mehreren Wochen oder gar Monaten werden kaum hinterfragt. Denn wo es kaum interne Konkurrenz gibt, dort besteht ohnedies keinerlei Kündigungsgefahr: Und so sind wir zwar keine echten Beamtinnen, dafür aber pragmatisierte Kinder-Aufbewahrerinnen.

Zur Person
Mit knapp eineinhalb Jahrzehnten Berufserfahrung zählt Beate aus Wien zu den erfahrenen Kindergartenpädagoginnen. Sie arbeitet in einem städtischen Kindergarten, zuvor war sie auch für einige Jahre in einer privaten Betreuungseinrichtung tätig. Beate hat darum gebeten, ihren richtigen Namen nicht zu nennen, da Magistratsbediensteten öffentliche Äußerungen zum Berufsalltag vertraglich untersagt sind.

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Kommentare

Teil3: Assistentinnen unterstützen uns tatkräftig und gehen mit den Kindern genau so liebevoll, konsequent und lehrreich um wie wir. Und besonders in diesem Beruf kommt es auf den Menschen, den Hausverstand und die mütterliche Wärme an. Durch ihre Äußerung „heillose Überforderung“ und „offensichtliche Unsicherheit“ sind eher sie es, welche ihre Kollegin von oben herab behandelt. mfg Irmgard

Teil 2: Im Bezug auf die Assistentinnen tut es mir sehr leid für sie, dass sie mit ihrer so unzufrieden sind. Denn ansonsten würden sie die Aufgaben und Fähigkeiten nicht so falsch darstellen. In dieser halbjährigen Ausbildung wird sehr wohl das wichtigste über Pädagogik, Bildungsangebote, den Zielen und Bedürfnissen der Kinder, uvm gelehrt.

ich unterstütze ihre Aussage in Bezug auf das verzogene Bild, den verschobenen Eindruck, die schlechte Bezahlung,.... der Kindergartenpädagogen voll und ganz. Anstatt Kleinkinder in einem entspannten, kleinen und ruhigen Umfeld auf die Schule vorbereiten zu lassen, bevorzugt man gestresste Kinder in überfüllten Gruppen, verschärft die Aufnahmekriterien für Kinder mit Förderungsbedarf , usw.

higgs70

"Wenn der Kindergarten die erste Bildungseinrichtung sein soll,......"

Also ich für meinen Teil halte genau gar nichts davon und finde es schlimm, dass damit schon wieder in die Richtung marschiert wird, die Zwerge quasi vor der Schule einzuschulen. Mittlerweile hat man ja schon die einst so entspannte Volksschule zum Rat race gemacht, Kleinkinder sind keine Konserven die man durch die Abfüllanlage jagt. Im Kindergarten brauchts ein bisschen Liebe, Aufsicht und ab und zu einen Anstoß was man noch untersuchen könnte. Leute werden heute 90 und 100 Jahre alt, warum schon mit 4-5 Jahren pädagogisieren, die explorieren schon selbst. Und nachdem wir die Adoleszenz ins Unendliche verlängert haben, sollten wir hinten nicht auch noch die Kindheit wegschneiden. In eine Gesellschaft die ans Funktionieren glaubt bis das Auge bricht kommen die früh genug.

Gerti Lehmann

In Jahrzehnten hat sich absolut nichts im Kindergartenalltag geändert. Nur die Anforderungen an das Personal sind gestiegen und werden jeweils nach dem jeweiligen "Moden" gestaltet. Es ist ein Unding dass man erwachsenen Menschen verbietet sich über ihr Berufsbild öffentlich zu äussern. In der jüngsten Vergangenheit war es üblich die Bildung im Kindergarten zu verteufeln,jetzt ist es "in".

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