Phänomen Red Bull Salzburg

Wie der Klub zum Vorbild einer ganzen Branche wurde

Hinter den Machern von Red Bull Salzburgs dynamischem Power-Fußball liegt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Sie begann als Lachnummer Europas

von Phänomen Red Bull Salzburg © Bild: Jasmin Walter - FC Red Bull Salzburg/FC Red Bull Salzburg via Getty Images

Ziemlich genau eine Dekade ist es her, als sich die heute so gefeierten Fußballer des FC Red Bull Salzburg zum Gespött von ganz Europa machten. Ausgerechnet ein luxemburgischer Klub mit dem Namen F91 Düdelingen kickte die mit Mateschitz-Millionen aufgemotzte Truppe aus der Champions-League-Qualifikation und ließ vermeintliche Stars wie Christoph Leitgeb oder Jonatan Soriano wie zerdetschte Mozartkugeln aussehen. "Sportdirektor Ralf Rangnick beginnt seine Zeit in Salzburg direkt mit einer Riesen-Blamage", spöttelte die deutsche "Bild"-Zeitung im Juli 2012. "Düdelingen ist ein echter Fußball-Zwerg. Aber offenbar noch groß genug, um die von Red Bull gesponserten Salzburg-Stars auszuschalten."

Eine Peinlichkeit der Sonderklasse. Vor allem aber ein Weckruf. Denn heute weiß man: Es war der Startpunkt einer Heldenreise, die Salzburg zu einer der heißesten Nummern des europäischen Kicks aufsteigen ließ. Und zum Hoffnungsträger einer Fußballnation. Die erstaunliche Erfolgsgeschichte des FC Red Bull Salzburg begann mit der Niederlage.

Kein Stein auf dem anderen

"Wir hatten gegen Düdelingen Spieler dabei, die nur auf sich geschaut haben. Die wussten beim Stand von vier zu drei im Rückspiel nicht einmal, dass wir noch ein Tor brauchten, um aufzusteigen." Für Ex-Kultstürmer und TV-Experte Stefan Maierhofer ist Düdelingen immer noch eine der schwärzesten Episoden seiner Karriere. Doch auch der "Major" erkennt mit dem Blick von heute, an welchen entscheidenden Schrauben in den Tagen rund um das Desaster gedreht wurde. "Alles wurde in Frage gestellt und zum Teil radikal verändert. Vor allem in der Transferpolitik blieb kein Stein auf dem anderen."

Statt satter Spieler mit Erfahrung holte der frisch installierte Sportdirektor Ralf Rangnick noch im gleichen Sommer blutjunge Talente, Blue Chips, deren Namen nur den allergrößten Insidern ein Begriff waren. Ein geniales Auge, ein riesiges Netzwerk - der Deutsche schien dank seiner Erfahrungen bei Stationen wie Schalke 04, VfB Stuttgart oder TSG Hoffenheim genau zu wissen, welche Profis in sein neues Konzept passten.

© 2022 Markus Gilliar/Getty Images ERFOLGSGESCHICHTE À LA SALZBURG. Erling Haaland gelang unter Cheftrainer Jesse Marsch in der Saison 2019/20 der Durchbruch. 2020 wechselte er zu Borussia Dortmund

Für aus heutiger Sicht lachhafte sieben Millionen Euro verpflichtete er No-Names wie Kevin Kampl vom wenig mondänen VfR Aalen oder Sadio Mané, der vom französischen Zweitliga-Absteiger FC Metz an die Salzach kam. Als die beiden Mittelfeldgeiger zwei bzw. drei Jahre später den Verein wieder verließen, spülten sie inklusive Weiterverkaufsboni mehr als 40 Millionen Euro in die Kasse. Eine Versechsfachung des Wertes - da bekommen selbst hartgesottene Börsenspekulanten feuchte Augen.

Fluktuation als oberste Prämisse

Ein System war geboren, das im Prinzip bis heute funktioniert und allein in den vergangenen fünf Jahren für ein Transferplus von mehr als 200 Millionen Euro sorgte. Und das bei permanentem Erfolg: Kinder, die heute in der U8 kicken, haben in ihrem Leben noch nie einen anderen Meister erlebt als die Salzburger. Setzt man woanders auf Kontinuität und den Glauben, dass nur eingespielte Mannschaften langfristig siegreich sein können, haben die Salzburger Fluktuation zur obersten Prämisse erklärt. "Wir akzeptieren nicht nur, dass Spieler uns nach ein paar erfolgreichen Jahren wieder verlassen, wir wollen es auch", erklärt Christoph Freund, der drei Jahre lang bei Rangnick in die Lehre ging und 2015 von dem Schwaben den Posten des Sportdirektors übernahm. Und dessen System nicht nur verwaltete, sondern noch schneller und effizienter machte.

»Wir akzeptieren nicht nur, dass Spieler uns nach erfolgreichen Jahren verlassen, wir wollen es auch«

Christoph Freund, Sportdirektor FC Red Bull Salzburg über Fluktuation als Strategie

Die Vorteile liegen auf der Hand: Es werden Einnahmen lukriert, die den Klub finanziell längst auf eigenen Füßen stehen lassen. Im Kader wird Platz geschaffen für neue Talente, die in der zweiten Reihe schon mit den Hufen scharren. Und es werden Role Models produziert, die das Signal aussenden: Seht her, von Wals-Siezenheim aus kann man es in die weite Fußballwelt schaffen. So sagt Ferdinand Oswald, deutsch-österreichischer Tormann in Diensten von Liga-Konkurrent WSG Tirol: "Wenn ich ein junger Spieler wäre und ich hätte Angebote von Bayern München, Real Madrid oder RB Salzburg - ich würde mich für Letzteres entscheiden." Wohl auch, weil Salzburg um die Infrastruktur am Trainingsgelände von manch deutschem Bundesligisten beneidet wird.

Das RB-Netzwerk

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Großklubs in Europa, die direkt oder über Umwege schon bei RBS zugegriffen haben. Der FC Liverpool (Sadio Mané, Naby Keïta, Takumi Minamino), Borussia Dortmund (Erling Haaland), Bayern München (Marcel Sabitzer, Dayot Upamecano), Leicester City (Patson Daka). Und natürlich Rasenballsport Leipzig, wo man, so hat es der europäische Verband UEFA 2017 attestiert, zwar den gleichen Hauptsponsor hat, aber völlig unabhängig von Salzburg agiert. Eine umstrittene Ansicht, die in Fußballkreisen heiß diskutiert wird. Nicht weniger als 18 Spieler und ein Trainer wurden bisher von der Mozartstadt nach Ostdeutschland transferiert. Sicher nicht zum Nachteil für abgebenden und aufnehmenden Klub.

»Bayern München, Real Madrid oder RB Salzburg - ich würde mich für Letzteres entscheiden«

Ferdinand Oswald, WSG-Tirol-Torhüter über seinen Rat an junge Spieler

Überhaupt ist die geniale Vernetzungsstrategie ein riesiges Pfund, mit dem der Serienmeister wuchern kann. Denn in Österreich gibt es mit dem FC Liefering einen Zweitligisten als Kooperationsklub, der die eigentliche Talenteschmiede darstellt. Hier können sich die jungen Wunderkicker aus allen Teilen der Welt an Sprache, Wetter und vor allem den Spielstil im Red-Bull-Zirkus gewöhnen, ehe sie in die ganz große Manege gelassen werden. Ob Xaver Schlager (heute Wolfsburg), Hwang Hee-chan (Wolverhampton), Dominik Szoboszlai (Leipzig) oder der aktuelle Stürmerstar Karim Adeyemi, der im Sommer zu Borussia Dortmund wechseln soll - sie alle haben ihre ersten Gehversuche in Liefering gemacht.

© Markus Berger/FC Red Bull Salzburg STÜRMERSTAR Karim Adeyemi wurde in der Talenteschmiede Liefering geformt

So wie auch Mo Camara aus Mali, gegen die Bayern einer der herausragenden Spieler im defensiven Mittelfeld. Ein "Sechser" modernster Prägung. Er kam 2018 aus einer Fußballakademie in der malischen Hauptstadt Bamako, mit der Red Bull Salzburg seit Jahren kooperiert und die auch schon Stars wie Diadie Samassékou (via Salzburg nach Hoffenheim) und Amadou Haidara (Leipzig) hervorbrachte. Das westafrikanische Land gilt als einer der größten und besten Talentepools weltweit, derzeit stehen sechs Malier in Salzburg und Liefering unter Vertrag. Ein Ende des Flusses ist nicht absehbar.

Jaissle - jung, eloquent, fesch

Liefering ist aber nicht nur für die Kicker, sondern mittlerweile auch für die Trainer die perfekte Rekrutierungsstätte. So wurde der aktuelle Chefcoach Matthias Jaissle nach nur einem halben Jahr (und einem bärenstarken Punkteschnitt von 2,12) im vergangenen Sommer "abgeworben". Jung, eloquent, fesch - der erst 33-Jährige verkörpert perfekt die Attribute, die Red Bull ausstrahlen möchte. Sei es im Marketing für die Dose oder im Fußball, wo der Begriff "RB-Stil" längst zur Folklore gehört. Jaissle lässt genau die Art von spektakulärem Power-Fußball spielen, die schon Ralf Rangnick bei seiner Revolution vor zehn Jahren vorschwebte und die mit ihrer schnörkellosen und brutal effizienten Art derzeit als modern gilt.

Matthias Jaissle
© IMAGO/ActionPictures JUNGE KRAFT. Der 33-jährige Chefcoach Matthias Jaissle führte das Team mit einem Durchschnittsalter von 23,7 Jahren ins Spiel gegen die Bayern

Ein Erfolgsmodell, das längst über die Grenzen Salzburgs hinaus begeistert. Nun wird man in Wien-Hütteldorf oder Graz-Liebenau zwar keinen RB-Fanklub gründen, zu groß ist der Frust, seit Jahren im Titelrennen chancenlos zu sein. Sehr wohl nimmt man dort aber zur Kenntnis, welch wertvollen Beitrag Salzburg für das internationale Renommee Österreichs leistet. Dass man das Nationalteam mit Topspielern wie Nicolas Seiwald, Junior Adamu oder Dauerbrenner Andreas Ulmer versorgt, ist das eine. Fast noch wichtiger sind die Punkte, die für die UEFA-Fünfjahreswertung gesammelt werden, die über die Anzahl der Startplätze in den Europacup-Bewerben entscheidet. Dort hat es Österreich mittlerweile auf Platz acht der besten Ligen Europas geschafft, ein Allzeithoch mit 38,450 Punkten - fast die Hälfte der gesammelten Zähler geht auf das Konto der roten Bullen, die es heuer als erste österreichische Mannschaft überhaupt geschafft haben, die K.-o.-Phase der Königsklasse zu erreichen. Und das als jüngste Mannschaft des gesamten Bewerbs. Das Durchschnittsalter gegen die Bayern betrug zarte 23,7 Jahre, die Deutschen waren knapp fünf Jahre älter.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 9/2022 erschienen.