Bilgeri: "Künstler zu sein, ist
mein täglicher Adrenalinpush"

Der Vorarlberger Rockprofessor, Autor und Filmemacher Reinhold Bilgeri wird 70. Ein Gespräch über Rebellion, Liebe, Selbstverwirklichung und den Tod

von Menschen - Bilgeri: "Künstler zu sein, ist
mein täglicher Adrenalinpush" © Bild: News/Matt Observe

Erst schrieb er als Rockstar österreichische Musikgeschichte, dann ließ er sich als Bestsellerautor feiern und sattelte zum Filmregisseur um. Wenn Reinhold Bilgeri eine Vision hat, wird sie in die Tat umgesetzt, koste es, was es wolle.

Er rebellierte gegen seine Eltern, um Rockstar zu werden, flog aus dem Internat und gründete mit seinem Sandkastenfreund, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, seine erste Band. Mit dem Lied "Oho Vorarlberg" konnte das Duo 1973 beachtliche Erfolge verbuchen. Später tourte der Vorarlberger in engen Hosen als Anheizer für Deep Purple, Whitesnake und Status Quo durch die Lande. Am Beginn seiner Solokarriere stürmte er die Charts mit dem Song "Video Life". Mit 25 Tophits wie "Love is Free" oder "Some Girls are Ladies" und mehr als drei Millionen verkauften Tonträgern zählte er bald zu den internationalen Aushängeschildern der heimischen Popmusik. Es sollte noch Jahre dauern, bis Bilgeri 2005 als erfolgreicher Drehbuchautor ("Der Atem des Himmels") und Filmregisseur ("Erik &Erika") reüssieren konnte.

Dieser Tage feiert Reinhold Bilgeri den Siebziger. Doch wer ihn kennt, der weiß, dass ihm Nichtstun absolut nicht liegt. Und so fegt die Vorarlberger Raukehle rund um sein Jubiläum quer durch Österreich und gibt eine Rockshow der Extraklasse. Im Gespräch mit NEWS zieht er Bilanz, schildert, weshalb er das Leben des großen Seefahrers Magellan verfilmen möchte, und gibt Einblicke in sein neues Buch, das von den Fluchtwegen der Nazibonzen handelt.

In zwei Wochen werden Sie 70. Zeit für den Rockprofessor, Bilanz zu ziehen?
Ich bin einer aus der glücklichsten Generation, die jemals auf diesem Planeten gelebt hat. Bin ein Dream Fulfiller, weil ich meine Visionen, die ich schon als Teenager hatte, realisiert habe. Was ich konnte, das war der Umgang mit Wort, Ton und Bild. Und so wurde ich Rockstar, Schriftsteller und Filmemacher, mit allen Höhen und Tiefen. Der glücklichste Moment in meinem Leben war sicher die Geburt meiner Tochter Laura, die ein Wunschkind war. Mein Album "Forever in Love", das ich 1990 produziert habe, war Laura gewidmet, obwohl sie erst Jahre später zur Welt kam.

Der Rock 'n'Roller und Womanizer wurde gezähmt
Früher war ich ein Schmetterling. Aber seit ich Beatrix kenne, bin ich treu. Das ist eine Lebensphilosophie wie beim Rock 'n'Roll. Es war "Love at first Sight". Beatrix und ich hatten von Anfang an eine unglaubliche Harmonie. Wir haben denselben Humor, ähnliche ästhetische Empfindungen und politische Ansichten.

Ihr Tourmotto lautet "70 and still rocking" - ein Abschied von der Bühne?
Mit meiner Band ist es eine Abschiedstournee, in Clubs werde ich sicher noch auftreten.

Gemeinsam mit Ihrem Freund, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier?
Nein, mit dem Mike trete ich nur zu Weihnachten gemeinsam auf, um die Krebshilfe Vorarlberg zu unterstützen.

Eine dicke Freundschaft seit Kindheit an
Das kann man sagen. Der Micky und ich haben gemeinsam im Sandkasten gespielt. Wir wollten unsere Träume verwirklichen, haben uns gegen hierarchische Systeme aufgelehnt. In den Internaten haben wir Prügelstrafe bezogen wegen subversiver Unterwanderung der Autorität und sind dann rausgeflogen, ist ja klar. Er war bei den Kapuzinern, ich bei den Missionaren vom Kostbaren Blute Jesu. Ich hätte als Missionar nach Brasilien gehen sollen. Das hat leider nicht geklappt, weil mir der Rock 'n'Roll und die Frauen dazwischengekommen sind. Und so gründeten wir mit 15 unsere erste Rockband, "The Blacks".

Als Duo Bilgeri & Köhlmeier seid ihr mit Liedern wie "Oho Vorarlberg" oder "Strumpfbandgürtelblues" über die Grenzen des Ländle hinaus bekannt geworden. Trotzdem musste Ihre Musikerkarriere noch warten.
In unserer Familie waren alle Lehrer, Professoren und Doktoren. Meine Eltern wollen, dass auch ich eine akademische Laufbahn anstrebe. Ich habe die Ausbildung abgeschlossen, wusste aber schon damals, dass ich mein Leben nicht im Korsett eines Lehrer verbringen würde.

Weshalb genau?
Weil mich Vorschriften rasend gemacht haben, deshalb habe ich rebelliert. Egal, wo man mich hineingesteckt hat, ob zu den Pfadfindern oder den Ministranten, ich bin hinausgeflogen. Das einzige, wo sie mich nicht rausgeschmissen haben, war das Bundesheer. Dafür bin ich oft im Bunker gesessen.

»Ich wollte mich in Unwägbarkeiten stürzen, ein abenteuerliches Künstlerleben führen«

Wie ging es dann weiter?
Ich habe fertig studiert, das Lehramt gemacht und wurde Professor am Gymnasium, damit die Eltern ihren Frieden hatten. Die Musik hat mich nie losgelassen. Ich wollte mich in Unwägbarkeiten stürzen, ein abenteuerliches Künstlerleben führen. Das ist für mich Leben und auch heute mein täglicher Adrenalinpush.

Was gab den Ausschlag, den Lehrberuf zu schmeißen?
Ich habe damals bei Superstars wie Status Quo, der britischen Jazzrockband Colosseum und Whitesnake, den Nachfolgern von Deep Purple, im Vorprogramm gespielt. Deren Bandleader, David Coverdale, meinte: Das ist nicht dein Ernst, dass du wieder zurück in die Schule gehst, du bist ein super Musiker. Die endgültige Entscheidung traf ich nach einem Auftritt von The Tubes in der Wiener Stadthalle. Falco-Entdecker und Musikproduzent Robert Ponger wartete backstage auf mich. Er sagte, ich will mit dir arbeiten, du musst Profi werden. Ich dachte, o. k., that's it! Bin nach dem Gig nach Vorarlberg gefahren und habe die Weichen gestellt.

Und die Eltern sind aus den Wolken gefallen. Ihr Vater hat ja Zeit seines Lebens nie ein Konzert von Ihnen besucht. Hat Sie das gekränkt?
Absolut! Vater war immer der Meinung, Musiker ist kein seriöser Beruf. Er hat mich mit Ignoranz bestraft. Trotzdem hat er mich auf seine Art geliebt.

Sie waren auch im Gegensatz zu den Geschwistern renitent.
Stimmt. Ich war nicht zu bändigen. Ich bin schon im Alter von drei Jahren mit dem Dreiradler zum Bahnhof abgehaut, weil ich wusste, da geht's in die weite Welt. Die Eltern hatten ein irres Autoritätsproblem mit mir. Der Vater hat ab und zu den Gürtel aus der Hose gezogen, um mich zu verprügeln, das war ganz normal. Trotzdem hatte ich eine glückliche Kindheit, bin in einem warmen Nest aufgewachsen.

»Mein Vater zollte mir Respekt, hat sich aber nie mit meiner Berufswahl versöhnt«

Als Chartstürmer mit "Video Life" und späteren Erfolgen wie "Love Is Free" oder "Some Girls are Ladies" haben Sie die Eltern eines Besseren belehrt.
Ich hab's versucht. Habe dem Vater gesagt, dass ich jetzt mit einer Autogrammstunde mehr verdiene als er im Monat. Er hat eingesehen, dass man auch als freischaffender Künstler reüssieren kann. Er zollte mir Respekt, hat sich aber nie mit meiner Berufswahl versöhnt.

Auch nicht, als Sie als Bestsellerautor und als Filmregisseur mit "Der Atem des Himmels" gefeiert wurden?
Das hat Vater nicht mehr erlebt. Die Mama war stolz auf mich. Es war ja zum Teil auch ihre Geschichte, die ins Drehbuch eingeflossen ist. Nach der Weltpremiere des Films in der Bregenzer Festspiel-Arena sagte sie überwältigt zu mir: "Bua, du hast Recht gehabt. Das ist deines, das bist du!"

Für die Realisierung dieses Filmes haben Sie im Alter von 59 alles riskiert
Ohne Filmförderung ging es nicht anders. Wir haben unser Haus verpfändet, alles in die Waagschale geworfen. Es sind aber auch Vorarlberger und Liechtensteiner Unternehmer in das Wahnsinnsprojekt eingestiegen. Der Film hat bereits weltweit reüssiert. Mittlerweile habe ich die Kreditschulden zurückgezahlt und mit dem zweiten Film, "Erik & Erika", bewiesen, dass ich auch als Filmemacher tauge.

Welche Inhalte hat Ihr nächstes Drehbuch?
Mein großer Traum ist die Verfilmung des Lebens des Weltumseglers Magellan. Er ist mein großes Vorbild, weil er wie ich Unmögliches vorhatte und es immer wieder geschafft hat. Ich hoffe, dass ich Magellan bis 2022 als Semidoku beim Universum- History-Channel bringen kann.

»Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie die Rechtspopulisten Trump, Bolsonaro, Johnson oder Duterte an Macht gewinnen«

Sie melden sich auch gerne politisch zu Wort, waren mit Vranitzky wahlkämpfen und haben mit dem Videoclip "Silver Bell" die USA als Kriegshetzer dargestellt. Was Neues in Planung?
Ich schreibe an einem Roman über die Fluchtwege der Nazibonzen nach 1945, die der Vatikan bereitgestellt hat. Und es geht schon wieder los! Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie die Rechtspopulisten Trump, Bolsonaro, Johnson oder Duterte an Macht gewinnen. Die Leute lassen sich wieder indoktrinieren. Deshalb bringe ich mich politisch ein. Zur Zeit fühle ich mich zwar als heimatloser Sozialdemokrat, aber man darf nie vergessen, dass die Sozialdemokraten die einzigen waren, die sich nicht zu Steigbügelhaltern für Hitler haben machen lassen. Ich bin jedenfalls froh, dass die Grünen in der Regierung mit an Bord sind, ein bissel relativieren und auf den Herrn Kurz aufpassen.

Wie schaut es mit einer Autobiografie aus?
Biografie sind meine Spuren, ein paar Lieder, Romane, Filme und eine glückliche Liebe, die hinaus ins All sich verflüchtigt, wenn wir tot sind. Und der liebe Tod ist mit diesem Ring immer bei mir. Da kann ich mich täglich an meine Zukunft erinnern. Ich habe den Tod jeden Tag im Kopf, aber nicht aus Angst, eher als Kumpel. Aber noch kriegst mich nicht!

ZUR PERSON: Reinhold Bilgeri Österreichs Rockstar, Bestsellerautor und Filmregisseur ("Der Atem des Himmels","Erik &Erika) zählt mit 25 Tophits zu den Ausshängeschildern der heimischen Popmusik. Bilgeri ist mit Model und Schauspielerin Beatrix verheiratet. Die gemeinsame Tochter Laura feiert bereits Erfolge als Schauspielerin in Hollywood

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (11/2020) erschienen.