Kurz, Kickl, Kroatien, Kreide und Krawatte

Hier "Sommergespräche", dort "Kanzlernacht". Während auf Puls 4 Sebastian Kurz antwortete, wurden bei BILD TV Armin Laschet und Armin Scholz gegrillt. Im ORF nahm Herbert Kickl dann zumindest kleidungstechnisch Maß an den Kandidaten.

von Medien & Menschen - Kurz, Kickl, Kroatien, Kreide und Krawatte © Bild: Gleissfoto

Verkehrte Klischees: Was lange den Blauen vorbehalten schien, erhob Sebastian Kurz auf Kanzlermaß. Er war auch patzig zu Interviewerin Manuela Raidl beim nachgetragenen "Sommergespräch" auf Puls 4. FPÖ-Chef Herbert Kickl hingegen aß für den ORF-Talk mit Lou Lorenz-Dittlbacher Kreide und trug Krawatte. In Fuchsia, groß geknotet. Am Vorabend hatten es Armin Laschet und Olaf Scholz noch kleiner geknüpft gegeben, beim Start von BILD TV parallel zum Kurz-Gespräch. Beide erwägten oder wagten nicht, die Fragesteller Paul Ronzheimer und Kai Weise so anzugehen wie der Kanzler die Raidl.

Passend dazu

Das ist aber eher eine Frage des Stils als ein Gebot für Kandidaten. Sie hatten am ersten Sendetag des TV-Angebots von Europas größtem Boulevard-Titel nur 110.000 bzw. 90.000 Live-Seher in Deutschland, Kurz lockte zugleich bis zu 227.000 Zuschauer in Österreich. Das ist zwar ein großer Erfolg für Puls 4, aber nur ein kleiner Stich für den ORF. Dort verzeichnete Kickl im Schnitt eine Reichweite von 849.000, das zweitbeste Ergebnis eines FPÖ-Gastes. In 40 Jahren "Sommergespräche" gab es lediglich drei siebenstellige Seherzahlen - 2015 für Heinz-Christian Strache und vor den Nationalratswahlen 2017 und 2019 für Kurz. Und das will er am 6. September zum Schulstart Ost wohl wieder schaffen.

Unter diesem Gesichtspunkt hat Kurz vielleicht experimentiert. Unnötig pampig, um die Neugier auf das Interview mit Lorenz-Dittlbacher zu steigern? Im Gegenzug hat allerdings Kickl schon bewiesen, dass die sanfte Tour sogar mit gewöhnungsbedürftiger Umhalsung zumindest TV-Marktanteile bringt. Das hatte zwar keine Kanzler-Kragenweite, ist aber eine Herausforderer-Quote. 2018 blieb Kurz darunter.

Anders als die harten Interviews in Deutschland vor der Wahl haben die traditionellen Sommergespräche in Österreich kaum inhaltliche Relevanz. Der Kanzler hat durch seine krankheits-und urlaubsbedingte Nachterminisierung auf Puls 4 bloß versucht, Kickl jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen. Indem er bis zur Aufzeichnung des Talks zu Afghanistan schwieg, um dann seine harte Linie schon Sonntagfrüh zu verkünden und sie Montagmorgen von Innenminister Karl Nehammer verstärken zu lassen. Dessen Vorgänger aber ging abends nicht ans Eingemachte sondern umgarnte die Oberfläche. Wie Kickl sich hier präsentierte, das war geradezu der Dr. Jekyll zum Mr. Hyde, dem brachialen Agitator vom Heldenplatz. Er sondierte vor größtmöglichem Publikum die allfällige Wählbarkeitserweiterung seiner Partei. Da es rechts von ihr in Österreich nichts Erlaubtes gibt, zielt der Hardliner in die Mitte. Kurz aber blinkt unterdessen öfter nach rechts, um die dort 2017 und 2019 gewonnenen Stimmen für eine angeblich neue ÖVP zu behalten, anstatt sie wieder an FPÖ und Nichtwählerschaft zu verlieren.

Die beste Arena für diese Strategiespiele sind weder der Nationalrat noch der politische Alltag. Denn Imagefaktoren entscheiden das Match eher als Inhaltsvariationen. Die dazu notwendigen Klischees von Politikern lassen sich am besten durch bewegte Bilder erzeugen - und verändern. In Österreich gibt es dazu kaum eine gemütlichere Möglichkeit als die "Sommergespräche" des ORF mit ihrem Charakter eines ausführlichen Personality-Talks vor bestenfalls Millionenpublikum. Beate Meinl-Reisinger und Werner Kogler haben das für Neos und Grüne souverän bewältigt. Herbert Kickls Auftritt aber war eine Ansage für die letzten großen Montag-Talks mit Pamela Rendi-Wagner und Sebastian Kurz. Sie und die SPÖ lassen ihm und der ÖVP zu viel Platz in der Mitte. So kann der Kanzler erproben, ob Ernst Jandls "lichtung" stimmt: "lechts und rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum!" Das letzte "Sommergespräch" wird zum Test, ob "bürkis" und "tlau" die nächsten Partei-Modefarben sind.