Urlaub auf Krankenschein

Drei Wochen Kuraufenthalt können die Gesundheit verbessern. Andere - und weit weniger teure - Therapien schaffen das aber genauso gut.

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Kur - Urlaub auf Krankenschein

Allein das Wort "Kurhotel" setzt das Kopfkino in Gang. Man denkt an eine Vier-Sterne-Residenz mit Designermöbeln, an Fangopackungen und Ayurveda-Massagen, an ein Gourmet-Dinner und Plantschen im angenehm warmen Wasser. Und damit eigentlich an das aus dem eigenen Geldbörsel bezahlte Wellness-Wochenende, und nicht an den klassischen - von der Sozialversicherung finanzierten - Kuraufenthalt.

Letzteres ist nämlich im Normalfall weit weniger romantisch -und bei Weitem nicht so angenehm. Statt Designerhotel wartet in den meisten Fällen ein Zimmer in einem Quartier im 70er-Jahre-Chic auf den Patienten. Statt Fango und Ayurveda wird Physiotherapie mit Circle-Training angeboten. Das Abendessen ist magenschonend und wenig geschmacksintensiv zubereitet. Und geschwommen wird im 20 Grad kalten Wettkampfbecken.

Kein Pflegefall

Immerhin soll ein solcher Kuraufenthalt, wenn er von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) als zuständigem Sozialversicherungsträger für alle Unselbstständigen bewilligt wird, ja nicht der Erholung, sondern der Gesundheitsvorsorge dienen. "Bei Berufstätigen ist die Erhaltung der Leistungsfähigkeit, bei Pensionisten die Vermeidung oder Reduzierung von Pflegebedürftigkeit das Ziel", lautet das offizielle Wording der PVA. Das kommt auch bei den Versicherungsnehmern gut an: 129.230 Menschen beantragten im Vorjahr eine Kur, 91.951 haben eine solche auch tatsächlich bewilligt bekommen.

"Die Wirkung der Spa-Medizin als Gesundheitsförderung ist mehr als fraglich", sagt dazu Gesundheitsökonom Ernest G. Pichlbauer: "Und selbst wenn sie etwas bringt, ist sie viel zu teuer - vor allem im Vergleich zu anderen Möglichkeiten im Gesundheitswesen."

Dass Kuraufenthalte tatsächlich nicht besonders günstig sind, belegen die Zahlen, die der Hauptverband der Sozialversicherungsträger vorlegt: So haben 120.650 Versicherte aller Kassen, die 2015 insgesamt 2,5 Millionen Tage auf Kur waren, Kosten von 218,57 Millionen Euro verursacht. Bei solchen Summen sind die von den Patienten dazu zu zahlenden Kostenbeteiligungen -je nach Einkommen zwischen 7,97 und 19,35 Euro pro Tag -nahezu vernachlässigbar.

Kein Wunder also, wenn der frühere Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, 2015 im Magazin "Profil" davon sprach, "das Konzept der Kur vom subventionierten Quasiurlaub" wegzubringen.

An der Situation hat sich seit damals wenig geändert. Lediglich die Menschen, die auf Kur gehen wollen, werden immer weniger - im Schnitt 1.000 pro Jahr. Das hat auch damit zu tun, dass sich viele davor scheuen, dem Arbeitgeber mitzuteilen, dass sie weitere drei Wochen am Stück ausfallen. Ein Kuraufenthalt zählt zwar als Krankenstand und muss daher vom Vorgesetzten nicht befürwortet werden, ist aber natürlich planbarer als eine Influenza.

"Wenn ein Kuraufenthalt genehmigt ist, hat der Versicherte neun bis zwölf Monate Zeit, diesen anzutreten", sagt Beatrix Böhm, Leiterin des Kundendienstes bei der PVA. In der Praxis bekommt der Versicherte vom Kurbetrieb jedoch einen Termin, der zumeist nur knapp einen Monat in der Zukunft liegt. Passt dieser nicht in den Zeitplan des Patienten, heißt es erst einmal warten. Auch aus diesem Grund stimmen viele die Gesundheitsmaßnahme mit der Auftragslage des Unternehmens ab. "Ich war bereits vor vier Jahren einmal auf Kur und heuer auch wieder", erzählt der 45-jährige Facharbeiter Gernot (Name anonymisiert):"2016 hätte ich allerdings nicht gehen können, da war im Betrieb viel zu viel los." Experte Pichlbauer spricht ebenfalls davon, dass sich nur noch jene "in großen Unternehmen mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad" oder "mit äußerst sicherem Job" überhaupt leisten könnten, regelmäßig auf Kur zu gehen.

Viele Wehwehchen

So häufig wie früher geht das ohnehin nicht mehr. Mehr als zwei Kuraufenthalte innerhalb von fünf Kalenderjahren werden nur "bei besonderer medizinischer Begründung" gewährt, sagt PVA-Abteilungsleiterin Böhm. Anders ist die Situation natürlich bei chronisch Kranken, die regelmäßige Therapien benötigen, oder auch Burn-out-Patienten, deren Kurdauer zudem mindestens sechs Wochen beträgt."Besteht eine psychische Erkrankung, wird jedenfalls eine Maßnahme der Rehabilitation gewährt", erläutert Böhm die kundenfreundliche Administrierung bei diesen Spezialfällen.

Diese Behandlungen stellen allerdings nur einen kleinen einstelligen Prozentsatz in der Gesamtmenge dar. 96 Prozent aller Kuraufenthalte sind hingegen orthopädisch bedingt, so die PVA-Angestellte: "Der häufigste Grund für Kuraufenthalte sind zu 63 Prozent Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens." Wehwehchen also, die jeder kennt, der lange vor dem Bildschirm sitzt, viel steht oder schwer heben muss. Nahezu alle Menschen also.

Und auch wenn eine Kur als "freiwillige Leistung des Sozialversicherungsträgers ohne Rechtsanspruch" zu betrachten ist, sehen manche Versicherten das anders. "Ich habe immer eingezahlt, also steht mir diese Leistung auch zu", sagt die 64-jährige Pensionistin Erna (Name geändert). Ob die vielen Behandlungen im Laufe der Jahre ihre Beschwerden gebessert haben?"Während der Kur ging es mir fast immer besser, kurz danach auch noch. Aber längerfristig hat gar nichts geholfen." Das ist allerdings kein Grund für sie, bei nächster Gelegenheit nicht wieder eine Kur zu beantragen.

Wenige Kurschatten

Kurgäste sind insgesamt eine ganz besondere Klientel. Wer jetzt auf Kur geht, hat ziemlich sicher bereits ein gewisses Alter erreicht. Denn weniger als zwei Prozent sind unter 35, dafür aber fast 80 Prozent über 51 Jahre alt. Frauen haben hier mit 57 Prozent die absolute Mehrheit. Der berühmte Kurschatten müsste demnach eigentlich männlich sein.

Wenn es ihn überhaupt noch gibt. Im Schnitt 22 Tage von der Familie getrennt zu sein, fällt den meisten Österreichern offenbar immer schwerer. Waren die Ehegatten früher für maximal ein Wochenende nachgereist und haben sich dafür extra ein Zimmer in einer Pension im Kurort genommen, kommen heute immer mehr gleich im Doppelpack am Kurort an. Diesem Umstand tragen einige Kuranstalten bereits Rechnung, indem sie "Partner-Packages" anbieten. Für durchschnittlich 60 Euro am Tag gibt es eine Seite des Ehebettes im Patientenzimmer samt Vollpension. Behandlungen sind im Preis allerdings nicht inkludiert.

Immerhin ist es auf diese Weise auch möglich, zumindest ein bisschen dem Traum vom Kurhotel nachzuhängen. Denn selbst in den einsamsten Gegenden können Heurige nach wie vor gut davon leben, dass sie den vom salzlosen Essen der Kuranstalten ausgehungerten sowie nach Alkohol lechzenden Patienten genau das servieren - und ihnen ganz nebenbei noch etwas Unterhaltung bieten.

"Wenn wir ehrlich sind, ist so eine Kur ziemlich fad", sagt Gernot: "Und die anderen Kurgästen sind selten bereit, die wenige Zeit, die zwischen den Behandlungen überhaupt bleibt, miteinander zu verbringen. Treffe ich also nicht einen Bekannten dort, ist es eine schreckliche Zeit."