"Krebs wird nie ganz heilbar sein"

Genetiker Markus Hengstschläger über zukünftige Chancen der Krebsbehandlung

Genetiker Markus Hengstschläger über zukünftige Chancen der Krebsbehandlung, den Nutzen genetischer Untersuchungen bei vererbbaren Krankheiten und darüber, warum er Gentests aus dem Internet so skeptisch gegenübersteht.

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Gesundheit - "Krebs wird nie ganz heilbar sein"

Krebs ist in Österreich die zweithäufigste Todesursache. Eine Frage, die sich daher viele Menschen stellen: Wird Krebs jemals heilbar sein?
Nein, ich glaube nicht, dass Krebs in Zukunft in dem Sinne geheilt werden kann, dass man ihn ganz los ist. Ich gehe aber davon aus, dass er irgendwann einmal gut behandelbar sein wird. So, wie es auch bei HIV-Patienten jetzt schon ist. Jemand hat dann zwar die Diagnose Krebs, aber er kann damit lange und mit relativ hoher Lebensqualität leben. Es gibt ja bereits jetzt sehr gut behandelbare Krebserkrankungen, wie zum Beispiel manche Leukämieerkrankungen.

Was ist dafür entscheidend, ob ein Tumor gut oder schlecht behandelbar ist?
Der Clou bei der gesamten Behandlung sind Prophylaxe und Früherkennung. Was hier schon alles passiert, ist toll. Denken wir an den Haut-, den Brust-und den Darmkrebs oder den PSA-Test beim Prostatakarzinom. Das sind alles Formen, bei denen wirklich viel möglich ist, wenn die Krankheit früh erkannt wird. Ich bin überhaupt davon überzeugt, dass wir noch mehr aufklären und informieren müssen. Die Menschen müssen einfach regelmäßig zur Früherkennung gehen. Denn dann ist auch eine ganz andere Behandlung möglich. Ein nicht metastasierender Tumor ist ja etwas ganz anderes, als wenn sich bereits im ganzen Körper Metastasen befinden.

Wie oft sollte man denn Ihrer Meinung nach zum Arzt zu gehen?
Das hängt unter anderem von Alter und Geschlecht ab. Auf der Homepage der österreichischen Krebshilfe ist sehr genau beschrieben, wer wie oft gehen sollte.

Markus Hengstschläger
© Michael Mazohl

Im Blut können mittlerweile sogenannte Tumormarker nachgewiesen werden. Wie sinnvoll ist es, diese automatisch im Zuge der Gesundenuntersuchung zu überprüfen?
Die DNA der Tumorzellen ist sehr früh, oft sogar so früh, dass sie noch gar nicht als Tumor erkennbar sind, im Blut nachweisbar. Das ermöglicht es im besten Fall, einen Tumor genetisch nachzuweisen, noch bevor er etwa im Ultraschall sichtbar ist. Vorbeugend bei jedem Menschen alle Tumormarker zu überprüfen, macht aber keinen Sinn. Denn es gibt immer wieder falsch positive Ergebnisse, und das würde zu sehr viel Verunsicherung führen. Zielführender ist es, bei einem Verdacht oder bei Risikogruppen diese Tumormarker zu bestimmen.

Wie stark hängt es von unseren Genen ab, ob wir an Krebs erkranken oder nicht?
Es gibt prinzipiell unterschiedliche Gruppen von Krebs: jene, die familiär vererbt sind, und spontan auftretende, bei denen oft auch Umweltfaktoren eine große Rolle spielen. Wir -das ist das Institut für Medizinische Genetik der Medizinischen Universität Wien -behandeln keine Krebspatienten, sondern wir haben uns auf die Erforschung jener Krebsformen spezialisiert, die familiär vererbt werden. Zu wissen, ob man eine solche Mutation in sich trägt, die zu einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Krebs führen wird, beeinflusst Diagnose und Therapie. So wie etwa bei Angelina Jolie. In ihrer Familie treten bestimmte Veränderungen im BRCA1-Gen auf. Jeder von uns hat dieses Gen. Doch wer eine Mutation in diesem Gen hat, hat ein viel höheres Risiko, schon früh an Brustkrebs zu erkranken.

Was kann ich machen, wenn in meiner Familie eine Tumorart gehäuft vorkommt?
Dann können Sie zu uns in die genetische Beratung kommen. Sie brauchen dazu nur die E-Card und eine Überweisung. Wir klären dann in einem Gespräch, ob ein Gentest sinnvoll ist oder nicht. Anschließend kann eine entsprechende Beratung an einer Klinik stattfinden. Das Ziel solcher Beratung ist aber nicht, zu sagen: Lassen Sie sich das Brustgewebe entfernen. Vielmehr ist das Ziel, jemanden so gut und umfassend zu beraten, dass er in der Lage ist, Entscheidungen über das weitere Vorgehen ganz autonom zu treffen. Es liegt dann beim Einzelnen: Will ich gar nichts machen, gehe ich engmaschiger zur Prophylaxe oder lasse ich mir das Gewebe vorbeugend entfernen.

»Ein Gentest macht Sinn, wenn sich in einer Familie eine Krankheit häuft«

Wer sind die Risikogruppen, die eine solche genetische Beratung in Anspruch nehmen sollten?
Eine genetische Beratung - und das betrifft nicht nur Krebs, sondern auch andere Erkrankungen - ist immer dann sinnvoll, wenn in einer Familie eine Erkrankung gehäuft auftritt, unabhängig davon, ob die Ursache ausschließlich in den Genen liegt oder Umweltfaktoren auch eine zusätzliche Rolle spielen. Eine Krankheit, bei der ein Test einen Sinn hat, ist neben Brustkrebs und dem bösartigen Augentumor Retinoblastom zum Beispiel auch die zystische Fibrose. Insgesamt betreiben wir Diagnostik für vielleicht etwa 5.000 genetische Erkrankungen, worunter auch einige vererbte Tumorsyndrome sind.

Wie häufig werden solche Gentests überhaupt durchgeführt?
Sehr oft. Wir wollen ja in den Genen des Menschen lesen, um zum Vorteil des Individuums zu gereichen. Jeder in Österreich geborene Mensch wird im Zuge des Neugeborenenscreenings auf genetische Erkrankungen, wie etwa die Phenylketonurie, untersucht. Das alleine waren im Jahr 2016 mehr als 88.000 Tests auf genetische Erkrankungen.

Beim Neugeborenenscreening wird aber niemand auf das Krebsrisiko untersucht.
Nein, das Krebsrisiko ist da nicht dabei. Was untersucht wird, ist in jedem Land verschieden. Auch in Österreich gibt es immer wieder Diskussionen, was in dieses Screening inkludiert werden soll und was nicht. Die Sinnhaftigkeit hängt aber immer von mehreren Parametern ab: Die Screeningmethoden sollten natürlich sicher sein. Die Aussagekraft muss ja oder nein sein und nicht irgendein Risiko ergeben, von dem dann niemand genau weiß, was es bedeutet. Außerdem sollte die Erkrankung häufig und natürlich therapierbar oder im besten Fall prophylaktisch behandelbar sein. Denn wenn das Wissen ohnehin nichts ändert: Wozu ist es gut? Es kostet dann nur Geld und macht Sorgen.

Im Internet werden mittlerweile Tests angeboten, mit denen jeder sein Risiko für verschiedene Erkrankungen - vom Herzinfarkt über Alzheimer bis hin zu Krebserkrankungen - selbst bestimmen kann.
Im österreichischen Gentechnikgesetz ist verankert, dass jede Art von genetischer Untersuchung nur nach einer genetischen Beratung stattfinden darf. Diese Tests aus dem Internet sind daher sehr umstritten. Aber sie werden weltweit, auch in Österreich, sehr häufig in Anspruch genommen. Es gibt viele Menschen, die mit Ordnern voller Testergebnisse herumlaufen. Irgendwann kommen sie dann zu uns in die genetische Beratung und sagen: "Ich habe diese Seite im Internet gefunden. Das hat so cool ausgeschaut. Daher habe ich eine Probe meiner Mundschleimhaut eingeschickt, und jetzt steht da, dass ich ein erhöhtes Risiko habe, an Alzheimer und an Bauchspeicheldrüsenkrebs zu erkranken. Was heißt denn das?"

Und was heißt es?
Das weiß ich auch nicht. Die Wahrscheinlichkeitsangaben sind schon richtig. Aber was macht man dann damit? Bei multifaktoriellen Erkrankungen, also bei denen die Gene zwar eine gewisse Rolle spielen, aber nicht alleine ausschlaggebend sind, machen solche Tests sehr oft wenig Sinn. Denn das ist ja keine Jaoder-Nein-Geschichte. Daher sage ich bei solchen genetischen Tests: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.

»Bei Gentests aus dem Internet sage ich: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht«

Zurück zu Krebs: Gibt es etwas, das Sie niemals machen oder essen würden, weil Sie wissen, es kann Krebs auslösen?
Rauchen. Die stärkste Korrelation besteht zwischen Krebserkrankungen und Rauchen. Beziehungsweise drehe ich den Spieß einfach um und frage: Gibt es überhaupt Krebserkrankungen, die bei Rauchern nicht häufiger sind als bei Nichtrauchern? Ich glaube, es gibt kaum welche. Dann spielen eine ganze Reihe von soft-sozialen Faktoren ebenfalls eine Rolle: Alkohol und Übergewicht etwa. Aber Krebserkrankungen können einfach auch zufällig und spontan auftreten. Das ist die schlechte Nachricht: Auch Menschen, die sehr gesund leben und sich an alle Empfehlungen halten, können an Krebs erkranken.

Wie oft tritt denn so eine spontane Mutation, die zu Krebs führen kann, im Körper auf?
Täglich. Denn manche Zellen teilen sich sehr häufig. Und bei dieser normalen DNA-Verdopplung passieren Fehler. Das ist nun einmal so. Viele dieser Fehler müssen gar nicht korrigiert werden, weil sie keine Auswirkung haben oder weil die Mutation nicht die Funktion des Proteins ändert. Jene Veränderungen mit Konsequenzen muss unser Körper aber korrigieren. Gelingt das nicht, kann die Zelle entarten. Allerdings besagt das Krebsmodell, dass eine Mutation alleine nie ausreicht, um einen Tumor zu erzeugen. Vielmehr ist immer eine Anhäufung von mehreren Mutationen ausschlaggebend. Je älter ein Mensch wird, desto wahrscheinlicher ist, dass so eine Serie dann tatsächlich auftritt. Daher sind Krebserkrankungen bei älteren Menschen viel häufiger als bei jungen.

Markus Hengstschläger
© Michael Mazohl

Wo sehen Sie denn die größten Chancen für neue Krebstherapien in nächster Zeit?
Was sicher kommen wird, ist die Gentherapie, auch Genom Editing genannt. Die CRISPR/Cas9-Methode wurde von Emmanuelle Charpentier, die unter anderem lange Zeit in Wien am Biocenter geforscht hat, und Jennifer Doudna entdeckt. Wir in der Szene warten ja schon darauf, dass sie für diese Entdeckung bald den Nobelpreis bekommen.

Wie funktioniert diese Methode?
Eine Zelle hat einen Zellkern, und in dieser runden Kugel sind 46 DNA-Moleküle, die Chromosomen genannt werden. Hier ist unsere gesamte genetische Information gespeichert. Auf diesen Molekülen können Veränderungen auftreten, die schließlich zu Krebs führen. Das Ziel dieser Methode ist es, den Ursprungszustand wiederherzustellen. Es wird im Labor ein Proteinkomplex erzeugt, der ein Signal hat und genau weiß, welche Stelle er ausbessern soll. Dieser wird dann einfach injiziert und sucht unsere gesamte DNA ab. Hat er die defekte Stelle schließlich gefunden, schneidet er sie heraus und ersetzt sie durch die ursprüngliche DNA-Sequenz.

Die Zelle ist dann also wieder repariert und der Tumor kann nicht mehr wachsen?
Der Tumor muss dann noch mit Chemotherapeutika oder anderen Therapien behandelt werden, aber der Fehler wurde ausgebessert und der Tumor sollte nicht wiederkommen. Allerdings wird auch diese Methode nicht bei allen Krebsarten anwendbar sein.

Wie lange wird es noch dauern, bis sie bei Patienten zum Einsatz kommt?
In den nächsten zehn Jahren wird die ein oder andere Therapie kommen, vorher aber wahrscheinlich nicht.

Gibt es schon erste Ergebnisse oder Versuche, die zeigen, wie erfolgreich diese Therapie sein wird?
Es gibt bereits erste klinische Studien. Die sind aber noch ganz am Anfang. Wie sie ausgehen werden, kann noch niemand sagen.