Gratis Öffis: Wäre das
auch in Österreich realistisch?

In Deutschland erwägt die Bundesregierung, in einigen Städten den kostenlosen Nahverkehr für alle zu testen, um die Luftqualität in den Städten zu verbessern. Wäre das auch in Österreich realistisch?

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Verkehr - Gratis Öffis: Wäre das
auch in Österreich realistisch?

Neben Deutschland hat die EU-Kommission auch Österreich auf dem Radar: Gegen Österreich hat sie ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Stickstoffdioxid-Belastung gestartet. Laut der Kommission sterben jedes Jahr 400.000 Menschen in der EU an den Folgen von Luftverschmutzung.

Zum Thema: Österreichs Öffis an europäischer Spitze

Auf den ersten Blick wirkt die Idee also verheißungsvoll: Mehr öffentlicher Nahverkehr verbessert tatsächlich die Luftqualität, der Energieverbrauch einer Bahn- oder Busfahrt ist um vieles geringer als der einer gleich langen Autofahrt. Und hätte London nicht schon vor 15 Jahren eine Maut für Autos in der Innenstadt auferlegt, würden die Engländer noch mehr im Smog versinken, als sie es ohnehin schon tun. Auch politisch würde sich das Projekt wohl vergleichsweise einfach durchsetzen lassen: Alternativen zu fördern anstatt Verbote zu verhängen kommt an.

Vorzeigebeispiel Tallinn

In Tallinn, der Hauptstadt von Estland, ist Bus- und Bahnfahren seit nunmehr fünf Jahren gratis – und das Konzept scheint aufzugehen. Mehrere Fahrstreifen wurden in der Innenstadt zu Busspuren umgebaut; Touristen und andere Besucher spülen mit vergleichsweise teuren Tickets weiter Geld in die Kasse - und viele estnische Pendler zogen mit Aussicht auf den kostenlosen Nahverkehr überhaupt in die Hauptstadt. Diese Mischung ermöglichte es, den Ausfall von jährlich etwa zwölf Millionen Euro nahezu wegzustecken. Soviel zahlten die Bürger zuvor für die öffentlichen Verkehrsmittel. Der Innenstadtverkehr konnte zudem schon im ersten Jahr um 15 Prozent gesenkt werden.

Auch in Oberösterreich plädieren die Grünen für gratis Öffis an besonders stark belasteten Tagen. Die Luftbelastung mit Stickoxiden sei im Zentralraum in OÖ sehr hoch und gerade im Winter laut den Grünen besonders gesundheitsgefährdend. Aber wie realistisch wäre ein kostenloser Nahverkehr bei uns überhaupt?

Finanzierung

Um das hohe Niveau der Öffis beispielsweise in unserer Hauptstadt zu erreichen und zu halten, reichen schon jetzt die Einnahmen der Tickets bei weitem nicht aus. Zuschüsse kommen von der Stadt. Außerdem gibt es derart viele verschiedene Verkehrsbünde und somit auch Finanzierungen, dass eine flächendeckende Gratisnutzung nur schwer zu verhandeln wäre, wie auf Nachfrage auch seitens des Verkehrsministeriums bestätigt wird. "In Graz kann beispielsweise jeden Adventssamstag das Öffinetz gratis benutzt werden. Im Einzelfall funktioniert das. Abgegolten wird dies dann aber von der jeweiligen Stadt", so im Verkehrsministerium weiter.

Auslastung

Überhaupt sind die Öffis in den Ballungszentren schon jetzt zu Stoßzeiten oft überlastet. Mit einem gratis Ticket wäre es also bei weitem nicht getan. Es bräuchte mehr Personal, kürzere Intervalle, weitere Busspuren, mehr Garnituren - kurz gesagt: (noch) mehr Geld.

Förderungen, wo sie sinnvoll sind

Stimmen werden außerdem laut, dass der Nahverkehr dort gefördert werden sollte, wo er sinnvoll ist: am Land. Infrastruktur auszubauen anstatt in ohnehin attraktive Städte zu investieren sei der eigentlich bessere Ansatz, um die Umwelt zu entlasten.

Denn: Der Pkw ist vor allem außerhalb der Ballungsräume das dominierende Verkehrsmittel. Innerhalb der Ballungsräume geht der motorisierte Individualverkehr teilweise sogar zurück und der öffentliche Verkehr verzeichnet steigenden Zuspruch. Überhaupt ist der öffentliche Verkehr in Österreich vergleichsweise günstig: Die Jahreskarte in Wien kostet 365 Euro, jene in Budapest 415 Euro und in Berlin 710 Euro. Wer in London öffentlich fahren möchte, berappt ganze 1.456 Euro.

Die Jahreskarte in Wien für 365 Euro ist an sich schon ein gute Lösung. Solange sich aber die Kosten für Fahrten selbst aus dem näheren Umland von Wien bis zur Kernzonengrenze um ein Vielfaches davon belaufen, werden Pendler schon allein aus Kostengründen wohl kaum auf Öffis umsteigen - egal ob diese dann gratis sind oder nicht.

Gerade am Land geht es neben den Kosten aber auch noch um Vereinbarkeit: Sich nach einem Bus zu richten, der vielleicht zweimal am Tag an der örtlichen Station Halt macht, ist nicht nur unbequem, sondern mit Arbeitszeiten und Terminen oft schlicht nicht vereinbar. Solange nur in Stadt- und Bundesländergrenzen gedacht wird, wird das Auto wohl noch oft zum Einsatz kommen.