Kinder in der Krise

Durch die Coronapandemie ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Problemen stark angestiegen. Fachpsychologe Johannes Achammer gibt Auskunft: was sich ändern müsste und wie Eltern ihre Kinder jetzt beim Schulstart unterstützen können

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Gesundheit - Kinder in der Krise

Das Schuljahr hat begonnen. Wie es wird? Das weiß keiner. "Die große Unbekannte ist der Herbst", sagt Johannes Achammer. "Es wäre hilfreich gewesen, hätte die Politik hier unterschiedliche Szenarien entworfen und kommuniziert. Damit hätten die Kinder und Jugendlichen zumindest eine Perspektive. Nun ist die Verunsicherung wieder groß", kritisiert der Pädagoge, Kinder-und Jugendpsychologe.

Gerade für den Schulstart wäre Stabilität wichtig. Denn die vergangenen Monate sind keineswegs spurlos an den Kindern und Jugendlichen vorbeigegangen. Im Gegenteil: Die Zahl der Minderjährigen mit psychischen Problemen steigt weltweit stark an. Auch in Österreich sind immer mehr junge Menschen betroffen. So gibt es in den Kinder-und Jugendpsychiatrien praktisch keine freien Plätze mehr. "Die jungen Menschen haben Ängste, Stress und Sorgen. Und diese Spirale wird sich weiterdrehen", befürchtet Achammer.

Depressionen und Schlafstörungen

"Fast jedes dritte Kind zeigt Hinweise auf eine psychische Belastung. Vor der Pandemie waren es nur 20 Prozent ", erklärt Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Sie hat mit ihrem Team eine Befragung zum Thema "Corona und Psyche" durchgeführt.

Dabei kam zudem heraus: Fast 85 Prozent der Kinder finden die Coronakrise belastend. Und anders als von den Wissenschaftlern ursprünglich angenommen haben sich die Kinder auch nicht an die Unsicherheit angepasst, so Ravens-Sieberer.

Johannes Achammer sieht vor allem eine Zunahme an Angststörungen, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden. Aber auch immer mehr junge Menschen leiden unter Schlafproblemen. "Das wird durch die Umstellungsphase zum Schulbeginn -unabhängig von der Corona-Pandemie -noch verschärft", erklärt der Psychologe. Denn während in den Ferien die Freiheiten genossen werden konnten, ist es nun wieder notwendig, früh aufzustehen und pünktlich in der Schule zu sein. Eltern können hier ihre Kinder unterstützen, indem sie helfen, eine Tagesstruktur aufzubauen. Sie sollten zudem darauf achten, dass ihre Kinder rechtzeitig schlafen gehen und das Handy dabei abschalten.

Tipps zum Schulstart

Achammer empfiehlt Familien zu Schulbeginn zudem, sich gemeinsam hinzusetzen und sich einen Überblick über die kommenden Wochen zu verschaffen. "Man kann beispielsweise besprechen, wie viele Wochen es jetzt bis zu den Herbstferien sind und was davor wichtig ist", schlägt der Psychologe vor. Überhaupt sollten Eltern laufend Interesse an der Schule zeigen. "Einfach nur alles Benötigte für den Unterricht einzukaufen und dann zu sagen ,Viel Spaß', reicht nicht aus."

Wichtig für die Kinder sei aber auch ausreichend Freizeit, erklärt Achammer. "Vielen Erwachsenen ist gar nicht bewusst, wie viele Stunden pro Wochen in der Schule verbracht und gelernt werden." Optimal seien daher Sport und Bewegung als Ausgleich.

Denn seit Beginn der Corona-Pandemie und der Lockdowns leben viele Kinder immer ungesünder. So fanden Sportwissenschaftler der Universität Graz heraus, dass Österreichs Volksschüler dicker und weniger fit sind als noch vor der Pandemie. So sind mittlerweile 24,1 Prozent der Sechsbis Zehnjährigen übergewichtig. Im September 2019 waren es noch 20,3 Prozent.

Das ist wenig verwunderlich, denn in Ulrike Ravens-Sieberers Studie gaben 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, keine Bewegung mehr zu machen. Stattdessen verbringen sie immer mehr Zeit mit dem Smartphone oder am PC.

Die Österreichische Liga für Kinder-und Jugendgesundheit fordert daher von der Regierung, dass Parks, Sportanlagen und Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche und deren Betreuer diesen Herbst und Winter geöffnet bleiben müssen.

Niederschwelliges Angebot

Es muss mehr Augenmerk auf die mentale Gesundheit der Bevölkerung und vor allem der Kinder gelegt werden. Das ist auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bewusst. "Wir müssen so schnell wie möglich effizient unterstützen", gab er bekannt. Dazu sollen 13 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Für Achammer ist das nicht mehr als "ein Tropfen auf dem heißen Stein":"Es braucht dringend einen konkreten Finanzierungs-und Maßnahmenplan, um die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen langfristig abzusichern. Die Verschärfungen durch Corona zeigen diese Entwicklung in allen Bereichen sehr deutlich auf. Neue Projekte und Überlegungen zur psychischen Versorgung sollten dabei nicht auf Kosten bereits bestehender Initiativen gehen. Leider sieht die Realität anders aus."

Entscheidend ist für Achammer ein niederschwelliger Zugang zu psychologischen Einrichtungen. Er fordert: "Jedes Kind und jeder Jugendliche sollte mit der eCard unkompliziert Zugang zu psychologischen Einrichtungen haben."

Von Seiten der Regierung sind dazu sogenannte Clearing-Center geplant. Bleibt nur zu hoffen, dass diese rasch entstehen, damit den betroffenen Kindern und Jugendlichen so schnell wie möglich geholfen werden kann.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 36/21