Nina Burger: Ihr Weg zum Wunder

Das Sommermärchen des Frauenfußballs und seine überraschenden Hintergründe

Torlawine statt Sommerloch: Österreichs Frauenfußballteam versetzt die Nation in emotionalen Ausnahmezustand. Unsere Goalgetterin Nina Burger steht stellvertretend für den Erfolg - auch, weil ihr der Fußball die Kraft gab, ein bewegendes Leben zu meistern

von
Frauenfußball-EM - Nina Burger: Ihr Weg zum Wunder

Anfangs tschilpte das blaue Twitter-Vögelchen ja noch vergleichsweise verhalten vor sich hin. Doch mittlerweile tiriliert es im Akkord, und das fast nur in allerhöchsten Tönen. Die Nation im Allgemeinen und deren exponierteste Köpfe im Speziellen, alle, alle offenbaren sie über die sozialen Netzwerke plötzlich ihre fanatische Liebe zum Frauenfußball. Der Rasen von Holland - eine innenpolitische Spielwiese.

»Halbfinale! Sensationeller Kampf, eiserne Nerven. Gratulation, wir sind stolz auf euch«

"Halbfinale! Sensationeller Kampf, eiserne Nerven. Gratulation, wir sind stolz auf euch“, donnert ein losgelöster Regierungschef Christian Kern ins Netz. "Was für ein spannendes Spiel & Spitzenleistung unserer Nationalelf“, setzt Herausforderer Sebastian Kurz beinahe zeitgleich nach. "Ihr seid großartig. Ganz Österreich ist stolz auf Euch!“, grätscht Heinz-Christian Strache, der Dritte im Rennen um die Kanzlerschaft, dazwischen.

Ja selbst der oberste Staatsmann, Alexander Van der Bellen, den man in den Fankurven der Stadien sonst eher selten zu Gesicht bekommt, mutiert in diesen überhitzten Tagen zum glühenden Sportsfreund: "Was für ein Match! Das Frauen-Nationalteam hat nicht nur starke Nerven, sondern auch einen unglaublich starken Teamgeist bewiesen.“

Sturmlauf der Gefühle

Sturmlauf der Gefühle - was war passiert? Das österreichische Frauenfußball-Nationalteam, als krasser Außenseiter ins Turnier gestartet, hat bei der Europameisterschaft in den Niederlanden den Französinnen ein 1 : 1 abgerungen; hat die Isländerinnen mit 3 : 0 ganz deutlich geschlagen; hat dann, bereits im Viertelfinale, Spanien nach 120 torlosen Minuten im Elfmeterschießen eiskalt ausgeschaltet …

Erfolgslawine ins Rollen gebracht

Begonnen hat alles am 18. Juli, um exakt 18.15 Uhr, als Stürmerin Nina Burger im Erstrundenmatch gegen die Schweizerinnen zum Eins-zu-null-Sieg einschoss und so die Erfolgslawine ins Rollen brachte. Jene Nina Burger, die in ihren 91 Länderspielen für die Österreicherinnen bisher unglaubliche 48 Tore geschossen hatte, das letzte erst beim EM-Sieg gegen Island. Mehr als jeder männliche Teamstürmer der Zweiten Republik, mehr sogar als Toni Polster. Unglaublich, aber bislang weitgehend unbemerkt.

Nina Burger steht für den Erfolg

Vor EM-Anpfiff versumperten die Goalgetterin und ihre Kolleginnen noch im passiven Abseits der medialen Aufmerksamkeit. Nach der ersten Turnierphase wurde Burger dann zum "weiblichen Toni Polster“ gehypt. Doch August 2017, das ist der Sommer der Wende, Burger, die Frau, steht mit einem Mal symbolisch für den Erfolg unseres Fußballs - und Polster muss mittlerweile froh sein, wenn er als die männliche Nina Burger durchgeht.

Weiter Rückpass. Schmida, ein 230-Einwohner-Örtchen im Tullnerfeld in der letzten Phase des alten Jahrtausends: eine Straßensiedlung, kein Greißler, kein Wirt - und eine holprige Sportwiese hinterm Dorfplatz als einziges Freizeitangebot.

Hier wächst Österreichs neuer Fußballstar auf, Nina Burger ist das fünfte Kind einer Landwirtsfamilie. Da ist die Schule, da ist nebenbei die Arbeit am Hof, in die Burger von klein auf eingebunden ist. Heu einfahren, Kartoffeln aussetzen, ernten - und das Kicken hinten auf der Dorfwiese. Und das wird - ungewöhnlich für ein Mädchen in diesen Tagen und in dieser Umgebung, vielleicht aber auch mangels echter Alternativen - rasch zur Leidenschaft. "Mit den meist größeren Burschen mitspielen zu dürfen, das war die erste sportliche Herausforderung, der sie sich stellte“, sagt ihr Zwillingsbruder Manuel.

»Mit den meist größeren Burschen mitspielen zu dürfen, das war die erste sportliche Herausforderung«

Der Bruder, der heute den väterlichen Hof führt, hat am Tisch eine Handvoll vergilbter Polaroids ausgebreitet: Nina als einziges Mädchen auf dem Mannschaftsfoto des Juniorenteams von SV Hausleiten. Gemeinsam mit Manuel hat sie dort gespielt, er im Tor, sie schon damals im Angriff. Nina, stolz in ihrem neuen Borussia-Dortmund-Fandress. Der war ein Weihnachtsgeschenk, und Burger strahlt mit dem Christbaum im Hintergrund um die Wette. Nina beim Kopfballtraining, aufgenommen bereits ein paar Jahre später, als Teenager, im Dress ihrer ersten reinen Frauenmannschaft, des SV Langenrohr.

Die Dorfschule des Fußballs

"Das Dirndl war schon von klein auf fußballverrückt“, erinnert sich Manuel. Und auch von klein auf bereit, das eine oder andere Foul ohne Ball einzustecken: "Arschfetzen“ habe die Fußballvariante geheißen, die man damals auf der Dorfwiese praktizierte, und das ging so: Der Stürmer läuft an und knallt aufs Tor. Trifft er, drohen keinerlei Konsequenzen. Verfehlt er den Kasten oder hält der Tormann, so muss sich der Stürmer hinhockerln, und ein anderer schießt ihm den Ball aus kürzester Distanz aus vollem Lauf auf den Hintern.

Von Anfang an sichere Schützin

Doch Nina war von Anfang an die sichere Schützin, kaum die Beschossene. "Ich denke, ich kann mit Druck ganz gut umgehen“, sagt sie jetzt, gut zwei Jahrzehnte später, als sie von News auf ihre Nervenstärke beim Elfmeterschießen gegen Spanien angesprochen wird. "Je schwieriger die Aufgabe, desto leichter fällt sie mir.“

»Je schwieriger die Aufgabe, desto leichter fällt sie mir.«

Als Underdog, als Außenseiter in ein Spiel zu gehen, das sei für sie sogar noch eine Zusatzmotivation, erklärt Burger, die in der Männerdomäne Fußball trifft und trifft und trifft. Erklärt Nina, das Mädchen unter den Burschen vom Dorfplatz.

Wunder von Holland

Hoher Ball in die Gegenwart. Noch einmal kurz weg aus Schmida im Tullnerfeld, hinauf nach Holland. Oder zu dem, was die vom ORF zum "Wunder von Holland“ ausgerufene Performance des österreichischen Frauen-Nationalteams derzeit mit der Nation anstellt: Aufgeregt wird da die - objektiv noch immer eklatante - Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen anhand unserer bescheidenen Fußballerinnen und ihrer verwöhnten männlichen Mitbewerber runterdekliniert.

Frauenfußball "lockerer sehen"

Versagende Großverdiener bei der EM 2016 in Frankreich, triumphierende Kleinverdienerinnen bei der EM 2017 in den Niederlanden, das rockt! Die Gage, die sie sich für ihre Erfolge aushandelten, reicht laut Mannschaftskapitänin Viktoria Schnaderbeck gerade einmal für einen netten Urlaub oder eine neue Vespa. Jene, welche sich die Männer im Vorjahr für die Möglichkeit des Titelgewinns zusichern ließen, lag bei kolportierten 200.000 Euro pro Kopf - was für eine populistische Steilvorlage! Dass Spiele der heimischen Frauenliga im Schnitt von gerade einmal 92 Besucherinnen und Besuchern frequentiert werden, dass es daher auch kaum Spnsoren gibt, dass sich selbst verdiente Feministinnen wie Eva Rossmann bisher nur peripher für Frauenfußball interessierten, all das bleibt weitgehend unberücksichtigt. "Die Lohnschere ist ein ernstes Thema, da hängen Existenzen dran - aber das Thema Frauenfußball könnte man schon etwas lockerer sehen“, wünscht sich Rossmann.

Anlassfall Arbeitsbiene

Lockerer? Da bleibt der Wunsch Mutter des Gedankens. In den Sozial-Netzwerken wird heftig darüber diskutiert, ob Sprachbilder aus dem Männerfußball denn wirklich ungestraft übernommen werden dürfen, ob etwa "Arbeitsbiene mit Mittelfeld“ semantisch korrekt ist und ob man wirklich sagen darf: "Sie holt sich den Ball mit der Brust herunter.“ Ja selbst Schlagersänger Andreas Gabalier, sonst knochenharter Verteidiger des alpenländischen Patriarchats und schärfster Gegner der Hymnen-Töchter, ist urplötzlich Fußballfeminist: "Tooor, Tooor, Tooor, i wea narrisch!“, postet er.

Und was sagt Nina Burger als eine der Wundermacherinnen? "Mir macht Fußball Spaß und dass die Leistungen stimmen - die Emotionen, die durch unseren Erfolg entstehen, sind mir das Wichtigste, um Emanzipation mache ich mir derzeit ehrlich gesagt keine Gedanken.“

Das Fußballspielen, erklärt sie, habe sie lange aus reiner Passion betrieben. "Berufsfußballerin, das war für mich lange gar nicht vorstellbar, das lief nebenbei - zwar mit vollem Einsatz, aber doch wie ein Hobby.“ Und als Lebenshilfe in schweren Zeiten.

Lebenshilfe in schweren Zeiten

Ein letzter langer Ball zurück. Zurück nach Schmida, zurück in jene Tage, als Nina Burger von der gemischten Knirpsmannschaft des SV Hausleiten ins Damenteam von Langerohr und bald darauf zum mehrfachen Damenmeister SV Neulengbach wechselt. Das Mädchen ist gerade 14, als das passiert, was sich in den Monaten zuvor irreversibel abzeichnete: Mutter Helga verstirbt an Krebs, der Vater ist als Landwirt und Lkw-Fernfahrer fast rund um die Uhr im Einsatz, die fünf Kinder sind mit einem Mal völlig auf sich alleine gestellt.

Spielgestalterin ihres Lebens

"Die Nina und ihr Zwillingsbruder Manuel, sie waren die Jüngsten, und ich hatte kaum Zeit, mich um sie zu kümmern“, blickt Franz Burger, der Vater, zurück. "Letztendlich war es der Sport, der die beiden erzogen hat.“ Und der ihnen auch dabei geholfen habe, den Verlust der Mutter zu verarbeiten. Vorbei die Zeiten, als Nina mit Mutter und Vater ins Hanappi-Stadion zu Rapid pilgerte, als sie beim Zuschauer-Zielschießen in der Halbzeitpause sogar einmal ein Rapid-Handy gewann. Von nun an ist Nina Burger die eigenverantwortliche Spielgestalterin ihres Lebens.

Sie besucht die Hauptschule, dann die Handelsakademie, dann die Polizeischule in Wien, wo sie zur Revierinspektorin ausgebildet wird. Das ist die Pflicht, die Existenzgrundlage, denn Burger, die ihm Dezember 30 Jahre alt wird, entstammt noch nicht jener Spielerinnengeneration, die im Nationalen Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten ausgebildet wird und neben dem sportlichen Feinschliff auch in den Genuss einer Berufsausbildung kommt.

»Sowohl bei der Polizei als auch im Fußball musst du eine Teamplayerin sein«

Burger wird Revierinspektorin, geht im neunten Bezirk in Wien auf Streife - und streift erst nach dem Schichtdienst den Trainingsanzug über. Und erst als sie sich beruflich so richtig etabliert hat, lässt sie sich bei der Exekutive karenzieren, um als Profi-Legionärin zum US-Club Houston Dash und dann zum SC Sand in die deutsche Bundesliga zu wechseln. "Sowohl bei der Polizei als auch im Fußball musst du eine Teamplayerin sein, in beiden Bereichen musst du dich reinhauen, um etwas zu erreichen, sagt sie.

Als Polizistin trägt sie den Colt nur für alle Fälle. Doch als Fußballerin der Herzen schießt Nina Burger immer scharf. Wie damals als Kind auf der holprigen Sportwiese hinter dem Dorfplatz.