Bubi and the Beast

Die Verwandlung des Dominic Thiem: Im Wesentlichen waren es drei Männer, die den zurückhaltenden Burschen aus der niederösterreichischen Provinz zu einem Star im Welttennis formten - indem sie ihn lehrten, hart zu sich selbst zu sein

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Sport - Bubi and the Beast

Vor einem Jahr hatte es Thiem als Außenseiter ins Semifinale der French Open geschafft. Heuer zählte er bereits zum Favoritenkreis und hat sich an der Spitze des Welttennis etabliert. Nicht nur aufgrund seines Talents, das ist nur die Basis. Sondern aufgrund einer unverbrüchlichen Härte gegenüber sich selbst - einer Härte, die im Wesentlichen drei Männer formten:

Wolfgang Thiem - der Mann, der den Sohn in die Pflicht nahm

Dominic Thiem war gerade einmal vier Jahre alt, als er das Sandkistenschauferl für immer fallen ließ und - mit linker und rechter Hand gleichzeitig - den leicht gepolsterten Griff eines Tennisschlägers umklammerte. Vater Wolfgang, von Beruf Tennislehrer, erkannte die Begabung des Sohnes und führte ihn schrittweise an das Niveau eines österreichischen Nachwuchsspielers heran. Bis Dominic, der zurückhaltende, stets ein wenig verlegen wirkende Teenager, vor der endgültigen Entscheidung stand: Sollte aus dem unbeschwerten Kinderspiel Ernst werden?

»Das finanzielle Risiko für die Familie war so groß, das wir uns ein Scheitern nicht hätten leisten können - und das wusste der Dominic auch.«

"Im Grunde", beginnt Wolfgang Thiem zu erzählen, "wollte der Dominic schon von klein auf immer nur Tennisspieler werden. Doch mit welchen Strapazen und mit welch einem Verzicht das verbunden ist, das konnte er mit seinen 13,14 Jahren noch nicht wissen, höchstens erahnen." Dennoch, so der Vater, habe man dem Sohn bereits damals klarmachen müssen, dass es, wenn die Berufswahl erst einmal getroffen sei, keinen Weg zurück mehr gebe. "Das finanzielle Risiko für die Familie war so groß, das wir uns ein Scheitern nicht hätten leisten können - und das wusste der Dominic auch."

© News Reich Sebastian Die Eltern des Erfolges - Wolfgang Thiem und seine Frau Karin vor einem Plakat ihres Sohnes: "Er hatte von Anfang an Druck"

Während jener kargen Jahre, in denen sich Dominic im Rahmen unzähliger Future-und Challenger-Turniere dem ganz großen Tenniszirkus annäherte, habe man, wie es Wolfgang Thiem formuliert, "den Fugenkitt aus den Fenstern gefressen" und vom heimischen Tennisverband "keinerlei Unterstützung erhalten".

Zwischen 60.000 und 100.000 Euro habe Dominics Weg an die Spitze pro Saison gekostet. Dominics Großmutter verkaufte eigenes ihre Wohnung im ersten Bezirk in Wien, eine Immobilie, die sie selbst von ihrer Mutter geerbt hatte - und das nur, um drei Lehrjahre ihres Teenager-Enkels zu finanzieren.

"Es gab keine Wochenendausflüge, keine Urlaube und kaum Freizeit", erinnert sich Vater Thiem. Viele Freunde und Bekannte hätten sich aus Unverständnis abgewandt. Gerade in jener Zeit, als sich die Eltern entschlossen, ihren 16-jährigen Sohn aus dem Gymnasium für Hochleistungssportler zu nehmen, weil selbst die Zeichenlehrerin die turnierbedingten Fehlstunden mit einem Fünfer quittieren wollte, standen die Thiems ziemlich alleine da.

Ganz zu schweigen von jener Phase, in der Dominic ein rätselhaftes Bakterium zu bekämpfen hatte und einen Monat lang völlig geschwächt im Spital lag. "Doch innerhalb der Familie herrschte stets dieses Urvertrauen", sagt Wolfgang Thiem. "Die Frage, ob unser Weg vielleicht falsch ist, stellten wir uns nie." Weder die Familie noch Dominic, Scheitern verboten.

Keine freien Wochenenden, Samstage und Sonntage auf dem Court, dann auch noch eine Niederlagenserie, als Dominic von der beidhändigen auf die einhändige Rückhand umlernen musste, all das konnte Österreichs größten Sportstar neben David Alaba und Marcel Hirscher nicht erschüttern - auch, weil es ihn nicht erschüttern durfte. "Damals hat er sich die Leidensfähigkeit angeeignet, die dazugehört, um ganz nach oben zu kommen", ist Wolfgang Thiem überzeugt.

Günter Bresnik - der Mann, der das Talent abschaffte

Dominic Thiem war spielerisch begabt, sogar sehr begabt. Kaum ein gleichaltriger Österreicher konnte den Volksschulknirps und späteren Gymnasiasten schlagen. Regionale und nationale Nachwuchsmeisterschaften waren für ihn nicht viel mehr als Sonntagsspaziergänge mit Filzkugel. Doch dann kam Günter Bresnik - und das alles sollte plötzlich so gut wie nichts mehr wert sein. "Talent ist unbedeutend", erklärte er im vergangenen Oktober im News-Interview. Der auf den ersten Blick stets etwas grantelnd wirkende Wiener hatte als Tennistrainer bereits mit Größen wie Henri Leconte oder Boris Becker zusammengearbeitet, ihm konnte keiner etwas vormachen. Und genau dieser Bresnik war angetreten, um das Phänomen Thiem zu globalisieren. Und aus einem schlaksigen Burschen aus Lichtenwörth mit seinen 2.800 Einwohnern einen Weltstar zu machen.

»Ich habe dem Kleinen schon extrem viel abverlangt.«

"Ich bin kein Freund von Kompromissen, und meine Konfliktbereitschaft ist sehr groß", stellt Bresnik klar. Und setzt, bezugnehmend auf Dominic Thiem, nach: "Ich habe dem Kleinen schon extrem viel abverlangt." Talentiert oder nicht talentiert, im Grunde genommen könne es jeder in die Top Ten des Welttennis schaffen, wenn er nur konsequent genug daran arbeite - soweit die Bresnik-These. "Im Endeffekt sind immer die die Besten, die über eine längere Zeitspanne richtig trainieren." Also galt es, die körperlichen Voraussetzungen für ein richtiges Training zu schaffen - und zwar mithilfe eines anerkannten Experten für Qualen aller Art.

Sepp Resnik - der Mann, der den Schmerz mitbrachte

Dominic Thiem: "Für heute bin ich mit dem Training fertig." Sepp Resnik: "Gut, dann beginnen wir heute Nacht mit dem richtigen Training."

Das, erzählt Sepp Resnik, sei der allererste Dialog zwischen ihm, dem Muskelberg mit dem Rübezahlbart, und dem drahtigen, aber alles andere als wuchtigen Dominic Thiem gewesen. Irgendwann im Herbst 2013 war das, und Thiem war soeben 20 Jahre alt geworden. Als Erstes, sagt Resnik, habe er dem "Dom" ein Anatomiebuch gekauft: "Ich wollte, dass er seine künftigen Trainingsschmerzen auch richtig zuordnen und benennen kann."

Einen Dreifach-Ironman hatte der hauptberufliche Bundesheer-Vizeleutnant erfolgreich absolviert, war in 80 Tagen um die Welt geradelt. Nun ging es darum, aus Thiem, dem angehenden Winner, Thiem, den gnadenlosen Fighter, zu machen. Vom Rookie zum Rocky gewissermaßen.

Resnik und Thiem trainierten ausschließlich im Freien und fast ausschließlich in der Nacht. Denn tagsüber, da standen die normalen Übungseinheiten auf dem Programm. "Dazwischen sollte er sich ein bisschen erholen, Freunde treffen, all die Dinge tun, die man in seinem Alter halt so macht", gibt sich Resnik nur im Rückblick kulant. Denn das, was danach kam, machten Thiems Freunde dann doch eher selten: Dominic durchwatete mit seinem martialischen Betreuer eiskalte Bäche und schleppte statt blank polierten Chromgewichten Baumstämme auf Hügel und Berge. Zur Abrundung veranstaltete Resnik dann noch nächtliche Orientierungsläufe durch den weitläufigen Park der Militärakademie Wiener Neustadt. "Das Ziel bestand nicht darin, eine gewisse Distanz zurückzulegen - sondern darin, ohne Licht zum Ausgangspunkt zurückzufinden", sagt Resnik.

Und Dominic Thiem fand zum Ausgangspunkt zurück: 2016 war er im Grand Slam von Roland Garros der gefährliche Außenseiter. 2017 zählte er zu den Mitfavoriten.