Die First Lady
der Nüchternheit

Am 8. April würde Betty Ford ihren 100. Geburtstag feiern. Die US-Präsidentengattin gründete eine Suchtklinik, die das Ausnüchtern salonfähig machte und dank ihrer prominenten Patienten selbst weltberühmt wurde

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Betty Ford - Die First Lady
der Nüchternheit

Sie ist die einzige Präsidentengattin in der Geschichte der USA, die bekannter ist als ihr Mann. Gerald Ford und seine kurze Amtszeit von 895 Tagen im Weißen Haus, die von 1974 bis 1977 währte, haben viele Amerikaner längst vergessen. Seine Frau Betty Ford ist nach wie vor ein klingender Name und fest im kulturellen Bewusstsein verankert. Nicht nur aufgrund der Suchtklinik, die sie mitbegründet hat.

Aber auch. Elizabeth Anne "Betty" Ford (1918-2011) muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein. Als sie Gerald Ford 1948 kennenlernte und kurz darauf heiratete, hatte sie schon ein Vorleben als Model und Tänzerin in Michigan und eine katastrophale Ehe hinter sich. Ihr erster Mann, den sie seit ihrer Kindheit kannte, war schwerer Alkoholiker und bereits in jungen Jahren ein Pflegefall. Die Ehe wurde wegen "schwerer Grausamkeit" geschieden. Mit ihrem zweiten Mann, der gerade frisch ins Repräsentantenhaus gewählt worden war, zog sie nach Washington. Die beiden gelten als eines der liebevollsten Präsidentenpaare in der US-Geschichte.

Geborene Alkoholikerin

Dabei hatten sie oft Meinungsverschiedenheiten: Gerald Ford war Republikaner und der Nachfolger Richard Nixons, der aufgrund des Watergate-Skandals zurücktreten musste. Seine Gattin dagegen vertrat liberale Standpunkte und machte sich für die Gleichberechtigung stark. Betty Ford war überhaupt die erste First Lady, die ihre Position nützte, um sich sozial und politisch zu engagieren. Etwa pro Abtreibung. Ihre Positionen als Frauenrechtlerin behielt sie trotz zahlreicher Protestbriefe bei. Und obwohl sie mitunter aneckte, war sie wegen ihrer unverblümten Art gleichzeitig bei allen beliebt. In Interviews erzählte die "ganz normale Frau" (Betty Ford über Betty Ford), was ihr durch den Kopf ging, plauderte zum Beispiel aus, dass sie "so oft wie möglich" mit ihrem Mann schlafe.

Es gab freilich auch eine düstere Seite. Über viele Jahre war Ford Alkoholikerin und später dazu noch tablettensüchtig, ohne es sich einzugestehen. Erst nach dem Auszug aus dem Weißen Haus 1978 konnte ihr Mann sie mit den Worten "Du bist nicht mehr die Frau, die ich geheiratet habe" zu einem Entzug bewegen. Zuerst reagierte sie darauf wie so viele Alkoholiker - mit Beschwichtigung: Sie trinke doch "kontrolliert". Als ihre Familie nicht lockerließ, gab sie nach und checkte in einer kalifornischen Klinik ein.

Mit 60 Jahren begann die beste Phase in ihrem Leben, die nüchternen Jahre. In der Therapie erkannte Ford: "Ich wurde als Alkoholikerin geboren." Sie wuchs unter Trinkern auf, das Leben ihres Vaters sowie ihres älteren Bruder drehte sich um Hochprozentiges. Ihr eigenes Trinkverhalten war lange relativ unauffällig. Es eskalierte mit der Zeit, wurde umso schlimmer, je erfolgreicher die Karriere ihres Mannes verlief. In ihrer Autobiografie verriet Ford: "Ich war überzeugt, dass ich umso unwichtiger wurde, je wichtiger Jerry wurde." Meist trank sie Gin oder Whisky, ergänzt durch Valium und Schlaftabletten. In dieser Phase war sie laut eigener Aussage zeitweilig "völlig weggetreten". Was Betty Ford ausmachte, war nicht allein, dass sie sich wieder aufrappelte. Sie kümmerte sich ganz selbstverständlich um andere. Als 1974 bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde, ließ sie sich nicht nur die rechte Brust entfernen, sondern machte ihren Kampf gegen den Krebs öffentlich. Dadurch wurde sie zum Vorbild für viele Frauen.

Ihr größtes Verdienst aber war ihr Engagement für Alkohol-und Drogenkranke. Lange wurde Alkoholismus als ein Laster gesehen, nicht als Krankheit. Entsprechend wurden Alkoholiker mit einem sozialen Stigma belegt, Hilfe bekamen sie selten. 1982 gründete Betty Ford mit dem Ex-Diplomaten Leonard Firestone im kalifornischen Rancho Mirage südlich von Palm Springs eine Suchtklinik. Man darf schätzen, dass sie mit der Betty-Ford-Klinik über die Jahre Tausenden das Leben rettete. Außerdem trug sie dazu bei, dass das Bewusstsein für Alkohol-und Drogenabhängigkeit gestiegen ist und viel offener darüber gesprochen wird.

Die Klinik der Stars

Wie wenig über die Krankheit in den Achtzigern bekannt war, zeigt der Fall Ozzy Osbourne. Er hatte bei seinem ersten Einchecken etwas falsche Vorstellungen von einer Entzugsklinik: "Ich dachte, bei Betty Ford lernt man verantwortungsvolles Trinken. Ich checkte ein und fragte, wo ich die Bar finde." Er absolvierte 1986 eine dreiwöchige Therapie. Der Black-Sabbath-Frontman kam im Gegensatz zu Ford jedoch nie vom Alkohol los, erlitt immer wieder Rückfälle.

Von Anfang an ließen viele Prominente ihre Suchtprobleme bei Betty Ford behandeln. Zu den ersten zählten Elizabeth Taylor, Liza Minnelli und Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks - so viel übrigens zu dem Vorurteil, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, von der großteils Männer betroffen sind.

Der glorreiche Aufstieg von Stars und ihr tiefer Fall durch Alkohol und Drogen sowie ihre Läuterung durch Therapie gehören schon lang zur Hollywood-Folklore. Die sensationslüsterne Öffentlichkeit sieht es gern, wenn Berühmte straucheln. Das real existierende menschliche Leid dahinter interessiert uns meist weniger. Bei vielen Promis wird die Angelegenheit zu einem Karussell, das sich immer weiterdreht, mit vielen Entzugsversuchen und Rückfällen. Man denke an David Hasselhoff, der, am Boden kauernd, versucht, einen Burger in sich reinzustopfen. Oder an Lindsay Lohan, die wie er schon mehrere Therapieversuche bei Betty Ford hinter sich hat.

Die Betty-Ford-Klinik ist inzwischen selbst Teil der Popkultur. Sie wird stets erwähnt, wenn von Schauspielerinnen und Rockern die Rede ist, die irgendwann nicht mehr zu ihren Terminen erscheinen konnten. Man darf sich die Anstalt allerdings nicht als Luxuseinrichtung vorstellen. Schon die gut zwei Stunden Anreise von Los Angeles aus sind ernüchternd. "Welcome to the Desert", begrüßt ein Schild an der Schnellstraße. Die Klinik ist von Sand und Steinen umgeben, die meisten Patienten ganz normale Menschen wie du und ich. Die Einrichtung ist einfach, man möchte fast sagen: nüchtern.

Keine Sonderbehandlung

Ein Promi-Bonus existiert nicht. Es scheint sogar ein Teil des Betty-Ford-Konzepts zu sein, die Stars aus ihren Luxusleben rauszureißen und als Otto-Normal-Süchtige zu behandeln. Hier haben sie keinen Draht zu Dealern und dubiosen Ärzten, die für Geld gern sämtliche Pillen besorgen. Nicht einmal ein Einzelzimmer ist zu haben. In der Klinik müssen sie der Wahrheit ins Auge blicken. Die Therapie beginnt mit dem Schwitzen und Zittern des körperlichen Entzugs und endet nach ein paar Wochen im besten Fall mit einer veränderten Lebenseinstellung.

Die Klinik gilt als streng und orientiert sich am Zwölf-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker. In den ersten Jahren sprach Betty Ford selbst einmal im Monat selbst zu den Klienten. Sie wollte ihre Geschichte erzählen und als Mentorin Mut machen. Als leuchtendes Vorbild wollte Ford jedoch nicht gelten. "Dankt mir nicht", pflegte sie jenen zu sagen, die es geschafft hatten. "Dankt euch selbst."

Über die Jahre checkten in der Betty-Ford-Klinik viele Promis wie Johnny Cash, Robert Downey Jr., Drew Barrymore, Billy Joel oder Bobby Brown ein. Heute gibt es über die USA verteilt 17 Einrichtungen mit Fords Namen. Und beim deutschen Ableger My Way Betty Ford Klinik in Bad Brückenau begab sich 2012 Jenny Elvers in Therapie. Wobei die Stars inzwischen andere Einrichtungen bevorzugen. Solche nämlich, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und in denen sie -abgesehen davon, dass keine Drogen und kein Alkohol verfügbar sind - weiterleben können wie gewohnt. Lindsay Lohan gelang es während eines gerichtlich verordneten Entzugs einmal, von der Betty- Ford-Klinik in die weitaus luxuriösere Entzugsanstalt Cliffside verlegt zu werden. Andere solche Einrichtungen sind das Promises am Strand von Malibu, im Grunde ein sehr teures Hotel plus ärztliche Betreuung. In unmittelbarer Nähe davon steht auch noch das Passages, das ebenfalls einen wunderbaren Ozeanblick bietet. Fraglich nur, ob das tatsächlich geeignete Orte sind, um ein neues, verantwortungsvolles Leben zu beginnen.

Positiv betrachtet ist es sieben Jahre nach Betty Fords Tod schon lange keine Schande mehr, auf Entzug zu gehen. Malibu hat etwa 14.000 Bewohner und mehr als zwei Dutzend Entzugskliniken, in denen man bei Yoga, Massagen und Reittherapie in tropischen Gärten und mit Meerblick ausnüchtern kann. Statt Kantinenessen gibt es Haubenküche und statt harter Therapiegespräche gepflegten "Unterricht über den Sinn des Lebens".

Wen wundert's da, dass viele Promis immer wieder kommen?

Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 13/2018 erschienen.