Gerhard Berger: "Mein Ritt
auf der Kanonenkugel"

Zum Start in die neue Saison verrät DTM-Chef Gerhard Berger, warum der neue Durchgang der Tourenwagen- Serie spannend wie nie wird, wieso er seinen Sechziger nicht feiern will und wie es Niki Lauda wirklich geht.

von Menschen - Gerhard Berger: "Mein Ritt
auf der Kanonenkugel" © Bild: imago/HochZwei

Sie zitieren oft und gerne den Ritt auf der Kanonenkugel als Maßstab für Hochspannung. Hatten Sie, Herr Berger, nicht selbst einen in der Zeit zwischen Mercedes-Ausstieg aus der DTM und Aston-Martin-Zusage?
Der Ritt auf der Kanonenkugel ist meine Idealvorstellung für die DTM: sehr leistungsstarke Autos mit wenig aerodynamischem Abtrieb und ohne elektronische Fahrhilfen. Autos, die dem Rennfahrer alles abverlangen. Ab dieser Saison haben die DTM-Autos dank der neuen Turbo-Motoren mehr als 600 PS. Die Zeit zwischen Mercedes-Ausstieg und Aston-Martin-Einstieg war eher eine Achterbahnfahrt. Dass eine so renommierte Marke wie Aston Martin eingestiegen ist, spricht für das Potenzial der Plattform DTM.

Wie ernstzunehmen ist das neue Team in der DTM, Aston Martin, das in nur 100 Stunden sein Auto entstehen ließ und zwei DTM-Frischlinge im Team hat?
Das Schweizer Rennteam R-Motorsport hat sich für die Entwicklung von Auto und Motor mit HWA zusammengetan. Die HWA-Truppe, die jahrzehntelang die DTM-Aktivitäten von Mercedes betrieben hat, sollte man nicht unterschätzen -die weiß genau, was zu tun ist.

© imago images / HochZwei "Ferdinand ist ein sympathischer Bursche"

Wie gut kennen Sie Ferdinand Habsburg? Können Sie etwas über seine fahrerischen Qualitäten aussagen?
Ich habe ihn bei den Testfahrten am Lausitzring kennengelernt. Ferdinand ist ein sympathischer Bursche. Sehr fokussiert, sehr professionell. Bei den Testfahrten hat er einen guten Eindruck hinterlassen. In der DTM spielt -neben dem Speed eines Fahrers -Erfahrung eine große Rolle. Mal schauen, wie er sich bei den ersten Rennwochenenden anstellt.

Mit Philipp Eng ist ein weiterer Österreicher in der DTM engagiert. Schafft der Salzburger im BMW-Team diese Saison den Sprung nach vorne?
Philipp hat im letzten Jahr eine starke Debütsaison hingelegt. Er stand bereits einmal auf Poleposition und zweimal auf dem Stockerl. Er war 2018 bester DTM-Rookie. Philipp kann Rennen gewinnen. Allerdings saß er erst beim Test vor zwei Wochen am Lausitzring erstmals im neuen Turbo-BMW. Vielleicht braucht er etwas Zeit, um das neue Auto besser zu verstehen.

Was versprechen Sie sich von den neuen Autos mit nunmehr 600 PS Leistung - wird die Schallmauer 300 km/h fallen?
Laut den Simulationen der Teams kommen die Autos nahe an die 300 km/h. Am Ende der Parabolica in Hockenheim könnte mit den Überholhilfen DRS und Push-to-pass die Schallmauer vielleicht fallen.

Haben Sie selbst schon eines der neuen DTM-Autos ausprobiert?
Nein. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich da reinpasse.

Heuer finden neun statt zehn Rennen statt, Spielberg fehlt im DTM-Rennkalender. Ganz ehrlich: Was hat laut Ihren Worten "nicht gepasst"? Ging es nur um die Kohle?
Es ging nicht nur ums Geld. Eine Vereinbarung zwischen Serienpromotor und Rennstrecke bzw. Veranstalter ist eine komplexe Sache. Termin, Rahmenbedingungen, Rechtefragen, Aufgaben und Pflichten zur Bewerbung der Veranstaltung -all das sind Themen, die da reinspielen. Eine Vereinbarung macht nur Sinn, wenn sich beide Seiten damit wohlfühlen. Wir sind dieses Mal halt nicht zusammengekommen. Wichtig ist, dass kein schlechter Beigeschmack bleibt -das ist auch nicht der Fall.

Das Rahmenprogramm in der DTM ist dafür heuer sehr reichhaltig, unter anderem gehen erstmals die W-Series mit ausnahmslos Frauen am Steuer los. Was halten Sie von dieser Serie?
Ich war zuerst skeptisch, weil ich schon oft Versuche von Frauen, im Motorsport Fuß zu fassen, erlebt habe. Als ich aber gesehen habe, dass viele Ex-McLaren-Mitarbeiter aus der Formel 1 diese Serie betreuen, die damals mit mir gearbeitet haben, habe ich gewusst, dass es dieses Mal professionell passieren wird, und ab dem Moment bin ich auch voll hinter dieser Rennserie gestanden. Diese Formel ist eine optimale Ausbildungschance für die Mädels. Ob sie sich zu einem späteren Zeitpunkt gegen die Männer wirklich behaupten werden können, wird sich aber erst herausstellen.

© Hoch Zwei "Der Ritt auf der Kanonenkugel ist meine Idealvorstellung für die DTM."

Ihr Neffe, der Luggi, fährt jetzt im fernen Japan in der Super-Formula-Serie. Im ersten Rennen wurde er Siebenter. Ein probater Weg in die Königsklasse Formel 1?
Die Super Formula ist eine extrem starke Formel-Serie. Die Autos sind fast so schnell wie jene in der Formel 1. Der Luggi hat den richtigen Schritt gemacht.

Wie intensiv beobachten Sie die Formel 1 und Ihr Ex-Team Ferrari? Ist bei den Roten vielleicht schon die Wachablöse Charles Leclerc statt Sebastian Vettel im Gange?
Ich beobachte den Leclerc schon seit seiner Go-Kart-Zeit und habe gewusst, dass auf den Vettel eine schwierige Nummer zukommt. Nach diesem Rennwochenende sieht man, dass er wahnsinnig schnell ist, aber er macht halt auch noch Fehler, und am Ende des Tages war er wieder gut unterwegs, aber für den Sieg hat er schlussendlich keine Rolle gespielt. Aber ich glaub, dass beide Topfahrer sind.

Ayrton Senna war für Sie immer der Ausnahme-Fahrer in der Formel 1. Wie nahe kommt ihm Lewis Hamilton?
Ich habe kürzlich an anderer Stelle bereits gesagt, dass Lewis ihm schon sehr nahe kommt. Ich bin wirklich beeindruckt von Lewis: Der Kerl ist extrem schnell, macht so gut wie keine Fehler, hat die nötige Härte und fährt seit Jahren auf konstant hohem Niveau. Und er ist ein charismatischer Typ, der viele Menschen anspricht.

»Es wird noch ein wenig dauern, das geht sicher nicht in zwei Monaten, aber ich hoffe, dass er im Laufe des Jahres wieder so auf den Beinen ist, dass er da oder dort wieder auftaucht«

Apropos: Haben Sie Kontakt zu Niki Lauda? Konnten Sie schon mit ihm persönlich sprechen oder mit ihm telefonieren?
Ich habe ihn schon zweimal besucht, und ich denke, er ist jetzt auf einem guten Weg. Er macht seine Aufbauarbeit, und ich hoffe, dass wir ihn bald wieder an der Rennstrecke sehen. Es wird noch ein wenig dauern, das geht sicher nicht in zwei Monaten, aber ich hoffe, dass er im Laufe des Jahres wieder so auf den Beinen ist, dass er da oder dort wieder auftaucht.

Also Sie glauben fest an seine Rückkehr in den Job und somit an die Rennstrecken der Welt?
Niki ohne Rennstrecke und Rennstrecke ohne Niki funktioniert ja nicht.

Alle Hersteller gehen in die Formel E. Wie sehen Sie diese Entwicklung: nur ein Boom, der in ein, zwei Jahren abebbt, oder letztendlich die Nachfolgeserie der Formel 1?
Von einer Modeerscheinung, die bald wieder abebbt, kann man wahrlich nicht sprechen. Die Formel E ist in ihrer fünften Saison. Elektromobilität ist ein großes Thema in der Automobilindustrie und wird es noch lange Zeit sein - mit wohl steigender Tendenz. So ist es nachvollziehbar, dass große Konzerne sich dort präsentieren wollen. Aber der Formel 1 dürfte sie auf absehbare Zeit nicht gefährlich werden, denke ich.

Die Branche hält große Stücke auf Sie. Wie angespannt sind Sie in Ihrem Job als DTM-Chef? Bleibt da Zeit für Ihre Familie, was machen Ihre Kinder Ella und Johan?
Die beiden wachsen heran, ich hab eine riesen Gaudi mit ihnen. Der Johan ist jetzt zweieinhalb, steht schon auf den Schiern, die Ela auch, sie sind beide schon gute Schifahrer. Die Ella geht in den Kindergarten, der Johan auch bald, Es macht mir einen riesen Spaß, noch einmal miterleben zu dürfen, wie meine Kinder groß werden. Zusammen mit meiner Freundin Helene und den beiden Kleinen in Tirol sowie meinen erwachsenen Kindern Christina, Sara und Heidi bin ich rundherum glücklich.

Aber sind Sie beruflich nicht ähnlich stark angehängt wie zu Ihrer Formel-1-Zeit?
Grundsätzlich schon, weil ich meine Firmen habe und parallel die DTM mache. Am Ende des Tages bin ich wieder stark angehängt, aber die eine Seite, der Motorsport, lässt mich nicht los, und die Firmen sind halt meine Firmen, und daher bleibt mir nichts anderes übrig, als dass ich schau, dass ich das Ganze unter einen Hut bring.

»Man fühlt sich dort wohl, wo man geboren wurde und aufgwachsen ist«

Wie fühlen Sie sich in Ihrer alten Heimat Tirol - geht Ihnen Monaco in irgendeiner Art und Weise ab?
Geht mir überhaupt nicht ab. Wenn man jünger ist, versteht man die älteren Leute nicht, wenn sie sagen: back to the roots. Aber es ist wirklich so. Man fühlt sich halt dort wohl, wo man geboren wurde und aufgewachsen ist. Ich bin rundherum glücklich in Tirol. Der jetzige Lebensabschnitt ist genau richtig für mich.

Wie sehen Sie die Zukunft der DTM? Eventuell mit einer Verknüpfung mit der japanischen Super-GT-Serie?
Wir wollen die DTM weiter ausbauen, das ist das Ziel. Sie soll internationaler werden. Die Kooperation mit der Super GT ist dabei ein wichtiger Faktor. Die Basis ist gelegt. Aston Martin, Audi, BMW, Honda, Nissan und Toyota -sechs große Marken bauen leistungsstarke, attraktive Rennautos nach demselben Reglement. Beim Saisonfinale der DTM in Hockenheim fahren drei japanische Autos bei uns mit, im November veranstalten wir dann ein ge m e i n s a m e s Non-Champion-Event in Fuji. Das wird ein Leckerbissen für Race-Fans.

Ihnen steht im August ein runder Geburtstag ins Haus - wie stellen Sie sich dem Sechziger?
Ich hab gemischte Gefühle. Einerseits möchte ich mich am liebsten verkriechen, das wird wahrscheinlich auch passieren, weil der Sechziger ist eine harte Ansage. Andererseits freue ich mich, wenn ich aus diesem Anlass meine Freunde sehe. Ich hab keinen klaren Plan und lass einmal alles auf mich zukommen.

Zur Person: Gerhard Berger wurde am 27. August 1959 in Wörgl geboren. Er bestritt von 1984 bis 1997 201 Rennen in der Formel 1, wovon er zehn gewann. Nach seiner Fahrerkarriere war er bis 2003 Motorsportdirektor bei BMW, von 2006 bis 2009 Mitbesitzer des Toro-Rosso-Teams, seit 2017 ist er DTM-Chef. Er hat vier Töchter und einen Sohn und lebt mit seiner Partnerin Helene in Tirol.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 18/2019) erschienen.