Aus Ampelträumen gerissen

Die SPÖ kann nicht mehr von einem baldigen Urnengang und einer Koalition mit Neos und Grünen ausgehen. Zu viel hat sich durch die Wahlen in diesem Herbst geändert.

von Politische Analyse - Aus Ampelträumen gerissen © Bild: Privat

ANALYSE

Neuwahlen-Rufe aus der SPÖ sind selten geworden. Bis in den Sommer hinein verging kaum ein Tag ohne einen solchen. Pamela Rendi-Wagner, die Vorsitzende, hatte sich schon als Kanzlerkandidatin in Stellung gebracht. Umfragen vermittelten den Eindruck, dass sie beste Chancen hat, sich durchzusetzen. Der burgenländische Landeshauptmann, Hans Peter Doskozil (SPÖ), forderte, offensiv den Übergang zu einer Ampelkoalition mit Neos und Grünen zu propagieren. Vorerst hat sich das jedoch erledigt.

Nach Bundespräsidenten-und mehr noch Tirol-Wahl hat sich die türkis-grüne Regierung unter Führung von ÖVP-Chef Karl Nehammer stabilisiert. In ihren Reihen glaubt man wieder, bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2024 durcharbeiten zu können. Die massiven Verluste der Tiroler Volkspartei ließen sich als Achtungserfolg verkaufen, weil sie sich auf rund zehn Prozentpunkte beschränkten und nicht, wie da und dort vorhergesagt, doppelt so groß ausfielen. In Niederösterreich kann man hoffen, bei der Landtagswahl Anfang des kommenden Jahres mit Johanna Mikl-Leitner an der Spitze ein passables Ergebnis zu erreichen. Und zwar ohne auf Bundesebene aufzuräumen, um so eine bessere Stimmung fürs Land zu erzwingen. Worüber man auch in dieser Hinsicht froh ist: In Zeiten wie diesen, in denen Krieg in Europa herrscht, die Energieversorgung gefährdet ist und mehr und mehr Menschen unter der Teuerung leiden, könnten parteipolitisch motivierte Spielereien bei sehr vielen Wählern ganz übel ankommen; sie könnten sich rächen.

Da muss auch die SPÖ mit Rendi-Wagner vom vermeintlichen Sprungbrett ins Kanzleramt heruntersteigen. Insider meinen, dass das vielleicht sogar ein Glück für sie ist: Ob die Partei jetzt wirklich Platz eins schaffen könnte und sich eine Ampelkoalition ausgehen würde, scheint ungewiss. Man entfernt sich davon. Erstens: Nicht nur, dass der SPÖ mit Neos und Grünen eine gemeinsame Erzählung fehlt, die über eine Verabschiedung der ÖVP auf die Oppositionsbank hinausgeht. Es gibt zunehmend auch Spannungen zwischen den Parteien: Die SPÖ lehnt die CO2-Bepreisung ab, die den Grünen wichtig ist; und die Neos wollen den Korruptions-U-Ausschuss auslaufen lassen, was die SPÖ empört.

Durch Wlazny alarmiert

Zweitens: Bei der Tirol-Wahl haben die Grünen verloren, und SPÖ sowie Neos sind unter den Erwartungen geblieben. Bei der Bundespräsidenten-Wahl haben Rendi-Wagner und Genossen für Van der Bellen geworben. Laut Sora-Institut haben dennoch mehr als 120.000 Anhänger ihrer Partei rechte Gegenkandidaten unterstützt. 150.000 Wähler von Neos und Grünen haben ihre Stimme Dominik Wlazny gegeben. Das sind Alarmsignale für die drei Parteien: Neben ihnen existieren Potenziale, die für sie gefährlich sind.

ZAHL

Jung und Alt wachsen auseinander

Beim Wahlverhalten unterscheiden sich Jüngere und Ältere immer stärker voneinander: Hätten allein unter 30-Jährige das Sagen, Bundespräsident Alexander Van der Bellen wäre nicht schon im ersten Wahlgang im Amt bestätigt worden. Er hätte sich einer Stichwahl stellen müssen. Dort wäre ihm Dominik Wlazny gegenübergestanden. Laut Sozialforschungsinstitut Sora musste sich Van der Bellen in dieser Altersgruppe mit 47 Prozent begnügen, während Wlazny auf 20 Prozent kam -und damit sogar auf mehr als FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz (13). In Tirol hätte die Volkspartei nach der Landtagswahl im September nicht den Führungsanspruch erheben können. Sie hätte sich mit 17 Prozent sowohl Freiheitlichen (24) als auch Sozialdemokraten (21) geschlagen geben und sich vielleicht sogar auf die Oppositionsbank verabschieden müssen. Ältere haben dafür gesorgt, dass es anders gekommen ist.

Wahlverhalten nach Alter bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 in Prozent
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Kein Generationenkonflikt

Hier spielt sich kein Generationenkonflikt ab. Es geht um divergierende Verhältnisse mit der Politik: Jüngere haben so gut wie keine Bindung mehr an Parteien. Laut einer Ö3-Erhebung vom Frühling sehen sie sich außerdem mit großen Unsicherheiten, von Krieg bis Klimakrise, konfrontiert, fühlen sich gleichzeitig aber mit ihren Problemen alleingelassen. Nur sechs Prozent haben bei der Erhebung angegeben, sie würden von der Politik gut vertreten. Sprich: 94 Prozent empfinden dies nicht so. Kein Wunder: Für die Politik sind Ältere schon allein aufgrund ihrer Masse relevanter. Nur jeder sechste Wahlberechtigte ist unter 30, jeder dritte aber ab 60 -und darunter finden sich noch treue Stammwähler. Nötige Pensionsanpassungen gehen daher eher durch als etwa Programme für bessere Universitäten und Schulen. Bei der Bundespräsidenten-Wahl hat Van der Bellen die Antwort der Jüngeren dafür bekommen, bei der Tirol-Wahl die Volkspartei.

BERICHT

Schulden sind nicht mehr egal

Österreich steuert auf einen deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung zu: Infolge der weitgehenden Abschaffung der kalten Progression fehlen in den kommenden Jahren nicht nur Einnahmen in Milliardenhöhe, es wird auch höhere Ausgaben geben. Für Sozialleistungen genauso wie für Landesverteidigung.

Zuletzt sind Schulden eher egal gewesen. Dass sie etwa in der Coronakrise stark zugenommen haben, wurde nicht weiter thematisiert. Dafür gibt es Gründe. Es liegt nicht nur am Hang der Politik, Unpopuläres zu verdrängen, sondern auch daran, dass neue Schulden kaum noch etwas kosten.

Daten, die die Nationalbank für den Bund führt, verdeutlichen dies eindrucksvoll. Obwohl sich der Schuldenstand seit 1990 vervierfacht hat, wird für heuer ein so niedriger Zinsaufwand erwartet wie damals. Er dürfte rund vier Milliarden Euro betragen. Zwischenzeitlich ist er auf bis zu siebeneinhalb Milliarden Euro geklettert und damit einer der größten Budgetposten gewesen. Mittlerweile ist er nicht vernachlässigbar, aber relativ klein -nicht einmal halb so groß wie Bildung, Arbeit oder Zuschüsse zur Pensionsversicherung.

Zinsen steigen wieder

Zurückzuführen ist das auf ein sehr niedriges Zinsniveau bzw. die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie die gute Bonität der Republik. Damit ist es jedoch vorbei, wie das Finanzministerium unter anderem schon in einem Ausblick auf die Entwicklungen bis 2025 festhält. Das bedeutet, dass Schulden längerfristig wieder teurer und allmählich auch wieder zu einem echten Problem werden.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at