Alles Wahlkampf

Den Umgang der Politik mit Flüchtlingen, Corona und Energiekosten kann man nur verstehen, wenn man dies berücksichtigt: In vier Bundesländern wird demnächst gewählt, das Werben um zweieinhalb Millionen Stimmen ist längst eröffnet.

von Kolumne - Alles Wahlkampf © Bild: Privat

Tausende ukrainische Flüchtlinge kommen laut offiziellen Stellen täglich in Österreich an, darunter in erster Linie Frauen und Kinder. Hier zu helfen, ist eine "Selbstverständlichkeit", sagt der FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl, um ein großes "Aber" hinzuzufügen: Schwere Zeiten würden besondere Maßnahmen erfordern. Ab sofort werde es eine "Asyl-Triage" geben: Für junge Männer aus Syrien und Afghanistan werde es in seinem Land kein Quartier mehr geben.

Diese Ankündigung ist ernst zu nehmen. Waldhäusl, von Zivilberuf Landwirt, ist nicht irgendein Oppositioneller, sondern Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung. Als solches ist der 56-Jährige für Flüchtlingsangelegenheiten zuständig. Schon in der Vergangenheit sendete er einschlägige Signale aus. 2018 ließ er minderjährige Asylwerber fernab von jeder Metropole im kleinen Drasenhofen (Bezirk Mistelbach) unterbringen. Und zwar hinter Stacheldraht. Die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft ihm Amtsmissbrauch vor, in St. Pölten läuft ein Prozess. Waldhäusl ist überzeugt, vernünftig gehandelt zu haben. Die "Asyl-Triage" hat er nun auf einer Pressekonferenz halb als Landesrat, halb als Parteipolitiker präsentiert. Auf Plakaten hinter ihm zu sehen war nicht nur das blau-gelbe Niederösterreich-Logo, sondern auch sein Porträt mit dem Slogan " Sicherheit mit Hausverstand". Es ist kein Zufall, dass das an eine Kampagne erinnert, die wahrgenommen werden möchte: In spätestens einem Jahr findet eine Landtagswahl statt. Möglicherweise wird es schon in wenigen Monaten so weit sein.

Unpopuläres ist tabu

Darauf ist alles ausgerichtet. Bei Politikern in Niederösterreich, aber auch weit darüber hinaus: Bis Anfang 2023 wird außerdem in Tirol, Kärnten und Salzburg gewählt. In Summe geht es um mehr als zweieinhalb Millionen Stimmen. Das entspricht vier von zehn, die österreichweit existieren. Da kann es nicht überraschen, dass selbst die Bundespolitik mehr und mehr allein darauf achtet. Unpopuläre, vielleicht aber erforderliche Maßnahmen, in welchem Zusammenhang auch immer? Nur ja nicht, solange sie sich irgendwie vermeiden lassen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beispielsweise kann es nicht egal sein, welche Themen aus Wien in die Wahlkämpfe hineinspielen. Parteikolleginnen wie die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner brauchen günstige Rahmenbedingungen. Es ist Nehammers Job, dafür zu sorgen. Sonst riskiert er, für eine allfällige Niederlage am Ende gar verantwortlich gemacht zu werden.

Vor diesem Hintergrund kann man Maßnahmen wie die Abfederung von Energiekosten oder auch das Chaos bei Corona nur nachvollziehen, wenn man den größeren Kontext miteinschließt: Entscheidend ist weniger denn je, was inhaltlich vernünftig erscheint; es geht um die zweieinhalb Millionen Stimmen, die bei den Landtagswahlen gewonnen, gehalten oder auch verloren werden können.

Die Flüchtlingspolitik ist hier keine Ausnahme: Natürlich betonen alle, dass Menschen aus der Ukraine selbstverständlich aufgenommen werden. Türkise haben gegenüber ihrer Anhängerschaft jedoch Erklärungsbedarf: Unter Sebastian Kurz gingen sie dazu über, von der Schließung einer Balkan-und auch einer Mittelmeerroute zu reden. Damit vermittelten sie den Eindruck, Wege nach Österreich blockiert zu haben. Das taten sie gezielt und mit Erfolg insofern, als sie den Freiheitlichen dadurch Tausende Stimmen abnahmen und so zu ihren Wahlerfolgen kamen.

»Im Lichte der Landtagswahlen geht es der Politik nicht darum, sozial treffsicher zu helfen. Entscheidend ist für sie, die Masse zu entlasten«

Jetzt rächt sich das: Die "Asyl-Triage", von der Waldhäusl spricht, ist bezeichnend für den freiheitlichen Versuch, den Spieß umzudrehen und möglichst viele Wähler wieder zurückzuholen. Mikl-Leitner wagte es nicht, den Landesrat umgehend wie direkt zurechtzuweisen. Im Wissen, dass der gegenwärtige Kurs für einen Teil ihrer Wählerschaft irritierend sein könnte, betonen sie und andere Türkise, dass es bei Ukrainern um "Nachbarschaftshilfe" gehe und dass in ihrem Fall auch Religion und Kultur eine Rolle spielen würden. Das mache den Unterschied zu Syrern und Afghanen. Als wären Menschenrechte nicht universell.

Verhängnisvolle Coronawellen

Stattfinden müssten die Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg erst Anfang 2023. Dazu kommen könnte es schon eher. Etwa im September, weil Wahlkämpfe vom Spätherbst bis zum Frühjahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Coronawellen getrübt wären. Vor allem aber, weil dann die Impfpflicht wieder gelten könnte. Das würde der gegnerischen Liste MFG in die Hände spielen. Und was das bedeuten kann, hat die niederösterreichische Volkspartei Ende Jänner bei der Gemeinderatswahl in Waidhofen an der Ybbs erfahren: Die Liste gewann hier allein auf ihre Kosten 17 Prozent. Selbst wenn es sich auf Landesebene um viel weniger handeln würde, wäre die absolute Mandatsmehrheit der ÖVP dahin.

Auch für die Tiroler ÖVP von Landeshauptmann Günther Platter wäre eine Wahl im Winter alles anders als günstig: Beginnend bei "Ischgl" und "Wir haben alles richtig gemacht"-Beteuerungen hat ihr die Pandemie schon ordentlich zugesetzt. Sie, die in ihren besten Zeiten an Zweidrittelmehrheiten herankam und 2018 immerhin noch 44 Prozent erreichte, muss heute mit erheblichen Verlusten rechnen. Platter steht unter Druck. Nicht wenige Parteifreunde haben sich schon nach seinem Abgang gesehnt. Wissend, dass es "wahrscheinlich" ohnehin nicht realisierbar ist, sprach sich Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser für eine elegante Lösung aus: Platter hätte aus der Landespolitik weggelobt und Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl werden sollen. Stand heute wird der 67-Jährige die ÖVP jedoch ein letztes Mal in eine Landtagswahl führen.

Das Problem der Länder ist, dass Corona unberechenbar ist. Jederzeit kann es eng werden. Darunter leidet nicht nur der gerade amtierende Gesundheitsminister. In Niederösterreich verzeichnet das Klinikum Baden-Mödling zurzeit so viele Personalausfälle, dass es sich gezwungen sieht, planbare Eingriffe auszusetzen. Es herrscht Notbetrieb. Ein solcher könnte von der Bevölkerung wiederum als Zeichen gesehen werden, das für politisches Versagen steht. Das ist nicht ungefährlich für die Regierenden.

Geldregen zur Ablenkung

Unter diesen Umständen ist die Verlockung groß, es bei populären Maßnahmen, die möglich werden, zu übertreiben und so ein bisschen abzulenken. Zwei Milliarden Euro wird der Bund lockermachen, um steigende Energiekosten abzufedern. Den Grünen um Klimaschutzministerin Leonore Gewessler war es wichtig, dass die CO2-Bepreisung, die ab dem Sommer für einen weiteren Preisschub sorgen wird, bleibt. Das erleichterte es Finanzminister Magnus Brunner und der ÖVP, einen größeren Geldregen einzuleiten: Beim Pendlerpauschale kommt es zu einer 50-prozentigen Erhöhung. Eine Ökologisierung bleibt ebenso aus wie eine Ausweitung der sozialen Treffsicherheit. Auch Spitzenverdiener, die mit dem SUV zur Arbeit fahren, obwohl sie dies genauso gut mit Bus und Bahn tun könnten, werden stärker gefördert. Erdgas- und Elektrizitätsabgabe werden um 90 Prozent gesenkt. Und zwar auch für die obersten Haushalte, die viel Geld und einen größeren Energieverbrauch haben, bei denen die Kosten aber kaum ins Gewicht fallen - eine Entlastung also gar nicht nötig wäre.

Aber das mit der Notwendigkeit ist halt relativ: Im Lichte der Landtagswahlen geht es nicht darum, wer wirklich Hilfe braucht, sondern darum, alle Haushalte und auch Pendler zu entlasten. Damit erreicht man Hunderttausende doppelt: Allein in Niederösterreich, Tirol, Salzburg und Kärnten gibt es 1,1 Millionen Pendler.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at