Spitzentöne
Ehre den letzten
Dramatikern!
Irrationale Branchenübereinkünfte: Inwiefern ist ein Dramatiker ein schlechterer Dichter als ein Erzähler oder Lyriker?
Als anno 1997 Dario Fo mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, erging sich das Feuilleton in konsensualer Häme: Die Wahl eines Komödienautors, überhaupt eines Dramatikers markiere den Tiefpunkt in der Geschichte dieser Auszeichnung. Ähnliches erfuhr später Harold Pinter. Das ist eine der irrationalen Branchenübereinkünfte: Inwiefern ist ein Dramatiker ein schlechterer Dichter als ein Erzähler oder Lyriker? Shakespeare wäre demnach zu seinem Glück vor der Stiftung des Nobelpreises verstorben - gegen dessen Träger Sully Prudhomme, Bjørnstjerne Bjørnson oder Rudolf Eucken wäre er chancenlos geblieben. Folgerichtig wurden diese spurlos in der Literaturgeschichte Versunkenen auch den Zeitgenossen Horváth, Ibsen und Brecht vorgezogen. Das Unrecht wiegt umso schwerer, als echte Doppelbegabungen selten sind. Womit ich endlich beim Anlass dieser Ausführungen bin: Soeben wurde an der "Josefstadt" das Stück "Heilig Abend" des großen Romanciers Daniel Kehlmann uraufgeführt. Der Plot ist interessant, die Personen sprechen gut gearbeitete Sätze. Dem Ganzen fehlt nur eines: der Schwung des Genialen, der Kehlmanns Prosa über das Interessante und gut Gearbeitete erhebt. Ehren wir also das Können der paar letzten echten Dramatiker, statt, wie gerade in Mode, das Theater durch Romandramatisierungen zu pervertieren.