Die Reise nach Newsroomalem

Kaum wirkt die Außenbedrohung abgewehrt, steht die Innenbeschäftigung im Vordergrund. Im ORF, demnächst auf neuer gesetzlicher Basis, dreht sich wieder das Personalkarussell - vor allem um Unterhaltung und Ö3 sowie die neue Chefredaktion

von Medien & Menschen - Die Reise nach Newsroomalem © Bild: Gleissfoto

Noch gibt es keine Ausschreibung, doch schon werden Favoriten für vakante Jobs gehandelt. Die von Geschäftsführer Clemens Pig in lichte wirtschaftliche Höhen geführte APA ist zwar soeben zur umsatzstärksten national tätigen Nachrichtenagentur-Gruppe Europas geworden, könnte aber ihren obersten Journalisten an den größten Genossenschafter verlieren: Johannes Bruckenberger gilt als ein Wunschkandidat von Generaldirektor Roland Weißmann für die neu zu besetzende Chefredaktion auf dem Küniglberg. Ein solcher Sprung vom 75-Millionen- zum Milliarden-Unternehmen hätte äußere Logik. Auch der Favorit für die bereits ausgeschriebene Leitung der Hauptabteilung Unterhaltung verfügt über Erfahrung im Backen kleinerer Brötchen: Martin Gastinger erwarb sie bei ATV und ServusTV. Das lupenreine ORF-Eigengeschöpf Weißmann schätzt externe Expertise. Die Rückholung von Programmdirektorin Stephanie Groiss-Horowitz von Puls 4 war ein erstes Indiz dafür.

Während die Betroffenen von Pig bis Bruckenberger schweigen, kocht in der öffentlich-rechtlichen Gerüchteküche die Suppe über. Jede externe Besetzung bedeutet eine interne Figur weniger auf dem Schachbrett der Chefredaktion, wo seit dem unfreiwilligen Wandel von Matthias Schrom (Fernsehen) zum Smart Producer und dem Wunschwechsel von Hannes Aigelsreiter (Radio) zum Sportchef ihre Stellvertreterinnen Eva Karabeg und Gabi Waldner TV und Hörfunk interimistisch leiten. Nach der multimedialen Zusammenführung im Medien-Campus ist nur Christian Staudinger (Online) in seiner Position geblieben. Das erleichtert Weißmann eine Neuformation, von der nur wenige Eckpunkte als gesetzt gelten: Die neue Chefredaktion bleibt sechsköpfig, muss aber in stärkerer Verschränkung von Fernsehen, Radio und Digitalem agieren. Zudem scheint das geschlechtliche Verhältnis von 3:3 fix zu sein. Sollte Bruckenberger zum Zug kommen und Staudinger sich wieder bewerben – er wartet die Ausschreibung ab – wird es schon eng. Denn beide werden kaum mit Stellvertreter-Positionen zufrieden sein. Und dann ist da zumindest noch Sebastian Prokop, der Leiter des zentralen Newsdesk.

Für die drei weiblich zu besetzenden Stellen kursieren hingegen mehr Namen, als es Posten gibt. In der Logik von Außenerfahrung à la Gastinger und Bruckenberger gilt "Report"-Redakteurin Julia Ortner als chancenreich, die nach "Presse", "Falter" und der "ZiB2" bei "News" Führungserfahrung sammelte und dann Podcasts produzierte. Auch Brüssel-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter und "Hohes Haus"-Moderatorin Rebekka Salzer sind im Name-Dropping der "Reise nach Newsroomalem".

Am munteren Kandidaten-Catchen könnten sich aber noch zuhauf bisher Ungenannte beteiligen, weil die Ausgangslage vorerst kaum berechenbar erscheint. Denn statt Radio, Fernsehen und Online dürfte die Dreiteilung künftig Sendungsteams, Fachressorts und Newsdesk lauten. Ohne den Wortlaut der Ausschreibung zu kennen, wagt sich trotz der Bruckenberger-Außenbedrohung kaum jemand aus der Küniglberg-Deckung. Weißmann wiederum spielt eine vorentscheidende Partie um seine allfällige zweite Funktionsperiode. Die Wahl im ORF ist erst 2026, also deutlich nach jener zum Nationalrat. Der Alleingeschäftsführer muss alle Koalitionsvarianten samt Auswirkung auf die Mehrheitsverhältnisse im aktuell türkis dominierten Stiftungsrat unter dem grünen Vorsitzenden Lothar Lockl mitdenken.

Gelingt Weißmann durch die neue Chefredaktion ein Coup, erhält er auch mehr Spielraum in der obersten Führungsebene. Denn noch ist der General nominell auch Informationsdirektor. Diese Chefsache ist taktisch ähnlich ungeschickt wie einst Sebastian Kurz Zusatzfunktion als Medienminister. Denn die Information ist der Hauptangriffspunkt jeder parteilichen Intervention. Deshalb lässt sich Weißmann, der lieber hinter den Kulissen agiert, in der öffentlichen Diskussion oft von Ingrid Thurnher vertreten. Der Bildschirm-Promi erscheint jedoch in der Rolle der Radiodirektorin fachlich nicht ideal besetzt. Sie könnte zu Info-Direktorin avancieren, nachdem der Nachfolger des weichenden Ö3-Chefs Georg Spatt gefunden und die neue Chefredaktion des ORF bestellt ist. Kandidaten dafür werden also nach der Ausschreibung vielleicht wissen, was auf sie zukommt – aber nicht, wer bald direkt über ihnen thront.