Marcus Hinterberger: Über Nacht zum Star

Die Erregung etlicher Ischgler über sein Lied machte Marcus Hinterberger über Nacht zum Star. Die kuriose Geschichte eines Hits, der im Shitstorm entstand.

von Marcus Hinterberger: Über Nacht zum Star © Bild: Marcus Hinterberger

Ein Student bringt sich zum Zeitvertreib Gitarrespielen bei. Er mag das Liedgut von John Lennon, Elvis Presley und Falco und spielt Coverversionen ein. Manche lädt er zum Spaß auf YouTube hoch. Während des ersten Lockdowns schreibt er eigene Dialekt-Texte. Er parodiert das Lockdown-bedingte Leid einer Paarbeziehung und macht sich über das legendäre Ibiza-Video lustig. Jeweils über 5.000 Aufrufe generieren die Lieder, vom großen Durchbruch ist der Student aber weit entfernt.

Dann hörte er im Sommer Berichte über die neue Strategie jenes Skiorts, der im März als Epizentrum europäischer Corona-Verbreitung Schlagzeilen gemacht hatte -sowie als Beispiel für PR-Desaster. Mit Luxus-Tourismus planten die Ischgler Hoteliers, wieder zahlungskräftige Touristen anzulocken. Die Nachricht erheiterte den Studenten, und er schrieb auch diesmal ein Lied darüber, den "Ischgl-Blues".

"Mei Vater, der war Bauer, aber i bin Hotelier, weil i foar mit mein Porsche mit an Hunderter durchs Ortsgebiet", heißt es darin. "Also sitzen ma in da G'meinde und überleg'n die Strategie, und auf oanmal kimmt's ma g'schoss'n, mir mach'n Luxus-Après-Ski. () Ja wie sich die Zeiten ändern, aber die Piefke holt ma immer no am Schmäh", lauten andere Zeilen. Die Chose wäre mit abermals 5.000 YouTube-Aufrufen erledigt und der junge Mann weiterhin bloß Student von Regie und Schauspiel für Theater und Film an der Athanor-Akademie in Passau. Hätten die Ischgler nicht dafür gesorgt, dass nun ganz Österreich Marcus Hinterberger kennt.

© Marcus Hinterberger Marcus Hinterberger in der Bergwelt seiner Salzburger Heimat

Sie versahen Hinterbergers Facebook-und YouTube-Kanal mit einem Shitstorm von epischem Ausmass. Er und seine Familie wurden Zielscheibe etlicher untergriffiger, gehässiger Postings. Überwältigt löscht der Sänger in einer ersten Reaktion das Video, das er am heimatlichen Bernkogel in Saalbach-Hinterglemm aufgenommen hatte. Bis heute kann er die Aufregung nicht nachvollziehen. "Damit hätte ich nie gerechnet. Mein Song könnte in jedem Ski-Party-Ort spielen. Da diese Vorschläge des Luxus-Tourismus aber aus Ischgl kamen, wurde es Schauplatz meines Liedes", erklärt er.

Keineswegs sei sein Lied eine Kampfansage an Ischgl, sagt er, sondern die Beschreibung einer grundsätzlichen Entwicklung im Wintertourismus. Das würden einige positive Reaktionen aus Ischgl ebenso zeigen wie negative Kritik aus anderen Orten, deren Hoteliers sich offenbar auch angesprochen fühlten.

»Das ist doch die Königsdisziplin der Kunst: eine öffentliche Debatte anzustoßen«

Angesprochen fühlten sich auch die Vorstände der Silvretta-Bergbahnen-AG, Markus Walser und Günther Zangerl, und zwar lange nachdem Hinterberger sein Lied gelöscht hatte. Sie schickten ihm einen kuriosen Brief, in dem sie ihm erst satirisch einen Vorstandsposten anbieten, sollte er Porsche fahren können. Später ist die Rede vom "niveaulosen ,Werk' eines in seinen Aussagen schlicht primitiven und im Übrigen nicht einmal sonderlich witzigen Möchtegernkünstlers". Zudem warfen sie ihm vor, sich ausgerechnet als Mitglied einer Hoteliersfamilie auf Kosten der Ischgler ein paar Klicks verdienen zu wollen.

Eine gerahmte Beleidigung

Der Brief hängt heute gerahmt in der Wohnung des Studenten. Er brachte den Wendepunkt, an dem das Lied durch die Decke ging. Hinterberger vertraute sich verärgert dem kritischen bayrischen Liedermacher Hans Söllner an. Der stärkte ihm den Rücken und postete das Video auf seiner Facebook-Seite. Im Begleittext lobte er Hinterberger ("Genial gesungen!") und verwies darauf, dass "die Wahrheit immer dem wehtut, der sich in dieser Wahrheit als Lügner ertappt fühlt". Söllners Wort begleiteten Hinterberger zum Triumph: Das abermals gepostete Video holte über 100.000 Aufrufe, und Hinterbergers Geschichte wurde Schlagzeilen-tauglich.

Die Familie als Stütze hinter sich zu wissen, gab dem 20-Jährigen während der turbulenten Tage viel Kraft. Richtigstellen muss er diesbezüglich falsche Behauptungen seitens seiner Kritiker. "Die haben anscheinend nicht nur Nachholbedarf in der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch in der Recherche", sagt Hinterberger. "Ich bin kein Hoteliers-Sohn. Ein Teil meiner Familie betreibt ein Hotel und eine Après-Ski-Hütte, meine Eltern betreiben aber Schuhgeschäfte." In Saalbach nimmt ihm den kritischen Blick auf den Wintertourismus offenbar niemand krumm. "Zu den Einheimischen hat meine Familie ein sehr gutes Verhältnis", beschreibt der Neo-Star.

In Saalbach, an "einem der schönsten Orte der Welt", aufgewachsen zu sein, beschreibt er als Geschenk und Privileg. "Man wächst scheinbar selbstverständlich in einer Region auf, wo viele Menschen sehr viel Geld zahlen, um dort Urlaub zu machen, und entwickelt ein ganz eigenes Gespür für die Natur und die Berge. Gleichzeitig sieht man, wie sich der Ort durch den Tourismus zum Positiven sowie zum Negativen verändert hat. Ich finde, gerade weil ich diesen Background habe und die Strukturen in einem Skiort kenne, sehe ich mich dazu berechtigt, über diese Themen zu singen", beschreibt er noch seine Haltung.

Mehr Mut zu neuen Taten

Viel wichtiger ist ihm jedoch, mit gestärktem Mut aus der teilweise doch unangenehmen Angelegenheit zu gehen. "Hans Söllner ist jedenfalls ein großes Vorbild, indem er zu seiner Meinung steht und sie verteidigt. Er hat mich motiviert, meinen Weg weiterhin zu verfolgen und mich nicht aufgrund von überheblichen Briefen einschüchtern zu lassen", zieht er sein Fazit. Hinterberger: "Als Querdenker hat man es nie leicht, schon gar nicht, wenn man Themen aufgreift, die auf den ersten Blick als Tabu erscheinen. Doch wenn man es tut und der Mehrheit aus der Seele spricht, beginnt man, auch darüber zu diskutieren. Und das ist schließlich die Königsdisziplin der Kunst: eine öffentliche Debatte anzustoßen."

Der Beitrag erschien ursprünglich im News der Ausgabe 48/2020.