Die Hochstaplerin, die New
Yorks Society austrickste

Anna Sorokin brauchte nur ein Jahr, um als schillerndste Betrügerin der westlichen Welt die Schlagzeilen zu dominieren. Derart gewaltig ist die Strahlkraft ihrer Geschichte, dass sie gleich mehrere Erzählungen verträgt.

von Wahre Geschichte - Die Hochstaplerin, die New
Yorks Society austrickste © Bild: imago images/ZUMA Wire

Dazu gehören der bereits erschienene Bestseller eines Betrugsopfers, eine Netflix-Serie, eine weitere TV-Serie des Senders HBO sowie ein mehrteiliger BBC-Podcast und ein Theaterstück am Londoner West End. Dass die Protagonistin und ihre Lebensgeschichte dabei ausschließlich in den Händen von Stars erster Güte liegen, dürfte Sorokin für angemessen halten.

© 2020 Bauer-Griffin/Getty Images Julia Garner spielt die Hochstaplerin in der neuen TV-Produktion

Die Emmy-gekrönte Schauspielerin Julia Garner, die Golden-Globedekorierten Kolleginnen Lena Dunham und Emma Corrin sowie "Grey's Anatomy"-Millionärin Shonda Rhimes erzählen schließlich die Geschichte einer 30-Jährigen, die sich ausschließlich in Luxushotels wie The Mercer, W New York oder 11 Howard bettete, per Privatjet reiste und dem Concierge gern als Geste Champagner schicken ließ. Mit nichts außer einem erfunden 72-Millionen-Dollar-Treuhandfonds im Rücken.

Schamlose Lügen als Erfolgsrezept

Als starken Charakter mit einem Grundgerüst aus Hochmut beschreibt "Vanity Fair"-Redakteurin Rachel DeLoache Williams die Betrügerin. "Sie war schrullig und launisch und behandelte Servicepersonal harsch. Meistens verhielt sie sich wie ein verwöhntes Kind, das noch nie im Leben ein Nein gehört hat", so Williams.

»Anna trat schamlos ehrgeizig auf. Das hat mich beeindruckt«
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Die Redakteurin hat durch Anna Sorokins Betrügereien 67.000 Dollar verloren und war maßgeblich daran beteiligt, sie vor Gericht zu bringen. 2017 hatte Sorokin sie zu einem Urlaub nach Marokko eingeladen und dort überredet, "vorübergehend" die Rechnung für das noble Hotel "La Mamounia" zu übernehmen. Wie es so weit kommen konnte? Williams: "Anna trat schamlos ehrgeizig auf. Das hat mich beeindruckt."

Sie vereehrte Marie Antoinette

Williams' Schilderung passt zum Weltbild, aus dem heraus Sorokin schon als Teenager einen Essay über Marie Antoinette verfasste. "Verbrecherin oder Opfer?", fragte sie in diesem Werk über die gefühlsarme Königin Frankreichs. Ein Tattoo an ihrem rechten Handgelenk zeugt von Sorokins Verehrung für Marie Antoinette. Natürlich sei die Königin ein Opfer gewesen, bekräftigte sie vergangenen März im Interview mit "Tatler".

Die perfekte Täuschung

Sorokins Biografie verrät nichts darüber, woher ihr an Größenwahn gemahnendes Selbstbewusstsein stammen könnte. Die spätere Hochstaplerin kam als Tochter eines Lkw-Fahrers und einer Kleinunternehmerin in der Stadt Domodedovo im Südosten von Moskau zur Welt.

Die wahre Geschicht wird zum TV-Hit
Die Popkultur liebt die Hochstapler-Erzählung: Aktuell wird Sorokins Geschichte von Netflix-Produzentin Shonda Rhimes mit Julia Garner (li.) in der Hauptrolle verfilmt. Lena Dunham arbeitet an einer Serie für HBO. Sorokins Opfer Rachel DeLoache Williams verfasste den Bestseller "My Friend Anna". Am Londoner West End läuft ab 10. Juli ein gesellschaftskritisches Stück mit Emma Corrin als "Anna X"

Sie war 16, als die Familie nach Eschweiler in Deutschland zog. Nach dem Schulabschluss an einem katholischen Gymnasium versuchte sie sich als Modestudentin in London, kehrte aber nach kurzer Zeit zurück nach Deutschland.

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Sie jobbte in einer PR-Firma und zog für ein Praktikum beim Magazin "Purple" nach Paris. Dort änderte sie ihren russischen Nachnamen in das kosmopolitisch klingende "Delvey". Es war der Name, mit dem sie samt erfundener Biografie ab 2016 New Yorks High Society aufmischte.

Vater-Lüge: Vom Truckfahrer zum Öl-Milliardär

Ihren Vater beschrieb sie ihren neuen Jet-Set-Freunden wahlweise als russischen Öl-Milliardär oder Solarenergie-Magnaten, der ihr monatlich 30.000 US-Dollar überweise, bevor sie zum 26. Geburtstag satte 72 Millionen Dollar erhalte.

Luxushotels, Nobelrestaurants und hochrangige Geschäftspartner ließen sich fast ein Jahr lang von dieser Erzählung täuschen. Sie gewährten Kredite oder bezahlten diverse Rechnungen, wenn Sorokins Kreditkarte nicht akzeptiert wurde.

Sorokin log mit Stil

Wenn es eng wurde, behalf sich Sorokin mit gefälschten Schecks oder Bankbriefen. Ihre Pläne waren so groß, ihre Trinkgelder und Einladungen in angesagte Restaurants so großzügig, dass man ihr die Milliardärs-Tochter glaubte. Auch, wenn sie hin und wieder vergaß, Rechnungen für Hotels und Privatjets zu bezahlen.

Immerhin plante sie, eine Kunststiftung zu gründen, erzählten ihre Ex-Partner, sowie im historischen Gebäude des Church Missions Houses in Manhattan eine Eventgalerie zu installieren. Ein 80-seitiger Hochglanzfolder bezeugte ihre Pläne und machte sogar Hotelmogul André Balasz zum Geschäftsfreund.

Es war im August 2017, als Redakteurin Williams nach dem Urlaubsbetrug in Marokko die Polizei einschaltete. Weitere Opfer -Hotels und Geschäftspartner -meldeten sich, und der Verhaftung im Herbst 2017 folgte ein Prozess wegen Betrugs und Diebstahls in mehreren Fällen mit einer Schadenshöhe von 275.000 US-Dollar.

»Der ganze Prozess ist eine Beleidigung meiner Intelligenz«

Anna Sorokin wurde im Mai 2019 zu einer Mindeststrafe von vier Jahren Haft verurteilt und im Februar 2021 auf Bewährung entlassen. Seither pflegt sie ihren Instagram-Account und lässt in Interviews kaum Reue spüren. "Der ganze Prozess ist eine Beleidigung meiner Intelligenz", sagte sie dem "Business Insider"."Ich wurde als habgierig dargestellt, dabei hatte ich nur eine Vision, aus der leider nichts geworden ist."

Und Anna Sorokin betonte während ihres Prozesses in New York. "Reue ist ein nutzloses Gefühl". Ändern könne man die Vergangenheit ohnehin nicht mehr

Im April wurde sie von der US-Einwanderungsbehörde festgenommen, weil ihr Visum abgelaufen war. Die Auslieferung nach Deutschland stand im Raum.