Die Demokratie in der Vertrauenskrise

Bei der Aufarbeitung politischer Skandale gilt das Recht auf Unschuldsvermutung. Aber weil inzwischen das Vertrauen in die Politik schwindet, muss die ÖVP handeln.

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Zahlen, die nachdenklich machen: Zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher meinen, die politischen Parteien kümmerten sich nicht um ihre Anliegen. Ein Drittel stimmt der Aussage „Die Demokratie ist die beste Staatsform“ nicht mehr zu. 85 Prozent sind enttäuscht und verärgert von der Politik. Rund 300.000 Menschen in diesem Land sind sowieso Demokratieverweigerer. Diese Umfrageergebnisse listete der Politikwissenschafter Peter Filzmaier dieser Tage bei einer ORF-Diskussion auf. Ein Grund für diese Erosion des Vertrauens: die politischen Skandale der jüngeren Zeit. Durch Chatnachrichten oder Vernehmungsprotokolle sind sie ständige Begleitmusik in der politischen Berichterstattung. Skandale von Freunderlwirtschaft bis Inseratenkorruption werden derzeit aufgearbeitet, in deren Zentrum steht türkise Prominenz vom Ex-Kanzler abwärts. Einige der Protagonisten sind zurückgetreten, andere sind noch im Amt.

„Das Gericht allein entscheidet“, erklärte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zuletzt die Verteidigungslinie der ÖVP. Das stimmt natürlich. Chat-Nachtrichten, Vernehmungsprotokolle, Ermittlungen der WKStA sind genau das – Einzelschritte der Aufarbeitung, anhand derer viel zu oft vorverurteilt wird. Ob und gegen wen am Ende Anklage erhoben wird, und wer dann tatsächlich auch verurteilt wird, hängt davon ab, ob genügend weitere Beweise gefunden werden und wie Nachrichten und Aussagen vom Gericht bewertet werden. Das werden wir erst in ein paar Jahren wissen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung – und die ist keine Floskel.

Ein anderer Satz, der ebenso stimmt: Politische Verantwortung beginnt vor dem Strafrecht. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um den einzelnen Politiker und sein Recht auf faire Ermittlungen, sondern um das Vertrauen in den Staat insgesamt. Die Frage „Schade ich meinem Land?“ ist wichtiger als die Frage „Wer will mir schaden?“

»Wenn die ÖVP das Staatsganze im Auge hat, muss sie reinen Tisch machen«

Niemand tritt gerne zurück. Schon gar nicht in einem Land ohne Rücktrittskultur, in dem der Abgang immer etwas von Schuldeingeständnis, Niederlage und Schwäche hat. Doch wenn die ÖVP und ihr Parteichef Karl Nehammer das Staatsganze im Auge haben, müssen sie reinen Tisch machen. Sauberer sein als alle anderen. Und damit auch die Latte für alle anderen Parteien, die Gesellschaft insgesamt, hoch legen, wenn sich dort fragwürdige Vorgänge offenbaren. Wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Rede dazu aufruft, das Vertrauen in die Demokratie wieder aufzubauen, den „Wasserschaden“ an deren Fundament zu beheben, dann beginnt das mit genau solchen Schritten.

Die anderen Parteien sollten es sich dabei nicht als Zuschauer in ihrer Loge bequem machen. Neben den aktuellen Skandalen ist es der Ton in der Politik, im Parlament, im U-Ausschuss, der viele Menschen abstößt. Und der Verdacht, dass alle anderen ja „auch nicht besser“ seien, wenn es um Skandale geht. Die Politik insgesamt steht auf dem Prüfstand. Schärfere Transparenz- und Parteiengesetze sind ein wichtiger Schritt gegen die vielen Missstände im Land. Noch besser wäre: Die Menschen in der Politik würden strengere Regeln gar nicht erst brauchen.

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