"Die Scheidungsrate in
Österreich wird steigen"

Die wochenlange Quarantäne hat in China wohl für viele Belastungen in der Beziehung gesorgt. Scheidungstermine sind ausgebucht. Die Prognose für Österreich sieht ähnlich trist aus.

von Corona-Folgen - "Die Scheidungsrate in
Österreich wird steigen"
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Der absehbare hohe Scheidungsanstieg in Österreich habe laut Rechtsanwältin Susanna Perl zwei Gründe. Einerseits würden sich die zu bearbeitenden Fälle auf Grund der geschlossenen Ämter aufstauen. Denn derzeit werden nur die dringendsten juristischen Fälle - Scheidungen zählen nicht dazu - bei Gericht verhandelt.

Aufgestaute Konflikte - mit Folgen

Zum anderen würden Paare während der Ausgangssperre viel Zeit auf engstem Raum miteinander verbringen. Aufgestaute Konflikte seien vorprogrammiert. Auch der Blick nach China bestätigt diese Prognose: Nachdem die Quarantänebestimmungen gelockert wurden, hat die Zahl der Scheidungsanträge stark zugenommen.

Die Ruhe vor dem Sturm

Davon ist Österreich, das nach wie vor gegen die Ausbreitung des Virus kämpft, im Moment noch weit entfernt. "Die Leute können nicht anrufen, weil sie mit dem Partnern zusammensitzen in dieser Ausnahmesituation. Wir glauben aber, dass es zu vielen Streitereien und einer höheren Scheidungsrate kommen wird", sagt Rechtsanwältin Susanna Perl, die auf Ehe- und Familienrecht spezialisiert ist.

Darf mein Kind zum anderen Elternteil?

Derzeit beschäftigt die Bevölkerung ein anderes emotionales Thema. So gebe hauptsächlich Anfragen zum Besuchsrecht von Scheidungskindern. Seitens des Justizministerium gilt: Kinder dürfen zu jenem Elternteil gebracht werden, bei dem sie nicht oder nicht hauptsächlich wohnen, weil das unter die Ausnahmebestimmung für die Betreuung und Hilfestellung von unterstützungsbedürftigen Personen fällt.

Extremfälle kommen vor Gericht

"Laut Regierung muss das Besuchrecht eingehalten werden. Jedoch wird dies immer im Einzelfall geregelt", erklärt Perl.

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Ihrer Einschätzung nach würden die meisten Ex-Paare vernünftig handeln, doch es gebe auch jene hochkonfliktbehafteten Fälle, die jetzt jedes Schlupfloch ausnutzen wollen. "Ein Vater der kein Obsorgerecht für seine Kinder hat, hat einfach die Kinder nicht mehr zur Mutter zurückgebracht", nennt die Anwältin ein aktuelles Beispiel in ihrer Kanzlei.

Scheidungsklagen in der Warteschleife

So ein Fall komme freilich auch in Krisenzeiten sofort vor Gericht. Obwohl die Verhandlungen auf ein Minimum reduziert sind. Grundsätzlich müsse man sich auf lange Wartezeiten einstellen. Das gelte auch für Scheidungen. Scheidungsklagen werden den Ehepartnern derzeit nämlich nicht zugestellt.

Unterhaltszahlungen bei Kurzarbeit

Eine weitere dringende Rechtsfragen rund um Familien, Ehe und Scheidung, die die Menschen in der Zeit der sozialen Isolation beschäftigen, ist die nach dem Unterhalt. Sollte ein Unterhaltspflichtiger von Maßnahmen wie etwa der Kündigung oder Kurzarbeit betroffen sein, so können die vereinbarten Unterhaltsbeiträge herabgesetzt werden.

In jedem Fall muss dies individuell geprüft werden. Betroffene müssen dafür einen Antrag beim zuständigen Bezirksgericht stellen. Achtung: Solange nicht gerichtlich über die neu zu schuldenden Beträge entschieden wurde, müssen die bisher festgesetzten Beträge weiter geleistet werden.

Der Staat springt ein

"Falls dies nicht möglich ist, springt der Staat ein und leistet einen Unterhaltsvorschuss. Es wird keine Exekutionsverfahren geben", erklärt Perl. Die Entscheidung der Regierung hält sie für sehr vernünftig, weil beiden Seiten geholfen sei. Allerdings entbinde die staatliche Unterstützung den Schuldner nicht von der Pflicht seinen Unterhalt zu zahlen - wenn auch erst später.

Neue Unterhaltszahlungen - aber wann?

Wie lange es dauert, bis die neuen, geringeren Unterhaltszahlungen bei Gericht durch sind,ist noch unklar. "Die Zustellungen per Post bleiben im Moment aus. Die Anträge bleiben bei Gericht liegen. So kann das Verfahren nicht beginnen", sagt Susanna Perl.

Trotz Stillstand: Klagen jetzt einbringen

Dies werde erst im Mai wieder losgehen, sofern der Virus eingedämmt wird. Tipp: Die Klagen sollten trotzdem eingebracht werden, weil die alle Betroffenen dann zumindest im System vermerkt sind. Österreichs Anwälte sind weiterhin über digitale Kanäle via E-Mail oder Videokonferenzen für ihre Klienten im Einsatz.

Häusliche Gewalt wird steigen

Neben all den bürokratischen Hindernissen, betont Perl einen wichtiges Anliegen. Die häusliche Gewalt, die Ihrer Meinung nach in der Zeit sozialer Isolation genauso ansteigen wird, wie die Scheidungsrate. "Viele Frauen halten dieses Martyrium viel zu lange aus", weiß sie. Auch während der Corona-Krise steht das Wohl der Opfer im Vordergrund.

Opfer werden geschützt!

„Selbstverständlich kann ein Gewalttäter auch jetzt aus der Wohnung weggewiesen werden. Wo dieser für die Dauer der Wegweisung unterkommt, ist dann sein Problem", sagt sie. Einfach die Polizei rufen. Danach werde ein Betretungsverbot ausgesprochen. Tipp: Häusliche Gewalt ist immer auch ein Scheidungsgrund. Für die Dokumention zum Arzt gehen und Fotos machen.

© Richard Tanzer

Zur Person
Mag. Susanna Perl ist seit über 10 Jahren eingetragene Rechtsanwältin und auf Ehe- und Familienrecht spezialisiert. Die 43-Jährige Fachbuchautorin zum Thema Unterhalts- und Ehegüterrecht wurde im „Trend- Anwaltsranking“ bereits zwei Mal unter die Top 10 der besten Familien- und Erbrechtsrechtsexperten Österreichs gewählt. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Dr. Clemens Gärner betreibt sie eine Kanzlei in Wien.