Vom Bildbericht zum Meinungsbild

Die "Bild" hat Sebastian Kurz oft gefeiert und kritisiert nun heftig Karl Nehammer. Der wird vom Ex-Chef des Blattes beraten und vom aktuellen Vize verraten. Doch das ist kein Beziehungsbruch, sondern der Unterschied zwischen PR und Journalismus

von Medien & Menschen - Vom Bildbericht zum Meinungsbild © Bild: Gleissfoto

Putin, Nehammer und ...? Diekmann! Bei einem der international umstrittensten österreichischen Staatsbesuche wird ausgerechnet ein deutscher Ex-Journalist Dritter im Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Das liegt auch daran, dass "Bild" die Sperrfrist für eine Meldung vom Moskau-Trip unterlaufen hat. Kai Diekmann (57) war 15 Jahre Chefredakteur von Europas größtem Boulevardblatt. Das kommt aber vor allem davon, dass er nun Bundeskanzler Karl Nehammer berät. Diese Kombination erinnert an dessen Vorgänger Sebastian Kurz, der beste Beziehungen zum Axel Springer Verlag (ASV) unterhielt, dem Eigentümer von "Bild". Der hat zwar sein wirtschaftliches Engagement in Österreich schon vor 20 Jahren beendet, aber die persönlichen Beziehungen seit Beginn der Politik-Episode Kurz verstärkt.

Springer war 1988 Mitgründer des "Standard" und 1992 von "News". Neben diesen kurzlebigen Hälfte-Beteiligungen hielt der ASV über ein Jahrzehnt 65 Prozent an der Moser Holding ("TT"). Die Begründung seines Austro-Rückzugs 2002 lautete, es sei nicht gelungen, einen Zeitungsring zu etablieren. Diese halbe Wahrheit verschleierte das wirkliche Problem: Springer hatte in 15 Ösi-Jahren sechs Konzernchefs verschlissen, mit immer neuen Strategien und manchmal auch weniger. Den letzten dieser Art nannten sie hausintern "DiMi-Do" - für die drei Wochentage, an denen er am Arbeitsplatz Berlin statt an seinem Wohnsitz London war. Erst mit Nachfolger Mathias Döpfner kehrte die Kontinuität zurück. Der gelernte Kulturjournalist steht seit 20 Jahren an der Spitze und ist mittlerweile milliardenschwerer Mitbesitzer des Unternehmens.

Schon ein Jahr vor Döpfner hatte Kai Diekmann den ebenso häufigen Wechsel der Chefredakteure bei "Bild" beendet. Erst 2017, als Gesamtherausgeber der "Bild"-Gruppe, verließ er nach drei Jahrzehnten Springer. Der Großmeister des Boulevards wechselte in die PR-Beratung. Döpfner hielt unterdessen 2018 als deutscher Verlegerpräsident einen Hauptvortrag bei der Medienenquete von Minister Gernot Blümel in Wien. Zuvor hatte schon der stellvertretende Chefredakteur von "Bild", Paul Ronzheimer, das Buch " Sebastian Kurz: Die Biografie" veröffentlicht. Die Österreich-Connection des Ostfriesen ist aber vielschichtiger. Seine Schwester Hanna gestaltet seit 2007 Beiträge zu Kultur und Wissenschaft für Ö1.

Bruder Paul ist nun schon seit Wochen als Kriegsberichterstatter in der Ukraine. Er hat schon am Sonntag verkündet, was per Sperrfrist erst am Montag bekannt werden sollte - den Putin-Besuch von Nehammer. Diekmann, der den Kanzler in die Ukraine begleitet hatte, bestreitet die Weitergabe der Information. Seitdem wird viel in das Dreiecksverhältnis interpretiert, weil "Bild" dem Besuch bei Putin sehr kritisch gegenübersteht, während ihr Ex-Chef via Twitter die gegenteilige Meinung erkennen lässt. Darüber hinaus kommt das aktuelle Verhältnis zwischen Diekmann und Springer in die Diskussion. Und aus österreichischer Sicht spielt dann noch mit, dass die "Krone"-Hälfteeigentümer der Essener Funke Mediengruppe sich aus Protest gegen Döpfner aus dem deutschen Verlegerverband zurückziehen.

Vielleicht ist alles viel einfacher: Nehammer hat Springer 2011 bei einer Studienreise kennengelernt und wirkte von der dortigen Professionalität beeindruckt. Diekmann war damals Chefredakteur von "Bild", wo er 1985, im Geburtsjahr von Ronzheimer, begonnen hatte. Heute ist der eine Kanzler, der andere Berater, der dritte Journalist. Jeder macht seinen Job. Diekmann hat 2014 bei einem Vortrag in Wien gesagt: "Statt die Wünsche der Verbraucher nur zu erahnen, werden sie sich vorhersagen lassen. Daten sind das neue Öl." Seine PR-Firma aber heißt Storymachine. Wie zweischneidig das mit ihr betriebene Geschichtenerzählen ist, zeigt eine aktuelle Studie aus den USA: Journalisten verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn sie die Grenzen zwischen Berichterstattung und Storytelling überschreiten.