"Ich glaube, Glück
ist ein Missverständnis"

Können positives Denken und Empathie Überlebensstrategien in turbulenten Zeiten sein? ORF-Star Barbara Stöckl glaubt das und hat ein Buch darüber geschrieben. Ihrem "Helfersyndrom" begegnet sie offen und selbstironisch

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Frau Stöckl, Sie plädieren intensiv für mehr Empathie, Achtsamkeit und positives Denken. Braucht unsere Gesellschaft das jetzt?
Die Menschen brauchen ein Gegengewicht zu den Turbulenzen, die es gibt, zum Verlust der Sicherheiten. Das ist alles nicht neu. Es hat immer Kriege und Gewalt gegeben, aber es ist anders, weil die Welt ein globales Dorf geworden ist. Das Tempo und die Intensität, mit der Botschaften verbreitet werden, bringen uns den Schrecken näher. Das muss man alles erst aushalten. Da braucht es ein Gegengewicht. Das kann man in Kleinigkeiten finden, über die man sich gern lustig macht. Ob jemand da ist, der dich zum Lachen bringt, wenn du schlecht drauf bist. Ob dir die Krankenschwester im Spital grantig das Essen serviert oder sich freundlich bei dir mit Namen vorstellt. Dieses Beispiel hat mir eine Leserin geschrieben, weil sie es so wunderbar gefunden hat. Diese guten Dinge nicht selbstverständlich zu finden, sondern wahrzunehmen, stützt im Leben. Das zu Forcieren ist eine Überlebensstrategie.

Klingt einfach, aber wie klappt das im Alltag?
Solche Dinge im Alltag zu erkennen, ist für mich fast zum Sport geworden. Gestern war ich in Schönbrunn laufen. Da waren junge Mädchen, die sich fotografiert haben und dabei so hell und fröhlich gelacht haben, dass ich beim Laufen gemerkt habe, ich werde einen Moment glücklich. Diese Dinge sind nicht so klein, wie sie scheinen. Es ist intellektuell und emotional anspruchsvoll, sich darauf zu besinnen, weil man das Bewerten und Beurteilen mal sein lassen muss.

Menschen, die in einer Krise stecken, würden jetzt sagen: Die Barbara Stöckl kann leicht so ein Buch schreiben, die hat einen tollen Job, eine glückliche Partnerschaft …
Ich weiß, dass ich sehr viel Glück gehabt habe. Ich habe eine tollen Job, eine wunderbare Familie, eine große Liebe, es geht mir richtig gut. Daraus ziehe ich die Verantwortung, mich für andere Menschen einzusetzen, die dieses Glück nicht gehabt haben. Aber auch in meinem Leben gab es nicht nur glückliche Momente. Gerade war ich innerhalb von zehn Tagen auf fünf Begräbnissen. Es tut weh, wenn Freunde nicht mehr sind, wenn du siehst, dass jemand zerbricht. Ich kenne körperliche und seelische Schmerzen, so wie jeder Mensch. Ich habe drei Bandscheibenvorfälle gehabt und weiß, wie das ist, wenn man sich nichts wünscht, außer, dass die Schmerzen vorbei sind.

Haben Sie ein Rezept, solche Situationen zu bewältigen?
Ich glaube, dass das Glück ein Missverständnis ist. Natürlich ist es erstrebenswert, aber es muss auch klar sein, dass es nur ein Teil des Lebens ist. Der andere Teil, das Leidvolle, die Schmerzen, gehört genauso zum Leben. Es gehört dazu, das auszuhalten. Das ist unmodern geworden. Wir pathologisieren alles. Alles Negative wird als Krankheit angesehen und muss therapiert werden. Das muss nicht sein. Dinge dürfen auch mal schlecht sein und weh tun. Dabei gibt es eine Grenze, und man muss wissen, wann man sich Hilfe holt. Aber es ist nicht gleich alles eine Krankheit, nur weil es dem elenden Perfektionsstreben unserer Welt widerspricht. Nur weil wir nicht schön, glatt, erfolgreich und fit sind, sind wir nicht krank.

Sie schreiben von der Kraft positiver Gedanken und wie man daraus Kraft schöpfen kann. Gibt es diesbezüglich ein persönliches Schlüsselerlebnis?
Ich kann nicht eine einzelne Szene benennen, aber das Jahr, in dem mein Vater auf der Intensivstation gelegen ist, war eine sehr intensive Erfahrung. Zum ersten Mal war ich mit Endlichkeit und Ohnmacht konfrontiert. Damit, dass jedes Leben an einem seidenen Faden hängt und wir von anderen Menschen abhängig sind. Da wächst du durch viele Gespräche mit anderen Angehörigen und Patienten zusammen. Und du merkst einmal mehr, dass Menschen in sozialen Berufen aufgrund ihrer unglaublichen Leistung die Bestbezahlten sein müssten. Das Gegenteil ist der Fall, und das zeigt die Perversion unserer Welt.

Welchen Umgang mit dem Thema Abschied, Verlust, Tod haben Sie gefunden?
Ich weiß es auch nicht - annehmen, zulassen. Im besten Fall hat man jemanden, der einen hält. Das ist schon viel. Und dann gibt es die Zeit, die manche Schmerzen leichter macht. Aber mehr kann ich dazu nicht sagen. Der Tod ist immer falsch, immer gemein, immer zu früh. Ich habe vor Kurzem eine Frau verabschiedet, die ich nicht gut kannte. Deren Sohn war ausgewandert nach Neuseeland und hat davon erzählt, wie schwierig die letzten Zusammentreffen mit seiner Mutter waren, weil er nie wusste, ob es das letzte Mal ist. Er hatte immer das Gefühl, etwas Wichtiges besprechen zu müssen. Bis er gemerkt hat: Es gibt gar nichts Wichtiges zu besprechen. Es geht nur darum, eine gute Zeit zu haben. Das hat mich sehr berührt, weil es so banal klingt und so wahr ist. Wir tun alle so, als würden wir ewig leben, und achten nicht auf die Qualität unserer Lebenszeit.

Wenn Ihr Name fällt, hört man oft das Vorurteil "Ah, die Gefühlsbeauftragte vom ORF". Kränkt Sie das?
Manchmal gerät es bei mir in die Nähe zum Pathos, da hilft dann Selbstironie! Ich finde es wichtig, Gefühle zu zeigen, zu Schwächen zu stehen. So bin ich. Aber viele Menschen übersehen, dass ich mich auch weiterentwickelt habe, nach 13 Jahren "Help TV" heute eine andere Sendung mache. Wenn man will, kann man auch anderes an mir entdecken: Als ich Gast bei Grissemann und Stermann war, bekam ich viel positive Post, weil Menschen es mochten, mich anders kennenzulernen.

Klären wir das Missverständnis: Wie ist Barbara Stöckl sonst noch?
Das kann man schwer über sich selbst sagen: Ich muss manchmal auch hart sein, ich bin fordernd, verlange viel und gebe viel. Und ich bin fröhlich. In meinen Sendungen will ich, dass Menschen sich wohlfühlen und öffnen. Ich mache keine beinharten Interviews und bewundere Armin Wolf dafür. Das muss man selbst auch erst aushalten, jemanden in die Enge zu treiben, hart zu nehmen.

Haben Sie sich je gefragt, warum Sie diesen Weg gehen, den manche als "Helfersyndrom“ auslegen?
Wenn man in einer Familie mit fünf Kindern aufwächst, lernt man, zu streiten, zu teilen, auf den anderen zu schauen, aufeinander aufzupassen. Heute heißt das soziale Intelligenz. So bin ich also geworden, und so ist wohl mein Charakter. Und anderen zu helfen, hat natürlich auch einen egoistischen Teil. Das tut einem auch selbst gut. Man tut es auch für das eigene gute Gefühl. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt.

Ihr Mann ist der Psychiater Fritz Riffer. Darf man da vermuten, dass Themen wie in Ihrem Buch - etwa zum Gelingen des Lebens - privat auch viel Raum bekommen?
Wir versuchen, das Berufliche abzutrennen und gegenüber der Öffentlichkeit eine Grenze zu ziehen, was das Privatleben betrifft. Aber das berufliche Interesse an Menschen in speziellen Situationen teilen wir und tauschen uns intensiv aus. Da frage ich ihn auch um Rat. Das erweitert meinen Horizont dahingehend, was Leben alles sein kann. Oft bekomme ich dabei auch eine Wut auf die Welt, weil nicht alle von Krisen Betroffenen Schicksalsschläge hatten, sondern strukturelle und gesellschaftliche Umstände verantwortlich sind. Da wünsche ich mir von Politikern mutigere Entscheidungen.

Wie begegnen Sie der Mutlosigkeit gegenüber der scheinbaren Allmacht der Politik?
Mit dem Glauben, Dinge ändern zu können. Demokratie ist keine Wohlfühlveranstaltung, Demokratie ist anstrengend - und geht uns alle an! Und durch das Tempo, in dem wir leben, ist Verbindlichkeit verloren gegangen. In Beziehungen, in der Arbeit, auch im Glauben. Es gibt aber Situationen im Leben, wo man sich entscheiden muss. Bei aller Flexibilität und Mobilität wünsche ich mir mehr Verbindlichkeit.

Für wie mutig halten Sie sich eigentlich selbst?
Ich glaube, ich bin ein mutiges Mädchen. Ich habe nie gescheut, an meine Grenzen zu gehen, wobei das immer eher innere waren. Mut im Sinn von Bungee-Jumping wäre nicht meins. Aber meine Jahre in Deutschland waren ein Beispiel für das mutige Überwinden einer großen Grenze, weil ich so Heimweh habe. Ich habe gelitten! Rückblickend war die Zeit sehr wertvoll, für mein berufliches Lernen, viele neue Freundschaften. Den Lohn dieser Überwindung erkennt man natürlich immer erst viel später.

Barbara Stöckl

wuchs als drittes von fünf Kindern in Wien auf. Während des Studiums (technische Mathematik) fand sie über eine Regieassistenz beim ORF ihre Leidenschaft für TV-Journalismus. Sie moderierte u. a. "Doppelpunkt" und "Help TV" für ZDF und ORF und erhielt dreimal den TV-Preis "Romy". Aktuell moderiert sie "Science Talk" und "Gipfel-Sieg" (ORF III) sowie "Stöckl" (ORF 2).

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