Ein Teenager von 43 Jahren

Robbie Williams offenbart seine innere Zerrissenheit

Die neue Biografie des Superstars enthüllt die Drogenrückfälle und Unsicherheiten eines Stars, der sein Familienglück gefunden hat, sich selbst aber noch sucht

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MUSIK - Ein Teenager von 43 Jahren

Eine alte Showbusiness-Weisheit besagt: Wenn du berühmt wirst, stellt das dein Leben auf den Kopf, und nichts ist mehr, wie es vorher war. Mit einer Ausnahme: Du selbst veränderst dich in der Folge nicht mehr großartig, sondern bleibst in deiner Entwicklung stehen. Sollte das tatsächlich stimmen, wäre es gut, bereits eine fertige Persönlichkeit zu sein, ehe man Ruhm erlangt. Robbie Williams wurde als Mitglied von Take That mit zarten 17 Jahren berühmt. Und irgendwie, so argumentiert sein Biograf Chris Heath im neuen Buch "Reveal", ist der Star im Kopf immer noch ein Teenager. Das zeigt sich etwa an seiner Aufmerksamkeitsspanne. In einem Moment kann er Feuer und Flamme für einen neuen Song sein, an dem er gerade arbeitet, im nächsten schon total das Interesse daran verlieren und ihn vergessen. Generell ist er schnell begeistert und schnell wieder gelangweilt von Dingen.

Ganz normal für einen 17-Jährigen, der im Wunderland Kalifornien lebt und sich alles kaufen kann, was er haben will. Als er nach Los Angeles übersiedelte, erwarb er beispielsweise ein Grundstück nur deshalb, um darauf mit seinen Kumpels Fußball spielen zu können. Seinen Wohnsitz in England wiederum ließ er nach seinen Vorstellungen so gründlich und langwierig umbauen, dass ihn sein Nachbar schon hasste, bevor Familie Williams überhaupt einzog. Sein Nachbar ist Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page. Fraglich, ob die beiden jemals gemeinsam musizieren werden.

Robbie ist viele

Robbie Williams, das lernt man aus der Lektüre des intimen Buchporträts, ist nicht nur ein Teenie im Körper eines 43-Jährigen. Er ist viele Personen. Zunächst ist man versucht, ihm aus der Ferne eine manisch-depressive Störung zu diagnostizieren. Das Buch beschreibt großartige Phasen, in denen alles super ist und er sein Popstarleben liebt. Darauf folgen aber immer wieder Monate der Niedergeschlagenheit und voller Selbstzweifel. Kein Scherz: Robbie Williams, der auf der Bühne so selbstsicher wirkt, als würde er in seinem Wohnzimmer auftreten, fühlt sich bei seinen Performances oft unsicher.

»Robbie Williams ist eine Art Tarnumhang, den ich mir umlege«

Das liegt daran, dass es (mindestens) zwei von ihm gibt: den privaten Robert Peter Williams, der von seinen Freunden Rob genannt wird, und die Berühmtheit Robbie, der alles locker von der Hand geht. Blöd nur, dass Rob Robbie nicht nach Belieben ein-und ausschalten kann. "Ich hoffe einfach, dass ich auf die Bühne gehe und Robbie Williams auftaucht", sagt er. "Denn manchmal stehe ich dort oben, und er kommt nicht, und dann muss ich alles allein machen. Robbie Williams ist eine Art Tarnumhang, den ich mir umlege."

Selten kann er es richtig genießen. Einer seiner emotionalsten Momente war das Konzert 2013 in Wien. Da hatte er am Schluss Tränen in den Augen, so sehr war er mit dem Publikum auf einer Wellenlänge. Grundsätzlich fühlte er sich bei den Konzerten im Rahmen der Take-That- Reunion aber wohler also solo. Es gefiel ihm, Teil einer Gruppe zu sein und nicht allein im Mittelpunkt zu stehen.

Das Buch berichtet, dass er bereits in den Nullerjahren mehrfach davor stand, Konzertreisen abzubrechen, weil er sich den Anforderungen nicht gewachsen sah. Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, dass er kurz vor der Veröffentlichung von "Reveal" erstmals tatsächlich eine laufende Tournee abbrach. Die Absage betraf zwar nur zwei Konzerte in Russland, sie sorgte aber trotzdem für Spekulationen über den Gesundheitszustand des Sängers, der in der Folge völlig abtauchte.

Verliebt statt süchtig

Wo die Probleme liegen, kann man in dem Buch nachlesen. Zum einen ist da die erwähnte Unsicherheit, ob er seinen Fans überhaupt noch geben kann, was sie von ihm wollen. Zum anderen scheint er es, obwohl er nach mehreren Entzugsversuchen als trocken und clean gilt, nicht ganz ohne Tabletten -gegen Depressionen, Schlaflosigkeit oder seine chronischen Rückenschmerzen -zu schaffen. Während Tourneen lässt er sich außerdem Steroide und Testosteron spritzen, um genug Power zu haben. "Schau, ich habe angefangen, Drogen zu nehmen und zu saufen, als ich sechzehn war", erzählt er seinem Biografen, der über die Jahre zu einem Freund wurde und während der Arbeit an dem Buch sogar zeitweilig in seinem Haus wohnte. "Mit siebzehn, achtzehn wurde es ein Problem. Mit neunzehn wusste ich, dass es ein Problem war. Und so habe ich versucht, clean und nüchtern zu bleiben, seit ich neunzehn war, meist mit Erfolg."

»Ich war an dem Punkt angelangt, wo es mir egal war, ob ich lebte oder starb«

Meist. Nach seiner Welttournee 2006/07, die er kurz vor Beginn fast abblasen wollte, war er es nicht. Er erlitt einen schweren Rückfall mit Kokain und allen möglichen Pillen. Im Gegensatz zu seiner ersten Feier-Hochphase nach dem Ausstieg bei Take That erzeugten die Drogen aber kein Hochgefühl mehr. Er suchte auch keine Gesellschaft, es waren einsame Sessions hinter zugezogenen Vorhängen. "Ich war an dem Punkt angelangt, wo es mir egal war, ob ich lebte oder starb", rekapituliert er die Zeit im Buch. "Ich dachte, ich sterbe und es stört mich überhaupt nicht." Kurz vor der Überdosis kamen seine beiden Manager und verfrachteten ihn in eine Suchtklinik.

Dazwischen geschah ein kleines Wunder: Robbie Williams verliebte sich. Ausgerechnet er, von dem der Satz "Before I fall in love, I'm preparing to leave her"(aus dem Song "Feel") stammt und der in Interviews früher immer wieder erklärt hat, er werde nie eine längere Beziehung haben. Und schon gar keine Kinder, schließlich fühle er sich selber immer noch wie ein großes Kind.

Die erste Begegnung mit der US-Schauspielerin Ayda Field verlief freilich katastrophal. Vor dem Date ließ er eine Dealerin kommen, die ihm Morphium, Adderall und Vicodin brachte, und hatte Sex mit ihr. Beim Date selbst war er komplett benebelt und gackerte wie ein Huhn. Seine künftige Frau lernte ihn an einem Tiefpunkt kennen, aber sie mochte ihn gleich. Die Beziehung brauchte mehrere Anläufe. Drei Mal machte Robbie Schluss, weil er Bindungsangst hatte oder fürchtete, Ayda zu enttäuschen, ehe die beiden es schafften. Mittlerweile ist Robbie bekanntlich sogar Vater von zwei Kindern, Theodora "Teddy" Rose (fünf) und Charlton "Charlie" Valentine (zwei).

Eine ehrlich wirkende, untypisch tief gehende Popstar-Biografie

"Reveal" ist eine ehrlich wirkende, untypisch tief gehende Popstar-Biografie. Sie hat aber auch einen Schwachpunkt: So viel Neues wird darin gar nicht enthüllt. Wie Robbie Williams tickt, das konnte man schon 2004 in "Feel" lesen, dem ebenfalls von Chris Heath verfassten ersten Teil seiner Bio. An einer Stelle im neuen Buch wird erwähnt, dass Rod Stewart irgendwann aufhörte, Songs zu schreiben, und nur mehr Covers singt, weil sein Leben mittlerweile so angenehm und langweilig geworden ist.

»Das waren noch Zeiten, das waren noch Zeiten.«

Ein bisschen trifft das auch auf Robbie Williams zu. Dass er sich zu nächtlichen Überfällen auf den Kühlschrank und einer Liebe zu Süßspeisen bekennt, ist jetzt nicht der Knaller. Die wirklich gschmackigen Anekdoten im Buch datieren einige Jahre zurück. Oder sie beziehen sich auf die Vergangenheit. So ist ein beliebtes Spiel im Hause Williams, den Fernseher einzuschalten (meist läuft britisches Reality-TV) und zu warten, bis jemand erscheint, mit dem der Hausherr schon im Bett war. Meist dauert es nicht sehr lang. Ein andermal sitzt er mit Guy Chambers, dem Autor vieler seiner Hits, zusammen und erinnert sich an die alten Tage: "Das war super. Wir haben 'How Peculiar' geschrieben, und als ich wieder zu Hause war, klopften zwei Stripperinnen an und schliefen mit mir. Ich spielte zur Begleitung dieses Lied, während sie mich fickten." Robbie grinst kurz. Und seufzt: "Das waren noch Zeiten, das waren noch Zeiten."